Für seine zweite Premiere in Hamburg hat der neue Intendant Demis Volpi einen Ballettabend mit Werken von Aszure Barton und William Forsythe kuratiert. Und erweitert damit das Repertoire des Ensembles um zwei sehr unterschiedliche choreografische Sprachen. Eine spannende Konstellation!
„Slow Burn“ heißt Aszure Bartons neue, in Hamburg uraufgeführte Choreografie und der Titel überschreibt dann auch gleich den ganzen Ballettabend. Im Mittelpunkt des abstrakt angelegten, aber mit narrativen Strukturen versehenen Stückes stehen zwei „weise Frauen“. Getanzt werden die beiden von Silvia Azzoni und Madoka Sugai. Worin ihre Weisheit besteht, bleibt ein bisschen offen, aber laut Bartons Erläuterung sind es „zwei langjährige Freundinnen, die sich unterstützen und zuhören“. Ein schönes Bild und auch stimmig, denn im Zusammenspiel der beiden Tänzerinnen gelingen tatsächlich die besten Momente dieser Choreografie. Etwa wenn sie sich mit Blicken oder kleinen Gesten einander versichern. Oder wenn sich ihre Fingerspitzen in einer schnellen Berührung treffen.
Parallel zur orchestralen Auftragskomposition von Ambrose Akinmusire entwickelt Aszure Barton in „Slow Burn“ ein choreografisches Vokabular, das trotz einiger Hebe- und Sprungsequenzen klar auf einen fließenden Gestus setzt. Leitmotiv und Thema ist die Freude. Ihr ist das Stück sozusagen gewidmet, um sie geht es. Eine unaufgeregte, entspannte Freude, ein langsames Entstehen tiefer Gefühle soll es sein, der Titel sagt es.
Die Farbpalette passt sich da gut an. Sie reicht von Goldgelb bis Dunkelorange, feurig und glühend. Das macht sich in einzelnen Bildern wirklich gut, sieht leuchtend und warm aus, zumal als fluider Kontrast zu der schwarzen Bühnenrückwand. Doch die Bewegung der Körper wird von dem exponierten Arrangement aus Farben, Licht und Stoff geradezu überlagert, die choreografischen Variationen bleiben ziemlich beliebig und dahinplätschernd. Das gilt vor allem für die Ensembleszenen, in denen die aus dem Fundus der Hamburgischen Staatsoper herausgesuchten, umgearbeiteten und eingefärbten, weit geschnittenen Kostüme, designt von Michelle Jank, jeden Impuls und jede Kontur verwischen lassen. Was schade ist, denn die Idee, vorhandenes Material neu zu verwenden, ist ja gut. War es einfach der Fun Fact, von dem Barton im Programmheft erzählt? Und bei der fröhlichen Kostümherstellung sind dann viel zu viele und zu große Volants, Borten und Rüschenblumen entstanden?
Vielleicht kann man den Raum, der zwischen Aszure Bartons Choreografie und William Forsythes „Blake Works V (The Barre Project)“ liegt, sogar ganz gut hier dokumentiert sehen: in den Kostümen. Während Barton große Bahnen an Stoff verwendet und deren Schwung als eigenes Bewegungselement versteht, hat sich Forsythe für schlichte Trikots entschieden. Kaum Farbe, nur einmal ein wenig Glitzer am Rock von Ana Torrequebrada. Die Trikots passen sich den Linien der Bewegungen an und unterstreichen so Forsythes Tanzkonzeption, deren Ausgangspunkt und Reflexionsgebiet das klassische Ballett ist.
Forsythes Dialog mit dem Werk des Musikers James Blake besteht inzwischen aus mehreren Fassungen, beginnend mit den „Blake Works I“, die er 2016 für das Ensemble der Pariser Oper kreierte. Zu den in Hamburg gezeigten „Blake Works V (The Barre Project)“ gehören ein 2023 erstmals aufgeführter „Prologue“ sowie das während der Pandemie entstandene „The Barre Project“, das 2021 zunächst im Videoformat online veröffentlicht wurde.
Die musikalische Collage aus verschiedenen Alben von James Blake bestimmen und unterlegen das Timing. „Buzzard & Kestrel“, „Lindisfarne I“, „Lullaby for My Insomniac“ und „200 Press“ sind wunderbare, mal zart hingetupfte Kompositionen, mal dröhnt stilvoller Elektrosound. Blake navigiert poetisch zwischen traditionellen kompositorischen Konventionen und zeitgenössischen Genres. Perfekt für Forsythes Blick auf den Tanz.
Geschwindigkeit und Dynamik bestimmen bekanntermaßen die tänzerischen Abläufe bei Forsythe. Auch in dieser neuen Arbeit schafft er raumgreifende und raumbeschreibende Bewegungen auf vielen Ebenen. Toll zu sehen, dass dies sogar im auf die Bühne projizierten Film funktioniert, in dem man Hände über und an der Stange fliegen und tanzen sieht. Und auch toll zu sehen, wie großartig die Tänzerinnen und Tänzer des Hamburg Balletts Forsythes Sprache umsetzen. Wie sie sich das hohe Tempo und die für Forsythe typischen Bewegungsmomente zu eigen machen. Mit Können, Technik und mit sehr viel - Freude.
Hamburg Ballett: “Slow Burn”, Premiere am 8. Dezember 2024 in der Staatsoper Hamburg, weiter Aufführungen am 13., 18. Und 19. Dezember, 7., 10., 11. Jänner