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Jalalieh1Das Knüpfen von Teppichen ist eine äußerst zeitaufwändige Arbeit. Wem es bereits vergönnt war, solche textilen Kunstwerke aus der Heimat der Iranischen Choreografin und Performerin  Masoumeh Jalalieh genauer zu betrachten, wird den Respekt, ja die Ehrfurcht davor nachvollziehen können. Inspiriert davon, von der Technik des Mustergesanges und der unvergleichlichen ornamentalen Bildsprache der Teppiche schufen sie und der Schweizer Regisseur, bildende Künstler und Performer Daniel Zimmermann eine Performance mit mannigfaltigen (Be-) Deutungs-Ebenen.

Im Hintergrund läuft auf riesiger Leinwand eine Video-Installation der vielfach ausgezeichneten Österreichischen Künstlerin Inge Dick: „Jahres Licht Weiß“. Mit reinem, strahlendem Weiß beginnend wechselt die Farbe fließend und unmerklich über leuchtendes Gelb zu sattem Grün und wieder Weiß und endet in einem gedämpften Grau. Sie kann (auch) gelesen werden als eine Beschreibung schleichender, zyklischer Lebensprozesse mit einem dann doch (durch des Menschen Wirken etwa) provozierten düsteren Ende. Diese Arbeit adressiert, unter anderem, Wahrnehmung und Zeitgefühl.

Ebenso, auf anderen Wegen, das selbst performende ChoreografInnen-Duo. Direkt mit dem so genannten Gesten-Alphabet, das Masoumeh Jalalieh im Iran für diese Performance-Reihe entwickelte, verknüpft der Schweizer Klarinettist und Sound-Designer Christian Müller sein Klang-Alphabet, bestehend aus vielen verschiedenen, gesten-spezifischen, kurzen akustischen Ereignissen. Beginnend mit tieferen Tonlagen für ihn, höheren für sie.Jalalieh2

Ein Blupp-Laut begleitet seinen Seitwärtsschritt auf den Nachbarpunkt, ein Glöckchen ihren. Weitere Geräusche kombinieren sie mit zusätzlichen kleinen Gesten, die sie in einem nicht synchronisierten, aber nah beieinander liegenden Rhythmus von etwa 40 bis 45 Schlägen pro Minute aus dem Stand heraus aus- und aufführen. Kurz die Unterarme anwinkeln, auf die Ballen oder in die Knie gehen, Schritte seitwärts oder vor/zurück, den Kopf kurz zur Seite drehen, schnell einmal die Knie beugen, die gestreckten Arme 30 Grad nach vorn und immer wieder zurück in die aufrecht stehende, geschlossene Grundstellung.

Als würden die Laute ihre Gesten triggern oder umgekehrt, als wäre ihre Bewegung die Verkörperung von Klang. Die Gleichzeitigkeit beschreibt eine gegenseitige, scheinbar unauflösbare Abhängigkeit. Bewegungs- und Sound-Material reichern sich an. Sie steigern die Komplexität der Choreografie stetig. Ihr Spielfeld ist eine auf dem Bühnenboden mit Häufchen aus Salzkristallen ausgelegte Matrix von 23x23 Reihen. Sie bewegen sich ausschließlich auf dem mittleren, 9x9 Reihen großen „Schachbrett“. Immer auf den Treffpunkten vierer Felder, nie in diesen.

Sie beginnen als Schatten tanzend. Als stellten sie Platons Höhlengleichnis nach mit seiner für die Wirklichkeit gehaltenen Projektion einer unsichtbaren Realität. Mit uns als den getäuschten Höhlenbewohnern. Ganz allmählich gibt das einsetzende Licht (Lichtdesign: Victor Duran) den Tanzenden Gesichter, Individualität und Identität, und später, für ein paar Minuten, dem zentralen Areal einen roten Schimmer. 

Jalalieh3In diesem, gemeinschaftlich nebeneinander und sich spiegelnd gegenüber stehend, beginnt ein Erkenntnis-Prozess mit der Ein-Sicht. Dann ein blassblauer Rahmen um das Zentrum. Nachdem dieser verlischt, leuchtet die Mitte schwach blau. Sie öffnen sich im Innen einer verdrängten Welt voller abgelehnter Persönlichkeitsanteile und im Außen einer Wirklichkeit außerhalb ihrer physisch-sensorischen Reichweite, ihrer Wahrnehmungs-, Glaubens-, Überzeugungs- und gedanklichen Grenzen. Und sie integrieren all das. 

