Im Ballett „Don Quixote“ steht weniger der Ritter von der traurigen Gestalt im Mittelpunkt, sondern der armer Barbier Basil. Er liebt die Wirtstochter Kitri. Der Vater ist dagegen. Am 28 Februar hat die Neueinstudierung von Rudolf Nurejews für Wien geschaffene Fassung des Balletts „Don Quixote“ Premiere. Einstweilen wird noch hart geprobt.
Das in Moskau 1869 uraufgeführt Ballett von Marius Petipa hat erst 100 Jahre später auf westliche Bühnen gefunden. Dass die Musik vom Österreicher Ludwig Minkus komponiert ist, hatte auf Wiener oder Pariser Ballettchefs keinen Eindruck gemacht. Rudolf Nurejew ist es zu verdanken, dass der Ballettklassiker, Jahrzehnte lang Fixpunkt im Repertoire des Bolschoi-Balletts und immer noch eines der beliebtesten Ballette in Russland, Eingang in die internationalen Spielpläne fand. Von Wien aus, wo „Don Quixote“ 1966 uraufgeführt wurde, reiste der Mann von La Mancha samt seinem Gefolge und dem Liebespaar nach Paris. Premiere war 1981. Jetzt holt Ballettdirektor Manuel Legris die getanzte Komödie wieder nach Wien zurück. Keine Überraschung, dass er die Abenteuer- und Liebesgeschichte im spanischen Ambiente selbst einstudiert.
Die Zeit drängt. Die große Bogen ist SolistInnen und dem Corps bereits vertraut, jetzt geht es an die Feinarbeit. Noch sind Maria Yakovleva und Denys Cherevychko entspannt. Zwar liegen die Hände des Pianisten und Ballettkorrepetitors Igor Zapravdin bereits auf den Tasten; Chantal Lefèvre, die Probenleiterin, sitzt aber noch allein in der Sesselreihe an der Wand, so wirklich hat die Probe noch nicht begonnen.
Kitri und Basil dürfen den Pas de deux aus dem 2. Akt noch tanzen wie es ihnen gefällt. Danach wird getanzt, wie es Manuel Legris gefällt. Mit gespannter Aufmerksamkeit beobachten wir, was das verliebte Paar so treibt.
Verliebt ist natürlich Kitri in Basil. Zwar probiert Cherevychko die Grands Jetés und den „Poisson“ mit der Partnerin in sportlich kurzer Hose und Yakovleva tanzt im schwarzen Trikot mit lässig um die Hüften geschlungenem Chiffon, doch Mienenspiel und Körperhaltung machen schon deutlich, dass sich hier die gewitzte Kitri und der verliebte Basil umschlingen. Selbst wenn sie sich mitunter flüsternd auf Russisch unterhalten. Zur Sache natürlich. Oder vielleicht doch über die gemeinsame Reise nach Moskau? Auch Maria Yakovleva ist, wie Denys Cherevychko, für die Teilnahme am Prix Benoit vorgeschlagen. Die Einladung nach Moskau hat sie in Georges Balanchines Ballett "Rubies" ("Juwelen der neuen Welt") ertanzt.
Auch wenn Legris als Franzose mit der Ballettsprache aufgewachsen ist, beugt er sich dem international zusammengesetzten Ensemble und spricht Englisch mit seinen Tänzerinnen und Tänzern. Mit seinen Assistentinnen aber wird Französisch gemurmelt. Mögen sich auch die Sprachen manchmal verwirren, Beine und Arme tun es nur noch selten. Und wenn doch, brechen die beiden so ernsthaft Probierenden spontan in Gelächter aus, nehmen wieder die Ausgangsposition ein und beginnen unverdrossen von vorn.
