Alles ist Musik – der Rest ein Taumel von Gefühlen, verpackt in Tanz, der schlichtweg mitreißt. Zu karibischen Rhythmen werden Schultern geschüttelt und Hüfen geschwungen. Beine fliegen durch die Luft, Röcke flattern und Paare drehen sich im Sausewind. Von der ersten bis zur letzten Sekunde wird beste Stimmung verbreitet.
Zudem thront auf erhöhtem Podest über der Bühne eine exzellente siebenköpfige Band. Drei ihrer Mitglieder zählen zu den aktuell bedeutendsten Größen der kubanischen Musikszene: Julito Padrón (Trompete), Ray Fernández (Gitarre/Vocals) und allen voran Cucurucho Valdés. Er ist der Enkel von Bepo Valdés, an den das Stück „Lácrimas Negras“ („Schwarze Tränen“) erinnert.
Für ein kurzes Gastspiel, das wie die Faust aufs Auge in die Münchner Ballsaison passt, ist der katalanische Choreograf Enrique Gasa Valga mit seiner vor Energie strotzenden Innsbrucker Limonada Dance Company ans Deutsche Theater in München zurückgekehrt. Mitgebracht hat er diesmal die allererste Produktion, die er für sein Ende 2023 neugegründetes freies Ensemble kreiert hat. Der Titel „Lácrimas Negras“ zitiert Bepo Valdés’ triumphalen Album-Erfolg mit dem spanischen Flamenco-Sänger Diego el Cigala. Das seitlich an Tischen sitzende Publikum – passend zur im Stück vorherrschenden Club-Atmosphäre – kann während der Tanzshow Getränke konsumieren. In dieser ballgerecht provisorischen Parkettbestuhlung erlebt das Werk – räumlich zwar etwas gestaucht, aber nicht minder fulminant – nun seine erste Wiederaufnahme.
Unbedingt sehenswert ist der locker-unterhaltsame Abend vor allem wegen seiner 13 herausragenden Tänzerinnen und Tänzer. Von Salsa über Modern bis zu Ballett in Spitzenqualität haben sie technisch alles drauf. In der Hauptrolle gelingt es dem unter anderem im Alvin Ailey American Dance Theater und beim Nederlands Dans Theater ausgebildeten afro-italienischen Tänzer Nnamdi Nwagwu der „Seele von Bebo Valdés“ (so die Rollenbezeichnung) einfühlsam wie emotional authentisch Kontur zu verleihen. Und das, obwohl die Handlung lediglich durch die Begegnungen weniger Figuren, die aus der Gruppe auf- und wieder abtauchen, geschildert wird: Die Hauptperson (Nnamdi Nwagwu) trifft seine erste Frau (Sandra Chamochumbi Castro), dann die Liebe seines Lebens (Camilla Danesi) und zu guter Letzt begegnet er der Seele seines Sohns aus erster Ehe (Cosme Tablada Moreno). Knapper geht’s nicht.
Zum Inhalt hat das schmissige Stück Bebo Valdés’ schicksalhaftes Leben. In seiner Heimat Kuba hat der auf dem Gebiet des Jazz und der afro-kubanischen Musik außergewöhnlich innovative Pianist, Komponist und Arrangeur die Rhythmen der Straße in sich aufgesogen. Bei Konzerten in Tanzbars bringt er bald ein, was man ihm sonst noch am Nationalen Konservatorium beigebracht hat. Es sind die goldenen Jahre Kubas, angefüllt mit Lebensfreude und boomendem Nachtleben. Valdés steigt schnell zum „König von Havanna“ auf und wird Direktor des berühmtesten Cabarets der Insel: dem „Tropicana“. Als 1959 die gesellschaftlichen Spannungen während Fidel Castros Kubanischer Revolution ihren Höhepunkt erreichen, beschließt Valdés, der die kommunistische Partei wie deren politische Restriktionen strikt ablehnt, Frau und Kinder zu verlassen. Er nutzt eine Mexiko-Tournee zur Flucht nach Europa, zieht nach Stockholm, gerät in Vergessenheit und stirbt 2013 mit Alzheimer.
In „Lácrimas Negras“ bringt Gasa Valga die Essenz der Aufs und Abs dieser Biografie choreografisch auf den Punkt – und das nicht als konkretes Erzähltheater, sondern in einer auf die innere emotionale Komponente der Hauptfigur konzentrierten Weise. Mehr als das und einige Umarmungen an entscheidenden Stellen braucht gutes Tanz-Show-Theater nicht.
Enrique Gasa Valga / Limonada Dance Company: “Lágrimas Negras” am 11. Februar im Deutschen Theater München. Das zweite diesjährige Gastspiel der Limonada Dance Company mit Gasa Valgas neuem Tanztheaterstück „Romy“, eine Hommage an die Filmlegende Romy Schneider findet ebendort von 28. Mai bis 8. Juni statt.