„Never Again Peace“ lautet der Titel dieser 58. Ausgabe des steirischen herbst. Eines interdisziplinären Festivals zeitgenössischer Kunst, das immer schon zeitimmanente Themen fokussiert hat und mit und seit der Intendanz von Ekaterina Degot verstärkt wieder Politisches ins Visier nimmt. Vielleicht noch nie so deutlich wie in diesem Jahr und, so scheint es nach einer Woche vielfältigen Festival-Geschehens, kaum je so brandaktuell, so dicht die Thematik umkreisend, die die Welt zurzeit ganz besonders bewegt.
Der aufreizend herausfordernde Titel ist dem Theaterstück „Nie wieder Friede“ Ernst Tollers entnommen. Eine Feststellung - auch wenn es eine Frage sein könnte, sein sollte(!) -, die die ursprüngliche Formulierung ‚nie wieder Krieg‘ umkehrt und vor allem auch eine, die tagtäglich von affirmativen Formen von „nie wieder“ in unterschiedlichem Kontext inflationär wie hilflos ‚ergänzt‘ wird.
Um derartige Phänomene, basierend auf dem, was das „künstlerische Erbe des Antifaschismus“ (Degot) ausmacht, zieht das Programm größere und engere Kreise; grenzüberschreitend in vielerlei Richtung wie realitätsimmanent kritisch.
Eröffnet wurde am Freiheitsplatz, gewissermaßen vom Publikum: Ausgestattet mit Kopfhörern und damit gelenkt von dem, was von der deutschen Performancegruppe LIGNA über diese angeleitet wurde. Gedanklich zum Thema Freiheit in Form von bekannten und weniger bekannten Überlegungen und Theorien: Zum Teil mit historischen Bezügen, zum Teil allgemeingültig und damit schon auch informativ oder bislang Nicht-Bedachtes ins Bewusstsein rufend. Was konkret angeleitet wurde – Kontakt aufnehmen mit einem anderen, fremden Teilnehmer, schnelles Gehen, zielgerichtetes Schauen, Tanzen … - machte zwar sehr wohl eine Form der Unfreiheit durch den Druck der „Gruppe“ bewusst, aber doch in eher banaler und nicht unbedingt erfolgreichen Weise.
Nichts von Banalem war in der anschließenden, glasklaren Eröffnungsrede Degots zu hören. Vielmehr wurde da eine ungeschönte Analyse gegebener Fakten in den ehrwürdigen Raum des Grazer Schauspielhauses gestellt und damit die unverfrorene Verfremdung, ja Entstellung von Wörtern, also die Beraubung ihres ursprünglichen Sinns und damit Werten an den Pranger. Die immerhin noch zum Teil gegebene Freiheit der Kunst habe damit als ‚Aufzeigerin“ ein überaus wichtiges, herausforderndes Betätigungsfeld.
Einen bekannt zielsicheren, zumeist sarkastischen Umgang mit Wörtern pflegen Max Höfler und Andreas Unterweger. Sie spielten diese, eine aufzeigende Kompetenz in einer Art Doppel-Conference zur Eröffnung der großen, außer-gewöhnlich sehenswerten herbst Gruppen-Aussstellung „BAU“ in konsequenter Aufzählung aus: mit nüchternem Blick von guten, also objektiven ‚Fremden-Führern‘ auf die zahllosen rechten, mit rechtem Gedankengut kontaminierten Seiten, Orten in der Steiermark.
Zurück zum Tag zuvor, zum Eröffnungstag und seinen weiteren zwei Performances:
In „Tribute to Kurt Jooss‘ ‚Green Table‘“ reduziert der rumänische Choreograf Manuel Pelmus das für den zeitgenössischen Tanz einschneidende, 1932 uraufgeführte Antikriegs-Werk auf (wie ursprünglich konzipiert) ein Solo in lediglich zwei Bildern. Ist das auf den Kern reduzierte Anprangern nutzlosen Tuns ein Tribut an die noch größer gewordene Tatsache der Hilflosigkeit gegenüber der Macht von Kriegen? Frédéric Gies (Frankreich) redet und gestikuliert sich in Anzug und Krawatte ‚unendlich‘ lang den Mund wund – ohne Stimme. Wird doch solches, ein Reden gegen den Krieg (wie anzunehmen ist) ohnehin nicht (mehr) oder kaum gehört. Gieß‘ auch in der Mimik vielsprechende Ausdrucksstärke manifestiert sich nachhaltig als das Aufzeigen nichtssagender Versuche verzweifelter Beschönigung. Verstärkt im zweiten Bild, wenn er Runde um Runde eine große weiße Fahne wunderschön schwenkt. Resignation pur, aber in der geradlinigen, minimalistischen Bildsprache eben sehr wohl aufrüttelnd.
