Im Herbstlicht unter Kastanienbäumen hüpft aufgeregt eine graue Stadttaube über den Asphalt des Fürstenhofs und erzählt von wundersamen Dingen. Sie habe da was gefunden, da vorne, im Hof liegend. (Kleiner Sidestep: Sie findet eine kleine Feder am Boden, hebt sie auf und flüstert ihr leise, zum Himmel aufschauend, zu: „Mami!“.) Und gleich gehts weiter mit der Überraschung: und wirklich, mitten im Hof vor dem Dschungel Wien liegt ein großes, rotes Etwas mit dunklen Augen und langen roten Tentakeln (Skulptur von Kollektiv Moradavaga).
Die immer noch aufgeregte Taube führt das Publikum zur Krake, denn als solche entpuppt sich das rote Etwas, das unbeweglich auf dem kalten Betonboden wie ein riesiger verwahrloster Gartenschlauch liegt . Ein freundliches Sitzrund lädt drumherum zum Verweilen ein. Währenddessen die Taube ohne Unterlass und kaum luftholend den Oktopus (lat. für Krake) erklärt, wird dieser langsam lebendig.
Drei Performerinnen (spielfreudig in unterschiedlichen Rollen: Lena Plochberger, Martina Rösler und Michèle Rohrbach) winden sich in den ewig langen Armen, den Tentakeln, drehen, schieben, schmeißen, bewegen die dunkelroten Kunststoffrohre, und fragen nach der eigenen Identität: „Ich bin ich, bin ich wir?“ Alle acht Richtungen werden untersucht: links, rechts, vorne, hinten, oben unten, früher und später. Die Tentakeln fragen sich: sind sie allein, sind sie Teil eines Ganzen, oder alles gleichzeitig? Dreistimmig wendet sich der Oktopus mit all seinen Armen in Erkenntnis, nicht allein zu sein, ans Publikum: „Seid ihr Menschen? Seid ihr alle so eckig? Habt ihr Knochen? Mehr als einen?“ Das erstaunt, denn dem Oktopus reicht ein einziger Knochen, der zwischen den Augen.
Dann bekommt der Oktopus Besuch: Es erscheinen Unterseeboote mit schroffen Kapitänen und wilder Mannschaft, sich kraftvoll mit blauer Tinte verteidigende Krabben, liebliche blaue, aber sehr wütende Seesterne und ein Riesenroterball, der die Tentakeln zu einer Denkkaskade über das Hoch des Himmels und die Tiefe des Meeres anregt. Überhaupt wird im Stück viel gesprochen, viel angeregt, viel hinterfragt, manchmal aufgeregt erstaunt, manchmal erklärend, immer neugierig auf das, was noch dahinter sein könnte.
Das Publikum wird eingeladen, den Oktopus zu berühren (spürt sich seine Haut nicht vielleicht wie Vanillesoße an?), mit ihm ins Gespräch zu kommen, gemeinsam durchs Meer zu gleiten und zu segeln. Und dabei zu erkennen: im Zusammenspiel aller Unterschiede entsteht Gemeinschaft.
Kollektiv makemake: "Krake", Dschungel Wien und dem Museumsquartier Wien (MQ). Uraufführung: 18. September 2025 Bozen, Wien-Premiere am 27. September 2025 im Dschungel Wien