Alles läuft parallel, auf allen Ebenen mit kleinsten Veränderungen. Es gibt keine Wiederholungen. Die gleichen Gesten werden in einen sich stets ändernden räumlichen Kontext gestellt. Wie die vielen allzu menschlichen, durch immer gleiche, nur verschieden gekleidete Auslöser getriggerten Gefühls- und Verhaltens-Muster. Auch die Klänge verändern sich. Die anfängliche Zuordnung nach Tonhöhe wird getauscht, um sie schließlich zu verwischen. Zudem werden Laute hörbar, die mit keiner Geste mehr verknüpft sind.

Diese Arbeit beschreibt einen Emanzipationsprozess. Die beiden PerformerInnen erkennen sich als Opfer ihrer ideologischen, psychischen und physischen Konditionierungen. Die Bewusstwerdung dessen initiiert einen Transformations-Prozess hin zur Überwindung von Identität und Ego, weg von der „Freiheit von“, hin zur „Freiheit zu“. Aus mechanisch auf zunehmend komplexe Reize reagierenden Wesen werden autonome, in einem System lebende und trotzdem freie Menschen. Und nebenbei führt dieser Prozess jegliche Hierarchie ad absurdum und übt leise Kritik an Identitätspolitiken jedweder Couleur.

Der Rhythmus dieser Performance ist der des Herzens im Tiefschlaf. Das Gewebe aus Gesten, Klang und Licht ist wie ein Abbild vollkommen unbewusst lebender Menschen, gesteuert von für sie transparenten selbst- und fremdinduzierten Überzeugungen, denen ihr Unbewusstes in Form eines Traumes eine Botschaft an ihr Bewusstsein sendet. Mit dem Auftrag: Schaue sie an, deine Grenzen und das Dahinter, Darunter und deine Schatten. Akzeptiere sie. Dadurch wirst du maximal mögliche Freiheit erlangen.Jalalieh4

Man kann Gleiches tun mit gegensätzlichen inneren Konditionierungen, ohne den äußeren Anschein und das Ergebnis dieser Handlung (oder Unterlassung) zu beeinflussen. Was aber den Unterschied macht, ist die zu Grunde liegende innere Einstellung dazu, das Maß an empfundener (Un-) Freiheit.

Zeit vergeht nicht einfach. Sie ist immer Träger von Prozessen. Diese wahrzunehmen einerseits und sie mit Geduld und Zielstrebigkeit zu steuern andererseits gibt uns die Zeit als physikalisches und emotional-geistiges Phänomen die Möglichkeit. Die philosophisch-psychologische Dimension von „Carpet of Time“ ist immens. Die formale Strenge und hohe Abstraktionsebene dieser sehr feinen, hoch spannenden, utopisch-dystopischen Arbeit garnieren sie mit leisem Humor. Als Betrachter gerät man in einen trance-ähnlichen, meditativen Zustand mit verändertem Zeitgefühl, deutlich erhöhter Aufmerksamkeit und geschärfter Wahrnehmung. 

Jalalieh52673 mal bewegen sie sich in diesen 46 Minuten. In der ersten 20-minütigen Version waren es circa 1300 Gesten. Die angedachte Fortführung dieses Projektes sieht künstlerische Interventionen an verschiedenen Orten und in variierenden Kontexten vor. Die Überwindung von Grenzen sowie Freiheit und Transformation sind und werden die zentralen Botschaften dieser so feinsinnigen wie starken Arbeit sein.

Wermut allerdings, und nicht nur tröpfchenweise, wurde den Verbliebenen im anschließenden Artist Talk ausgeschenkt. Moderator Meinhard Rauchensteiner erwies sich inhaltlich und in seiner Gesprächskultur weder dem zuvor gesehenen Stück noch den interviewten KünstlerInnen Dick, Jalalieh und Zimmermann als auch nur annähernd gewachsen.

Masoumeh Jalalieh & Daniel Zimmermann mit „Carpet of Time – 2673 Movements“ am 25.04.2025 im WUK Wien.

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