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Reference1Die Festivalzelte erwiesen sich als gut verzurrt vom Kunst – und Kulturverein „Tanz Kollektiv Neriom“! Dank guter künstlerischer Kontakte, durchdachter Vorbereitungen, engagierter Zusammenarbeit und Organisation von Thora Hohberg (ihre Stücke stellten wir bereits auf tanz.at vor) waren 20 unterschiedlichen Performances, 27 Workshops und Jam Formate im Theaterhaus Graz zu erleben. Hier ein Rückblick auf zwei weitere Produktionen, die Aufmerksamkeit verdienen – gerade auch wegen  ihrer Unterschiedlichkeit.

„Frame of Reference“ – von einem Atem beraubenden Beziehungsgeflecht

Das definieren zu können, was die Welt einer jeweiligen Gesellschaft ausmacht und damit das ein wenig zu verstehen, ein wenig in den Griff zu bekommen, was ihre An- und Herausforderungen sind, ist - idealerweise - immer wieder eine Möglichkeit und Aufgabe von Kunst. Ein derartiger Mosaikstein unserer westlichen Welt, einer, der so klein gar nicht ist, formt sich vor den Augen des Publikums in „Frame of Reference“. Das Stück hatte am 21. September im Kristallwerk Premiere und war in einer verkürzten Ausgabe nochmals am Ende des „Zelte in der Brandung“ Festivals zu erleben.Reference2

Das Geflecht, die Stränge oder Fäden einer Beziehung, einer privaten oder auch politisch-gesellschaftlichen anschaulich darzustellen, zählt zu den häufig behandelten Themen von Bewegungsbildern, von Tanz. Nichtsdestotrotz ist das knapp einstündige, zeitgenössische Tanzstück, in dem Filip Löbl einen maßgeblichen gesellschaftlichen Strang choreografisch aufnimmt, eine besonders bemerkenswerte, eine atmosphärisch sehr dichte Darstellung: Eine, die in diskret, aber punktgenau ausgeleuchteten Szenen (Reinier Martinez Baduilla) nichts beschönigt; eine, die in klaren, harten, zeitweise brutalen Szenen das unbarmherzige Machtspiel in erfolgsorientierten Strukturen zeigt. Wobei hier nicht so sehr und wie schon oft das eklatant Hierarchische im Vordergrund steht, sondern vielmehr der Spannungsbogen innerhalb einer erzwungenermaßen homogen funktionierenden Gruppe und einem Aussteiger, hier einer Aussteigerin. Tura Gómez Coll verkörpert diese mit glaubhafter Beharrlichkeit.  Mit unterschiedlichen Formen des nachgebenden Einfügens in die Masse, ins „Normale“, des neuerlichen Ausbrechens, der Verzweiflung, der Flucht, des Zusammenbruchs. Ihre kraftvoll feine zeitgenössische Bewegungssprache überzeugt in den Soli der Befreiung, der Freiheit; fasziniert ganz besonders in denen der entkräftigten Unterordnung, wo sie jeweils mit jeder Körperfaser um Reste ihrer Individualität ringt.

Reference3Nicht weniger intensiv ist die choreografische Aufbereitung dessen, was sich an Ungesagtem respektive Un-Getanztem zwischen der Gruppe und dem Individuum, sozusagen in einem neutralen Raum zwischen ihnen und ihrem Tun erahnen lässt: die durchdacht arrangierten Konstellationen zwischen den beiden Fronten sind immer wieder nicht nur eine, freilich beinharte Augenweide, sondern immer auch Vorbereitung für das, was dann umso konkreter und ‚handfest“ folgt: aus der Gruppe und durch diese: Roland Géczy, Sonja Stojanović_Aufreiter und der Choreograf Löbl sind als Ganzes, in Zweier-Formationen so wie zu viert mit Coll ein mit höchster Dynamik und Schnelligkeit exakt agierendes Kraftbündel; eines des Funktionierens und eines der Aggression. Ein unter höchstem Druck arbeitendes, ein unter Erfolgsdruck unterdrückendes. Die Subtilität, mit der sie ihre geradezu mechanische Selbstausbeutung tänzerisch exerzieren entspricht der ihrer Brutalität der Nicht-Funktionierenden gegenüber. 

All das, diese Gesellschaftskritik der unverblümt einprägsamen Art, ist in dieser (auch dem Publikum) den Atem beraubenden Form nur auf der Basis fundierten tänzerischen Könnens möglich. 

