Die nationalsozialistische Militärjustiz verhängte während des Zweiten Weltkrieges mehr als 30.000 Todesurteile, die meisten gegen Deserteure und „Wehrkraftzersetzer“. Die Opfer der NS-Militärjustiz wurden erst im Jahr 2009 vom Nationalrat rehabilitiert. Die Stadt Wien beauftragte nun Olaf Nicolai mit der Kreation eines Denkmals für die Verfolgten. Zur Eröffnung am 24. Oktober wird Mikael Marklund ein Choreografie von Laurent Chétouane tanzen.
Die Handlungsweisen, Lebenswege und biografische Hintergründe der Verfolgten der NS-MIlitärjustiz waren sehr vielfältig. Vor den Militärgerichten standen erklärte politische GegnerInnen des Nationalsozialismus ebenso wie Menschen, die aus sehr unterschiedlichen Motiven heraus individuelle Freiräume suchten. Jegliche Form der Widersetzlichkeit oder etwa die Unterstützung von Deserteuren durch zivile HelferInnen galten als politische Delikte und wurden mit härtesten Strafen geahndet.
Nach Kriegsende hielt sich in Österreich lange der Mythos, durch den Einmarsch deutscher Truppen im Jahre 1938 sei Österreich das „erste Opfer“ deutscher Kriegspolitik geworden. Dennoch galt der Dienst österreichischer Soldaten in der „Großdeutschen“ Wehrmacht als Pflichterfüllung oder gar als heldenhaft. Den Überlebenden der Verfolgung durch die NS-Wehrmacht schlugen Ablehnung bis Feindschaft entgegen.
Doch die historischen Forschungen der letzten Jahrzehnte rückten dieses Bild zurecht. Endlich setzte sich die Erkenntnis durch, dass sich die nationalsozialistische Militärjustiz bedingungslos in den Dienst eines verbrecherischen Krieges gestellt hatte. Im Jahre 2009 rehabilitierte der Nationalrat mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und Grünen die Opfer der Verfolgung durch die Wehrmachtsgerichte.
Die Stadt Wien schrieb 2013 einen Wettbewerb für die Gestaltung eines Denkmals für die Opfer der NS Militärjustiz aus, bei dem der Entwurf des deutschen Künstlers Olaf Nicolai als Sieger hervorging. Die Skulptur Olaf Nicolais greift die klassischen Elemente eines Mahnmals "Sockel" und "Inschrift" auf, arrangiert diese aber völlig anders als traditionelle Kriegerdenkmäler.
In einem feierlichen Festakt wird nun das Mahnmal am Ballhausplatz eröffnet. Ein überdimensionales, liegendes "X", wird anlässlich der Eröffnung mit einem performativen Akt des Choreografen Laurent Chétouane auf Einladung des Tanzquartiers Wien bespielt. Die Choreografie "M!M", die von Jacques Derridas "Politik der Freundschaft" inspiriert ist, setzt sich mit Nicolais Skulptur auseiander und nimmt auf deren Inhalt Bezug: auf das Erinnern an Vergangenheiten und auf gegenwärtige Zivilcourage. Diese auf den Ort bezogene Solovariante von "M!M" wurde von Laurent Chétouane mit dem Tänzer Mikael Marklund gemeinsam erarbeitet. Der Tänzer tritt in Dialog mit der Inschrift des Denkmals, einer Kombination der Worte "all / alone", die ein concrete poem des schottischen Künstlers Ian Hamilton Finlay zitieren.
Neben einer Reihe prominenter Festredner aus der Politik (Bundespräsident Heinz Fischer, Minister Josef Ostermeyer, Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny und David Ellensohn, Klubobmann der Grünen Wien) werden der Politikwissenschaftler Walter Manoschek, die Schriftstellerin Kathrin Röggla, der Zeitzeuge und Deserteur Richard Wadani sowie die Geschäftsführerin von KÖR (Kunst im öffentlichen Raum) Martina Teig zur Eröffnung des Mahnmales sprechen. Weitere künstlerische Beiträge umfassen Friedrich Cerhas „Spiegel VI“ mit dem ORF Symphonie Orchester Wien und der Chor Gegenstimmen mit „Sag Nein!“, einem Auszug aus der „Ode an den Deserteur“ von Frederic Rzewski mit einem Text von Kurt Tucholsky/Wolfgang Borchert.
Olaf Nicolai: Denkmal für die Verfolgten der NS Militärjustiz von Olaf Nicolai in 1010 Wien, Ballhausplatz 2. Feierliche Eröffnung am 24. Oktober um 11 Uhr.