Nicht nur Manuel Legris betrachtet seine Solisten (Yakovleva ist Erste Solotänzerin, Cherevychko Solotänzer) mit nahezu väterlichem Wohlwollen zugleich aber fordernder Strenge. Doch dem Klischee des sadistischen Ballettmeisters entspricht der ehemalige Stern an der Pariser Oper in keiner Geste, keinem Wort und schon gar nicht, wenn er immer wieder vorzeigt, wie er sich diese oder jene (winzige) Bewegung vorstellt. Dabei singt er die passende Musik dazu und steht mit dem Rücken zu den Beiden, sieht aber im großen Spiegel an der Breitseite des Probensaals im obersten Stock der Staatsoper genau ob ihm gefolgt wird. „Nicht so steif, dreh dich mit ihr, jetzt beuge dich nach rechts: Jaa. Das ist es!“ Mascha (Maria Yakovlevas Rufname) darf den Arm nicht so weit durchstrecken, nicht in der Hüfte einknicken, die Schulter nicht hängen lassen. Denys soll nicht zappeln, mehr Energie in die Schritte legen, der Partnerin mehr Schwung geben: „Sie muss ja ein Fouetté machen!“ Und auch ein festes „Nein, das ist nichts“ bekommen die Beiden zu hören. Sie nicken eifrig wie die Kinder, sagen „O.K.“ und „Charascho“ und Manuel Legris tröstet: „Ich weiß, dass das schwer ist, aber es wird sehr schön aussehen.“
Dann darf sich der atemlose Basil ausruhen und Kitri streift ein ehemals weißes Tütü über. Jetzt ist die Yakovleva Dulcinea, von der Don Quixote (Thomas Mayerhofer) träumt. Pianist Zapravdin, ist nicht nur am Klavier sondern auch in den Ballettpositionen ausgebildet. Geboren in Sewastopol auf der Insel Krim, startete er seine Karriere als Ballettkorrepetitor am Moskauer Stanislavsky-Theater. Seit 1992 ist er im Team der Tanzcompagnie an der Wiener Staatsoper. Ganze Tänzergenerationen und einige Direktoren sind an ihm vorbeigezogen, er hat die Stellung gehalten und ist so mancher Tänzerin, so manchem Tänzer beigestanden. So hört ihm auch die Yakovleva aufmerksam zu, wenn er die Hände vom Klavier nimmt, sich schräg in den Saal beugt und sagt: „Du machst zu früh auf.“ Stimmt, nickt Legris.
Immer wieder prüft Legris, ob auch die körperlichen Voraussetzungen für die komplizierten Drehungen und Hebungen gegeben sind. Übers Knie (oder sonst ein Gelenk) wird auch bei den härtesten Proben nichts gebrochen.
Am Ende sieht der Maître auf die Uhr. Nahezu zwei Stunden sind im Flug vergangen, auch wenn die probierten und noch einmal probierten Passagen auf der Bühne vielleicht gar nicht wirklich wahrgenommen werden, weil sie so flüchtig sind. „Zwei Minuten noch, Mascha, schnell, schnell!“ Einmal noch kommt Kitri aus der linken Ecke, mit verschmitztem Lächeln quert sie die Bühne, tupft dem ängstlich dastehenden Basil auf die Schulter, zupft ihn am Gewand und fliegt in seine Arme. „Superbe“ lobt Legris. Zapravski schließt den Klavierdeckel, Yakovleva und Cherevychko trocknen sich mit Papiertüchern den Schweiß.
Für diesen Tag ist Arbeit getan.. Doch bis zur Generalprobe sind noch gut 20 Tage. Dann werden mit Kitri und Basil auch die Königin der Dryaden und Amor aus Quixotes Traum (Olga Esina/ Kiyoka Hashimoto), der Chef der Zigeuner und der Tornado Espada (Mihail Sosnovschi / Vladimir Shishov) und das gesamte spanische Ensemble tatsächlich perfekt und prächtig sein. Superbe eben.
„Don Quixote“ Choreografie und Inszenierung Rudolf Nurejew; Musik Ludwig Minkus, arrangiert von John Lanchbery. Premiere an der Wiener Staatsoper am 28. Februar 2011.