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Subject to change2Es gibt Stücke, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen. „Shutters Shut“ und auch „Subject to Change" von Sol León & Paul Lightfoot gehören dazu. Choreografisch treffen sie den Nagel auf den Kopf und zielen direkt ins Herz. Sogar 22 Jahre nach ihrer Uraufführung lassen sie als funkelnde Schlusslichter eines zeitgenössischen Premierenabends gegenwärtige Kreationen eher blass aussehen. „SPHÄREN.03 | León & Lightfoot“, mit dem das Bayerische Staatsballett die Saison beendete, zeigte außerdem Choreografien von Dimo Milev, Pau Aran Gimeno, Eliana Stragapede & Borna Babić.

München hat das lange eng mit dem Nederlands Dans Theater verbundene Choreografen-Duo schon vor zwei Jahren mit seinem Zweiteiler „Schmetterling” im Sturm erobert. Daraufhin lud Ballettdirektor Laurent Hilaire die beiden ein, die dritte Ausgabe der Reihe „Sphären” für das Bayerische Staatsballett zu kuratieren. Im Zuge dessen vergaben die Spanierin und der Brite Werkaufträge an vier jüngere Choreografen: allesamt Neuentdeckungen für das hiesige Publikum.

Dimo Milev aus Bulgarien schnappte sich für seine zu einer Klangkulisse der Musikerin Brambles dynamisch wunderschön dahinfließende Uraufführung ein hingebungsvolles Gruppentänzer-Quartett: Dani Gibson, Clark Eselgroth, Nikita Kirbitov und Sabrina Yap. Mehr braucht seine pure Choreografie „In Fragments” auch nicht, um von der vertrauensvollen und innigen Unterschiedlichkeit zweier Paare zu erzählen, die sich gegenseitig immer wieder ablösen, sich unerwartet beim Öffnen der Portaltüren kurz begegnen und letztlich doch stets in ihrer spezifischen Zweisamkeit für sich alleine bleiben.Still After

In einer Welt jenseits menschlicher Zeitrechnung oder Emotionalität treffen zuvor die Tänzer Marina Mata Gómez und Pablo Martínez aufeinander. Er wird choreografisch durch eine raffiniert kantige Starrheit gekennzeichnet – technisch durchaus herausfordernd unbequem. Ihr Körper bewegt sich dagegen butterweich durch den Raum und findet Halt nur an den Felsen oder in seinen Armen. Zwei von Wind und Wasser durchfurchte Canyon-Formationen dominieren ästhetisch die eindrucksvolle Uraufführung des Tandems Eliana Stragapede & Borna Babić. 

Die Italienerin Stragapede – seit 2020 Mitglied der belgischen Performancegruppe Peeping Tom – und ihr aus Kroatien stammender Kreationspartner – unter Vertrag beim belgischen Ensemble Ultima Vez – bündeln ihre eigenen Erfahrungen als Performer hier sehr effektiv. Akustisch naturnah eingebettet in stürmisches Wetter, Donnergrollen und knirschendes Geröll (Musik: Nenad Kovačić) untersuchen sie in „Still After” den Umgang mit Erinnerung, indem sie die Tänzer wie Wasser mit Gestein interagieren lassen. Damit kommen sie dem Anspruch von Sol León & Paul Lightfoot nach Authentizität und der Findung einer eigenen Sprache schon recht nahe.

Seeking The Truth2Für die Einstudierung eines bereits bestehenden Werks hatte sich Pau Aran Gimeno entschieden. Dessen Antanzen gegen Anfeindungen aller Art eröffnet mit „Seeking the Truth” den Abend „Sphären.03” weniger stilistisch innovativ als passagenweise mitreißend formstark. Erst kürzlich konnte Gimeneo als einer von insgesamt sechs Probenleitern Bauschs „Frühlingsopfer” mit den Münchner Tänzerinnen und Tänzern erarbeiten. Nun schickt er sieben von ihnen - mehrschichtig in weiße Hosen und Röcke verpackt – auf eine schier himmlische Mission. Dabei spielen handgroße Steine eine Rolle – zuerst rituell, am Ende zur Waffe erhoben.

Leóns und Lightfoots „Shutters Shut“ – nach einem Picasso gewidmeten Gedicht von Gertrude Stein – kann es indes mit dem ganzen Rest aufnehmen. In bloß vier Minuten wird mittels aufgewühlter Gesten und drastischer Gesichtsmimik chaplinesk unsagbar viel kolportiert. Der Vorhang hebt sich, aber dahinter ist nichts außer einer weiß geschminkten Tänzerin mit roten Lippen im vorne weißen Trikot. Eingeknickt, wie sie da vor schwarzem Hintergrund steht, sieht Carollina Bastos einen Augenblick lang aus, als sei sie in den Raum hinein gepinselt worden.Shutters Shut1

Ihren Körper aus rostiger Bewegungslosigkeit reißt Steins lautmalerische Stimme, die „If I Told Him: A Completed Portrait of Picasso” vom Band rezitiert. Beherzt bleckt Bastos dem Publikum die Zunge, ein Ellbogen schert aus, ihre Hüfte kippt. Nur die Füße bewegen sich weiterhin am Platz. Überraschend gesellt sich ihr Ariel Merkuri als spiegelbildlich nicht minder exzentrisch mitteilungsbedürftiger Partner hinzu. Emotional gepusht durch die Melodik der Worte entbrennt ein körperlich intensiver Dialog, der das Paar mit überraschenden Wechseln von Schwarzweißeffekten langsam quer über die Bühne wandern lässt. Dort am anderen Ende bleiben sie zum Schluss mit quasi leeren Batterien Seite an Seite hängen - jeder in einer anderen dramatischen Pose.

Subject to change1Darauf lassen León & Lightfoot noch ihre ganz persönliche Version von Schuberts „Der Tod und das Mädchen” folgen. Unter dem Titel „Subject to Change" wird die Begegnung eines puppenhaft unschuldigen Wesens (wirklich zauberhaft: Laurretta Summerscales ganz in weiß) mit ihrem Todesengel (maskulin hinreißend wie Brad Pitt in „Rendezvous mit Joe Black”: Jakob Feyferlik) zur magischen Reise durch ein zwischenzeitlich stimmlich richtig lautes, aber keineswegs empathielos grausames Zeremoniell. Zentrales Element ist ein großer roter Teppich. Von vier Männern in schwarzen Anzügen entrollt (omnipräsent selbst hinter mobilen Hängern: Florian Ulrich Sollfrank, Tommaso Beneventi, Konstantin Ivkin, Robin Strona), gibt dieser Teppich eine Welt voller intimer Geheimnisse zwischen Leben und Tod preis: letztlich das Leitmotiv des insgesamt gelungenen Fünfteilers.

Bayerisches Staatsballett: „SPHÄREN.03 | León & Lightfoot“. Choreographien von Sol León & Paul Lightfoot, Dimo Milev, Pau Aran Gimeno, Eliana Stragapede & Borna Babić. Premiere am 27. Juni 2025 im Münchner Prinzregententheater. 

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