Da haut der bulgarische Theatermacher Ivo Dimchev in „Hot Sotz“ gemeinsam mit seiner Band freilich ganz anders auf den Tisch: mit Provokation grenzüberschreitender Dimensionen. Ob seine Entscheidungsfrage wie etwa die noch eher harmlose: lieber mit Jesus in der Hölle oder Trump im Himmel, oder Feststellungen zu überholten (?) Normen des Alltags in dieser krassen Dimension mehr bewirken als Überraschung, Ablehnung, Erheiterung? Ob seine persiflierenden Aufforderungen, sein Austesten von Geschmacksgrenzen tatsächlich mehr an Wahrheit aufleben lassen? Seine performative Kraft und sängerische Stärke ist jedenfalls keine Frage.
Mit ganz offenen Karten spielen hingegen die Kuratoren Michiel Vandevelde, Pankaj Tiwari und Eneas Prawdzic – sie haben sich längere Zeit in den einschlägigen Kreisen umgeschaut - in „Violenza 2025“: Wenn sie fünf junge Männer aus dem rechten Lager auf der Bühne das Wort erheben lassen: authentisch! Einschmeichelnd vorweg, immer lauter und radikaler, in widersprüchliche, in populistisch vereinfachende Wortkaskasden verstrickt alsbald. Es ist eine politische Lehrstunde der brutalen Art. „Jede Veränderung beginnt mit einem Tabubruch“ verlautet einer der Jünglinge. Er weist damit recht naiv hin auf die bekannten und dankenswerterweise auch auf nicht oder noch nicht bekannten Gefahren in tabubrechenden, einseitigen Parolen wie in diesen Brandreden. Die posierende Schar halbnackter, muskelspielender Männer, drapiert zwischen „griechischen“ Säulen, lässt das erschreckend assoziativgetränkte Phrasenfass zum Überlaufen bringen: Beim Publikum zu sehr zögerlichem Applaus und zur Frage, ob ein derartiges, auch dem noch so Blinden endlich die Augen öffnendes ‚Performen‘ nicht eigentlich stärkeren, ‚dankbaren‘ Applaus verdient – bei aller weitgehend fehlender Bühnen-Kunst und Kultur.
Und von diesen war im Gegensatz dazu viel zu erleben in „Nie wieder Friede“ (nach Ernst Toller): Helga Lázár (1993, Ungarn), die hier für Konzept und Regie verantwortlich zeichnet, ist Puppenspielerin, Figurentheaterregisseurin, Bühnenbildnerin. Sie experimentiert im Grenzbereich von Körper- und Materialtheater, wo auch dieses „groteske Endzeit-Varieté“ mit temporeicher Kreativität angesiedelt ist.
Tollers Frage lautet, ob Krieg oder Frieden eher in der Natur des Menschen liege. Napoleon und Franz von Assisi diskutieren diese Frage nicht nur kurz, sondern schicken als Test eine anonyme Kriegserklärung an ein eine kleine Republik. Was sich daraufhin an Absurditäten, an wendehalsigem Agieren abspielt, kann (fast) nur in einem derartig ver-rückten Setting, in diesem Neben- und Miteinander von Menschen – ganze drei an der Zahl – und unzähligen, unterschiedlichsten Masken (Justyna Koeke) sowie einigen wenigen Requisiten derart einprägsam gelingen; auch wenn Tollers Vorlage die Gefahr von einigen zwar gut gemeinten, aber doch etwas knalligen Exempeln zu provozieren scheint. Erschreckend viel ist bei der Unzahl des Angesprochenen nur allzu bekannt und wird dennoch dank dieser Überzeichnungen so manches Mal erst derart in aller Klarheit bewusst.
Steirischer herbst’25, 18. September bis 12. Oktober, www.steirischerherbst.at