Die in Japan geborene und seit fast 20 Jahren in Europa lebende Tänzerin Yukie Koji ist im Dezember mehrfach auf Wiens Bühnen zu sehen. Als Mitglied der Tanz Company Gervasi tanz sie in der neuen Produktion „the white horn" im Odeon. Eine Woche später feiert ihr prämiertes Stück „T“, das sie zusammen mit dem Schweizer Regisseur Hanspeter Horner realisiert hat, im Raum 33 seine Wien-Premiere.
Ursprünglich sollte es ein Stück über Tsunamis werden, „als Sinnbild von etwas, das auf uns zukommt und das wir nicht wahrhaben wollen.“ Doch im Zuge ihrer Recherchen entdeckten Yukie Koji und Hanspeter Horner „immer mehr verrückte Geschichten über Fukushima“ und eine Riesendiskrepanz zwischen der Realität und dem, was das offizielle Japan seinen eigenen Leuten und der Welt vorspiegelt.
Die Uraufführung von „T wie Tsunami“ im Kulturni Dom in Bleiburg/Pliberk als Produktion des dortigen choreografischen Zentrums (CCB) löste betroffene und anerkennende Reaktionen aus.
Das Bundeskanzleramt hat die radikal mit der Atomlobby abrechnende Tanztheaterproduktion mit 4.000 € prämiert. Johann Kresnik, der Schirmherr des CCB war „begeistert vom Stück und vom spannenden Thema. Es ist ein Glück jemanden aus Japan hier zu sehen, der so ein Thema aufgreift … Es ist sehr wichtig, dass jetzt Menschen aus Japan kommen und uns sagen, wie gelogen wird.“
Denn gelogen wird viel. Die engagierten JournalistInnen, deren Aussagen von Koji in einem Video gesprochen werden, haben zum Großteil ihren Job bei Zeitungen, Funk und Fernsehen verloren.
Ihnen gegenüber stehen die AKW-Betreiberfirma TEPCO und die Regierung, die eine Appeasement-Politik betreiben, die von der Tänzerin auf der Bühne als TEPCO-Managerin verkörpert wird.
Man will die Katastrophe verharmlosen, vergessen, nicht wahrhaben und so ist in Japan die Aufmerksamkeit ganz auf die Olympischen Spiele 2020 gerichtet.
„Kinder mussten im Meer schwimmen, um zu zeigen, dass alles in Ordnung ist. Aber den Kopf durften sie nicht ins Wasser tun,“ erzählt Yukie Koji. Man will Normalität vermitteln und das findet sie auf der persönlichen Ebene auch verständlich, denn: „Es ist einfach zuviel. Die Menschen wollen auch ganz normal leben.“
Doch gleichzeitig ist es „eine Riesenschweinerei“, finden Horner und Koji. „Abgesehen davon, dass wieder Geld fehlen wird für den Wiederaufbau nach dem Tusnami – das sind ja Milliarden-Schäden, die man sich gar nicht vorstellen kann – sondern auch dass das Internationale Olympische Komitee sich praktisch hinter eine Atom-Lobby stellt. Die Fußballer sollen 80 km von Fukushima entfernt untergebracht werden. Ok, wahrscheinlich ist es für niemanden lebensgefährlich. Aber es ist doch so, dass sich heute eigentlich kein Land mehr die Olympischen Spiele leisten kann, aber gerade Japan leistet es sich.“
