Wenn Systeme kippen, ist nichts mehr, wie es war. Warnzeichen mag es viele gegeben haben, doch irgendwann ist der Point of no Return erreicht. Dieses bedrohliche Szenario haben sich Chris Haring und Liquid Loft in einer Kooperation mit dem Ensemble für Neue Musik Phace zum Thema genommen und gestalteten gemeinsam eine eindrucksvolle akustische Tanzinstallation im Zeichen jener Kanarienvögel, die einst im Bergbau als Alarmdispositive für lebensbedrohendes Kohlenmonoxid herhalten mussten.
Das Publikum erreicht seine Sitzplätze diesmal ausschließlich über die Spielfläche. Da sind zehn Paneele aufgebaut mitsamt einigem technischen Equipment, wie Mikrofonständer und Kameras. Die Akteurinnen befinden sich in deren Nähe, denn wie man es schon kennt von Liquid Loft, ist jeder Spielerin eine Art Homebase zugeordnet.
Dieser Weg auf die Tribüne bietet eine interessante räumliche Erfahrung, denn die Positionen der Vorrichtungen sind recht ausgeklügelt ausgewählt und beziehen die Odeon-Säulen mit ein. Später am Sitzplatz bekommt nicht jeder dasselbe mit, denn die Blickachsen sind unterschiedlich. Ein Sänger von Phace intoniert von der Tribüne aus die Arie der Königin der Nacht aus Mozarts „Zauberflöte“, aber klanglich verfremdet. Von Phace werden außerdem Werke von Simon Stehen Anderson, Alessandro Baticci, Jerome Combier, Francois Sarhan sowie Andreas Berger gespielt.
In der Folge bewegen sich die Performerinnen wie die Kanarienvögel in und um ihre metaphorischen Käfige. Wieder ist das Setting ähnlich anderen Werken von Haring, choreografiert werden auch Bilder und Objekte. Die Performerinnen sind auf den Paneelen als spannende Bilder projiziert. Sie verändern ihre Bilder selbst, indem sie die Kameras manipulieren, und sprechen in Mikrofone Phrasen im Plauderton. Gegen Ende gibt es eine Art Gruppentanz, der tänzerisch gesehen recht austauschbar ist. Aber der genuine Tanz ist auch nicht unbedingt die Stärke von Liquid Loft, eher die choreografierte Technik. Dann vereinsamen alle wieder, bis irgendwann das erste Paneel fällt. Ein Kanarienvogel hat seine Aufgabe erfüllt, dann der nächste und noch einer.
Es entstehen starke Bilder am Ende, wenn der technische Zauber vorbei ist. Zurück bleibt eine trostlose Öde, verstärkt durch den technoiden Schlußgesang. Die Kunst als warnende Cassandra.
Liquid Loft & Phace: “Coal Mine Birds” am 18. Oktober im Odeon
