Zwei Pionier*innen des zeitgenössischen Tanzes in Österreich präsentierten ihre jüngsten Arbeiten in Wien: Editta Braun und Elio Gervasi zeigten dabei, dass ihre Experimentierfreude ungebrochen ist und sie auch nach 35+ Jahren des Bestehens ihrer Compagnien neue Wege suchen und finden. Auch diesmal fokussieren ihre Arbeiten auf die tänzerische Qualität der Bewegung, interpretiert von jeweils exzellenten Tänzerensembles.
„Underdogs“ von Editta Braun
Editta Brauns Choreografien beruhen in der Regel auf einer sozialen Aussage, die sie mit einer dynamischen Bewegungssprache übermittelt. So auch ihn ihrem neuen Stück „Underdogs“, in dem sich eine Reihe schräger und schrulliger Typen versammeln. Sie sind ängstlich, aggressiv, verletzlich oder auch lustig. Sie tragen schichtenweise Kleider übereinander, jeder von ihnen hat einen einen Gegenstand, eine Art Fetisch, bei sich. Sind sie Obdachlose, Überlebende eines Krieges? Eine dystopische Note ist ihrem Verhalten sicher eigen.
In jedem Fall sind sie alle in ihrer Welt versunken: die Frau, die ihre Pflanzen liebevoll-ängstlich beschützt, der Mann der einen Stock in seinen Fuß bohrt und sich so selbst am Weiterkommen behindert oder jener, der mit einer Matratze auftaucht und sich lustvoll akrobatisch immer wieder auf sie fallen lässt. Und damit eine Dynamik vorgibt, die den Rest des Stückes prägen wird. Mit zirzensischer Wendigkeit, akrobatischen Variationen und prägnanten Gruppenchoreografien nehmen diese Individuen nun Bezug zueinander auf, manchmal kämpferisch, dann wieder unterstützend. Sie fliegen durch die Luft, werden gefangen, werden manipuliert und legen schließlich langsam ihre äußeren Kleidungsstücke ab. Derart entblößt werden sie zu einer solidarischen Gemeinschaft, bevor sie wieder zu ihrem traumtänzerischen Einzelgängertum zurückkehren.
Editta Braun und ihre fabelhaften Tänzer*innen Francesco d’Amelio, Weng Teng Choi-Buttinger, Marcin Denkiewicz, Nikola Majtanova, Marcello Musini und Jerca Rožnik Novak schaffen ein poetisches und zutiefst menschliches Universum der Ausgegrenzten. Die Komposition von Thierry Zaboitzeff liefert dazu die musikdramaturgische Begleitung mit einem intensiven Klangspektrum.
„7-X-7 in C Molle“ von Elio Gervasi
Zum wiederholten Male widmet sich Elio Gervasi dem ikonischen Tanzschaffen von Merce Cunningham. Diesmal ist er vor allem an den räumlichen Dimensionen seiner Choreografie interessiert, hält sich aber weitgehend auch an dessen Bewegungsmodus, wunderbar umgesetzt von den Tänzer*innen Paula Dominici, Joe La Luzerne, Laura Finocchiaro, Julia Lundberg, Marco Antonio Hernández Rojas, Darja Turchenko und Talitha Maslin. Sie alle interpretieren die Choreografie mit emotionsloser Mine. Zusammen mit der Musik von Alessandro Vicard und dem mobilen Bühnenbild von David Bianchini wird so die abstrakte Faszination des wegweisenden Tanzkünstlers wieder lebendig.
Hin und wieder tauchen, wie auch in Cunninghams Choreografien, humoristische Momente auf, doch sie entstehen eher zufällig, denn beabsichtigt. Wohl sehr bewusst hatte Cunningham seine Arbeiten der abstrakten Bewegungsbilder im Durchschnitt für einen Zeitrahmen von etwa 20 Minuten konzipiert. Mit einer Dauer von über eine Stunde überfordert „7-X-7 in C Molle“ zwar mitunter die Konzentration der Zusehenden, doch insgesamt ist Gervasis Interpretation von Cunninhams Raum- und Bewegungsideen eine runde Sache geworden.
Editta Braun Company: “Underdogs” am 9. Oktober im Kosmos Theater Wien; Tanz Company Gervasi: „7-X-7 in C Molle“ am 10. Oktober im Odeon