“Flora. The rule of no rules“

Diese Solo-Tanz Performance ist eine Arbeit von und mit Marta Ferraris. Geboren in Italien hat die international erfolgreiche Tänzerin, Tanzpädagogin und Zirkus-Künstlerin ihren Lebensmittelpunkt nun in Berlin, wo der Kontakt zu Hohberg entstand. Sie bewege sich laut Eigendefinition an der Schnittstelle von Tanz, Performance und bildender Kunst, um derart über den Körper persönliche wie auch universelle Geschichten zu erzählen, „um die kommunikative und therapeutische Kraft des Tanzes zu teilen und weiterzugeben.“Flora

Ihre evokative Bewegungssprach vermittelt sich vom ersten Augenblick an -  wenn sich ihre Beine aus der am Boden Liegenden emporranken: Sie sind auf der Suche: nach alten, bekannten Wegen, die in Neues führen; nach unbekannten Wegen; nach Halt und Sicherheit. Ihre als roter Faden durch die Performance führenden Kreisbewegungen erinnern an die von Derwischen. Doch sie sind zeitimmanent offener, variierter; ein interpretationsfreies Angebot an die Rezipienten, sich so wie sie (laut Angabe im Programm) mit ihrem inneren Kind zu verbinden. Eine Anregung, sich entlang des sich immer neu formierenden Erinnerungsstranges – den Ferraris immer wieder mit geschmeidig-vorsichtigen Händen anzudeuten, zu liebkosen scheint – zurückzubesinnen, den Horizont mit den Augen eines Kindes vorurteilsfrei zu erweitern. Ihr offener, häufig staunender Blick, ihr entspanntes Lächeln sowie die in all dem unterschiedlichen Fluss der Bewegung vermittelte innere Ruhe sind Vorbild dafür, Realität und Gedachtes, Erträumtes ineinanderfließen zu lassen. Ihre differenzierten, dynamisch variierten Drehbewegungen im Sitzen, Stehen, Liegen, Fallen sind beste Anregungen für ureigene Kreativität. Sie lassen etwas von der hier geschauten, erlebten Freiheit der Forschenden, verwurzelt im weiten Feld kulturimmanenter und künstlerischer Bewegung, überspringen auf die eigene festgefahrene Erstarrung. 

„Nachhall“

Nachhall7Weitgehend im Gegensatz zu diesem experimentellen Erkunden im herausfordernden, auch schmerzhaften Rückblick: „Nachhall“, ein zeitgenössisches Tanzstück von Ann-Kathrin Adam. Die in Stuttgart ausgebildete Ballett-Tänzerin, die viele Jahre an der Deutschen Oper und unter Martin Schläpfer Soli tanzte sowie von 2019-2023 an der Grazer Oper engagiert war, holte sich schon im Februar (s. Kritik 7. Februar 2025: OPEN STAGE für zeitgenössischen Tanz in Grazmit ihrer Choreografie „Elegie“ in ähnlicher Besetzung viel Anerkennung. Aus dem damals attestierten „…kleines Feines…“ wurde Größeres: Die die Choreografin inspirierende Musik von Peteris Vasks, sein Streichquartett Nr.4, wurde um ihre vier weiteren Teile ergänzt; das „Feine“ blieb ebenfalls und wurde gleichzeitig verstärkt durch tiefenwirksamere klare Strukturierung. Nicht Experimentelles zählt hier im Formalen, vielmehr eine Verbindung von Zeitgenössischem und eingestreuter traditioneller Ausdruckkraft. So zeigt sich auch Adam selbst in einer zwar ein bisschen zu langen, weil doch nicht gänzlich homogenen Szene in Spitzenschuhen. Grundsätzlich aber und vordringlich ist das stilistische Zusammenspiel ein sehr stimmiges. Es überzeugt in expressiven Phasen wie in feinfühlig erkundenden. Es dreht sich thematisch um die Konstellationen zwischen Individuen; primär hier um die einer Außenseiterin und ihrem Verhältnis zu einer Gruppe, respektive dieser zu ihr. Beeindruckend, wie die junge Theresa Wölferl ihre solistische Rolle sowohl tänzerisch wie auch darstellerisch überzeugend zu gestalten weiß. Aber auch die Gruppe der 4 Tänzerinnen von SubsTanz (Nicola Ceplak, Thurid Coll, Lena Eigner, Hanna Rath) begeistert mit diesem, ihrem offensichtlich von Adam bestens erkannten und dann fein er- und ausgearbeiteten, eingesetzten Können. So manch Szene des Ausschlusses der Außenseiterin wie auch deren doch wieder Einbeziehung in die Gemeinschaft entwickelt sich mit zeitgemäßer, sehr kreativer Überzeugungskraft.  Es ist erst die zweite größere choreografische Arbeit der Tänzerin Ann-Kathrin Adam und sehr wohl eine, die sich vielversprechend einprägt. 

Festival: Zelte in der Brandung, 6. bis 28.September 2025 im Theaterhaus Graz

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