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Unwalling1“My software is comedy”, sagt Yosi Wanunu zu Beginn seiner neuen Produktion “Unwalling the Wall. A Theatrical Essay”. Doch der Humor sei ihm, dem gebürtigen Israeli und eingebürgerten Österreicher schon vor einiger Zeit abhanden gekommen. Neue Zeiten fordern neue Formen. Und er nützt nun die Bühne um seinen Gefühle einerseits mit akribischer Recherche in das israelische Militär und andererseits mittels unterschiedlicher Ansätze von performativem Theater Gestalt zu geben. Das Resultat ist ebenso erhellend wie verstörend.

In einer Art Crash-Kurs führt das Ensemble von Toxic Dreams durch die Geschichte Israels, vom britischen Krieg in Palästina über die Besiedlung von Juden ab dem 19. Jahrhundert, das von der Vision ausging, dass Palästina ein Land ohne Volk, und die Juden ein Volk ohne Land seien. Die Errichtung des Staates Israel 1948 ist für die Palästiner die Katastrophe, die Nakba, die Isrealis müssen seither ihr Territorium verteidigen. Der Terrorakt der Hamas am 7. Oktober 2023 und die darauffolgende Zerstörung Gazas ist der vorläufige Höhepunkt eines ewigen Konfliktes.Unwalling2

Yosi Wanunu steht der Geschichte Israels kritisch gegenüber. Für ihn gab es in der ständigen Kriegsbereitschaft seines Landes keinen Platz. Die Rüstungsindustrie ist mächtig. Dort wurde das Corner Shot-Gewehr, mit dem man um die Ecke schießen kann, erfunden. Das Militär ist erfinderisch. Die in Israel entwickelte Taktik des “Ausschwärmens”, bei der sich Soldaten durch Wände, Decken und Fußböden weiterbewegen und jederzeit unerwartet in die Privatsphäre der Bewohner eindringen, wird mittlerweile auch von anderen Streitkämpfen angewandt. Bei seiner Analyse fand Wanunu in der Literaturliste des Militärs Namen von radikalen Künstlern und Denkern der Postmoderne wie Gordon Matta-Clark, Giles Deleuze oder Félix Guatteri, deren Werke im Sinne dieser Taktik interpretiert werden, vielleicht sogar Inspiration dafür waren. 

Unwalling3Folgerichtig stellt der Regisseur und Autor von “Unwalling the Wall” –  ein Begriff von Matta-Clark – seine Ausführungen in einen theatralen Kontext. In Re-enactments, performativen, partizipativen, immersiven oder realistischen Theater-Szenen oder in einem Monolog aus “Onkel Wanja” verkörpern die Performer*innen militärische Situationen. Paul Horn hat aus Pappe zwei raumfüllende Häuser gebastelt, die unter anderem in jeder Vorstellung entwandet werden. Gleichzeitig illustrieren Videos, Fotos und Texte, die auf Monitore projiziert werden, die Erzählung. Es gibt Ausschnitte aus der Netflix-Serie “Fauda” oder von Ohad Naharin inmitten einer riesigen Gruppe Gaga tanzend. Doch nun, so Wanunu, herrscht eine “Choreografie des Krieges”. Am Ende wird das Theater über eine Schauspielergruppe in Gaza zusammenbrechen.Unwalling4

„Unwalling the Wall“ ist Teil der Rashomon-Serie, in der ein Sachverhalt von verschiedenen Personen völlig unterschiedlich erlebt werden kann. Hier präsentiert Yosi Wanunu seine ganz persönliche Perspektive auf den Palästina-Konflikt. Man mag die zugrunde liegende Geschichte anders sehen, beziehungsweise ihre Folgen anders interpretieren. Ein Mikrofon steht für Zuschauer*innen auf der Bühne bereit, wenn jemand widersprechen will. Es wird am Premierenabend nicht genützt. Doch die Betroffenheit, die Traurigkeit und die Ohnmacht, die Yosi Wanunu und das Toxic-Dreams-Team vor Augen führen, überträgt sich schonungslos auf die Zuseher*innen. 

Toxic Dreams /Yosi Wanunu: “Unwalling the Wall. A Theatrical Essay”, Premiere am 10. März 2025 im Theater am Werk

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