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Schlaepfer1Mit einem Dreiteiler der Kontraste beendete Martin Schläpfer seine Wiener Direktionszeit. Der Uraufführung seiner “Pathétique” stellt er Stücke von George Balanchine und Merce Cunningham aus den späten 1950er Jahren gegenüber. Wer hätte damals geahnt, dass Werke dieser beiden stilbildenden Choreografen ihrer Zeit Jahrzehnte später an einem Abend in einem großen Opernhaus zu sehen sein werden, schienen doch damals unüberbrückbare Gräben zwischen den Tanzschöpfern zu herrschen? Doch war das vielleicht mehr theatrales Getöse?

George Balanchine bediente die bürgerliche Welt von Uptown New York mit lieblichen Tänzen, die sich vom klassischen Ballett als Träger von romantischen Geschichten konsequent entfernt hatten. Er nützte den Formenkanon der Danse d’école und entwickelte sie zu einer abstrakten kinetischen Verkörperung musikalischer Werke, die ganz im Zeichen von Virtuosität und Dynamik standen. Balanchine arbeitete präzise mit der Musik, die dem musikalischen Kenner und Pianisten kongenialer und unerlässlicher Partner war. 

Merce Cunningham jedoch gehörte zu jenen jungen Wilden, die Konventionen radikal in Frage stellten. Zusammen mit dem Komponisten John Cage löste er die traditionellen Tanz-Musik-Symbiose auf und verfolgte einen revolutionären Ansatz, mit dem er sich auch von Vorfahren des Modern Dance wie Martha Graham distanzierte. Für ihn war der psychologische Ansatz ihrer Choregrafien, die er jahrelang als Tänzer interpretiert hatte, nicht mehr zeitgemäß. Viel wichtiger erschienen ihm die Bewegungen an sich zu kommunizieren als sie mit externen Bedeutungen zu beladen. 

Cunningham2Sowohl in dieser philosophischen Einschätzung als auch in Cunninghams Bewegungssprache, die am klassischen Vokabular Anleihe nimmt, waren sich die beiden also gar nicht uneinig. Und es kam sogar zu einem kreativen Austausch. 1966 wurde “Summerspace mit dem New York City Ballet einstudiert. Doch der Chef der Truppe, George Balanchine, verbannte das Werk bald aus dem Repertoire. Was ihn besonders erregte, was offenbar Morton Feldmans Musik. Trotzdem wurde das Stück von der Balletttruppe von Zeit zu Zeit wieder aufgeführt. Im Rückblick passen die Giganten der New Yorker Tanzszene des 20. Jahrhunderts dann doch nicht schlecht zusammen, wie die Wiener Aufführung erneut belegt.OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Die Eleganz der Tänzer*innen steht bei Balanchines “Divertimento Nr. 15” zu Mozarts Musik im Vordergrund. Eine ungerade Zahl von fünf Solistinnen (Natalya Butchko, Olga Esina, Hyo-Jung Kang, Sonia Dvorák, Kiyoka Hashimoto), diesmal in Tutus gekleidet, und drei Solisten (Timoor Afshar, Masayu Kimoto und Davide Dato) verrückt leicht die klassische Symmetrie der Ensembleszenen. Die komplexen, schnellen Schrittfolgen der Soli und Pas de deux überraschen immer wieder. Harmonische Symmetrie jedoch bei den acht Tänzer*innen des Corps de Ballet, die die Aktionen der Solist*innen einrahmen.

Cunningham1Wenn eine vorwärtsstrebende Leichtigkeit Balanchines Stück charakterisiert, so scheint das Ensemble bei Cunningham in einem pointillistischen Tableau anzukommen. Die Tänzer*innen verschmelzen mit Feldmans Musik (fabelhaft von Johannes Piirto und Milica Zakic an zwei Klavieren gespielt) und dem Bühnenbild von Robert Rauschenberg. Nach Balanchines fließenden Bewegungen wirkt “Summerspace” beinahe statisch. Die Tänzer*innen queren mit unterschiedlichen Sequenzen die Raum. Und dabei spielte auch der Zufall eine wichtige Rolle. Er bestimmt Abfolgen und Sequenzierungen, nicht der Choreograf. Es gibt kein Zentrum, sondern es verlagert sich ständig, entsteht gelegentlich im Tun. Zum Beispiel, wenn ein Tänzer auftritt, innehält und eine Prépartion für einen Sprung oder eine Drehung innehält. Besonders überzeugend schaffen Rebecca Horner und François-Eloi Lavignac den coolen und stellenweise ironischen Cunningham-Modus.Schlaepfer2

Irgendwo dazwischen ist Martin Schläpfers Tanzidiom angesiedelt. Seine Choreografie folgt einerseits der fließenden Kraft des klassischen Tanzes, andererseits setzt er scheinbar beiläufig Aktionen in den Raum. Auch hier ist es schwer ein Zentrum auszumachen, was durch das Bühnenbild mit unregelmäßig Längsstreifen wie herabtriefende Farbe (Thomas Mika) und die vielen unterschiedlichen Kostüme (Catherine Voeffray) unterstrichen wird. Im Ensemble sind alle bzw. ist niemand Solist oder Solistin, alle agieren auf gleicher Ebene. Nur Senior Artist Yuko Kato hebt sich als wiederkehrend erkennbare Figur und ihre spezifische Bewegungssprache vom Ensemble ab. 

Schlaepfer4Es ist eine filigrane Inszenierung, mit der Schläpfer dem wuchtigen Klangbild der 6. Symphonie (“Pathétique”) von Piotr Iljitsch Tschaikowsky begegnet. Auch in seiner Abschiedschoreografie als Wiener Ballettchef deutet er mit Gesten und Bewegungen Dramen und Inhalte an, die sich in der Gesamtheit aber nicht zu einem Ganzen fügen. Als Zuseherin wird man zwischen der Emotionalität der Musik und der dunklen Kühle der Choreografie voll bedeutungsschwerer Gestik hin und her gerissen, die sich einer eindeutigen Zuordnung entziehen. Die Choreografie endet mit einer Apotheose der düsteren Vorahnungen: Nach dem langsamen Satz, mit der die Pathétique endet, wird ein Cembalo auf die Bühne gerollt. Florina Ilie singt Händels Arie “Süße Stille”, begleitet von Luka Kusztrich (Viola) und Stephen Hopkins (Cembalo), während das Ensemble auf eine reglose Figur auf dem Boden blickt.

Das Wiener Staatsopernorchester unter der Leitung von Christoph Altstaedt musiziert an diesem Abend sowohl die heiteren Mozart-Variationen wie die leidenschaftlichen Tschaikowski-Melodien gleichermaßen wunderbar.

Wiener Staatsballett: “Pathétique”, Premiere am 9. April in der Wiener Staatsoper. Weitere Vorstellungen am 14., 21., 26. April, 3., 7., 11., Mai, 5., 7., 10. Juni.

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