In Japan könnte das Stück polarisieren, doch in „in Österreich ist es natürlich ein bisschen ein Heimspiel. Von Grund auf ist die Nation gegen AKWs eingestellt und es gibt eigentlich niemanden, der nicht unserer Meinung ist. Wo das Publikum schockiert ist, ist in der Reflexion: wow, haben wir schon wieder vergessen. Die Dinge verschwinden schnell aus den Medien … Ich will jetzt keine Verschwörungstheorie aufstellen“, sagt Horner, „aber wenn du fragst, warum wird nicht mehr berichtet – die ganz großen Firmen dieser Welt bauen AKWs. Für mich ist es immer wieder erstaunlich, wie die Atomlobby immer wieder auf die Füße kommt. Wir haben noch keine Lösung für die Abfälle. Wir hatten schon drei große Unfälle innerhalb kürzester Zeit. Sellafield, Tschernobyl und Fukushima, und das sind nur die Großen. (In der Schweiz gibt es auch ein Kraftwerk, in Lusence, das man nicht mehr betreten kann.) Keine Berechnung der Atomlobby hat das vorausgesagt. Und trotzdem wird gebaut.“ Wobei speziell in Japan „auch Hiroshima nahe liegt. Und da kriegt man eigentlich das Gefühl, dass auch die Waffenlobby dahintersteht mit ihren atomaren Sprengköpfen.“
Keine Angst vor Agitprop. Die beiden bekennen sich mit dieser Produktion zum politischen Theater. Es ist ihnen wichtig, einen Standpunkt zu zeigen. „Ja“, sagt Horner. „Agitprop ist es auch. Aber der Tanz hat eine ganz andere Dimension und geht weiter als die Sprache. Ich glaube, Tanz kann sogar politischer sein als nur die Sprache. Der Tanz kann so vieles.“
„Und besonders mit einer großartigen Tänzerin wie Yukie Koji“, fügt er hinzu. Diese war nach ihrer Ausbildung als klassische und zeitgenössische Tänzerin in Japan, Zürich und bei Marika Besobrasova an der Princess Grace Academy in Monaco an den Staatstheatern von Saarland und Braunschweig engagiert, bevor sie als Choreografin ihre eigenen Projekte verfolgte. Als freiberufliche Tänzerin arbeitet sie unter anderen auch mit dem Wiener Elio Gervasi.
Unterstützt wurden die beiden bei der Tanztheater-Produktion von Yukie Kojis Bruder, der das Bühnenbild realisiert hat. Anfangs sei er eher skeptisch gewesen, „dass wir in Europa etwas über Japan, ja sogar gegen Japan machen. Er meinte zum Beispiel, wir könnten nicht sagen, dass die Japaner brain washed seien. Das hat ihn sehr schockiert. Aber durch viele Diskussionen und die gemeinsame Arbeit ist er immer mehr mit uns zusammen gewachsen. Das war sehr spannend.“
Gleichzeitig geben Koji und Horner zu, dass sie die japanische Gesellschaft ziemlich krass darstellen. „Natürlich gibt es auch in Japan viele Menschen, die sich dagegen auflehnen, die Gerichtsverfahren machen, aber leider ist es eine Minderheit. Die Gesellschaft in Tokio hätte ja die Chance gehabt mit der Wahl des Bürgermeisters einen AKW-Gegner zu wählen, aber sie hat es nicht gemacht. Und man muss irgendwie schon sehr brain washed sein, wenn man, nach allem was passiert ist, einen Befürworter wählt.
Das heißt, wir sind natürlich nicht ganz gerecht, aber es geht auch darum über eine Gesellschaft nachzudenken. Warum eben die Japaner noch ganz anders reagieren als zum Beispiel die Deutschen, die aufgrund von Japan aus der Atomenergie aussteigen wollen. Oder die Schweizer wollen es ja auch. In der Schweiz hat man nach Fukushima ein Referendum für den Ausstieg gewonnen, und nach Tschernobyl eines für ein Moratorium.“
Yukie Koji & Hanspeter Horner: „T“ am 9.10. und 11.Dezember 2014 im Raum 33 (Laxenburgerstrasse 32, 1100 Wien / U1 Keplerplatz)
Yukie Koji tanzt beim ImPulsTanzSpecial „La Notte Italiana“ in der Choreografie „the white horn“ von Elio Gervasi am 3., 4. Und 5. Dezember im Odeon