Mit seiner Auftragsarbeit des Tanzquartier Wien im Rahmen und von Szene Bunte Wähne will Philippe Riéra vor allem eines: „Ich möchte die türkisch-stämmige Community ansprechen, sie sichtbar machen. Diese jungen Menschen sind zwar ÖsterreicherInnen, aber fühlen sich nicht ganz als solche. Andererseits sind sie in der Türkei auch nicht zu Hause.“
„Und ich hoffe, dass auch das Publikum im Tanzquartier Wien ein anderes sein wird und viele Vertreter dieser Community zur Vorstellung kommen.“
Mit dem Zustand „zwischen den Kulturen zu leben“, kann sich der französische Choreograf mit Wiener Wohnsitz gut identifizieren. Dreimal habe er schon einen Deutsch-Anfängerkurs an der Universität Wien angefangen. „Doch dann kam eine Tournee und als ich zurück kam, war es unmöglich, wieder einzusteigen“, erklärt Philippe Riéra sein Dilemma. „Zu Hause spreche ich mit meinen Kindern französisch, damit sie zweisprachig aufwachsen“. Die Chancen, sich konsequent mit der deutschen Sprache zu beschäftigen, sind also denkbar gering. Tant pis.
Es ist kein entscheidender Nachteil, denn als Proponent von Superamas zählt Riéra zu den erfolgreichsten Vertretern der österreichischen Performance-Szene (obwohl man dieses Kollektiv auch nicht so einfach national vereinnahmen kann).
Auf der Probe, die ich besucht habe, geht es jedenfalls kosmopolitisch zu, verschmelzen französisch, türkisch, englisch und deutsch zu einem bunten Mix.
Die Arbeit mit Laien ist für Riéra neu und sie gestaltet sich ziemlich schwierig. „Es ist ein Experiment“, sagt er. „Was kann ich mit Leuten machen, die nicht zur Probe kommen. Ich weiß wirklich selbst nicht, was ich erwarten soll.“
Zur Audition kamen etwa 30 Interessierte. Da die meisten von ihnen erwarteten, dass sie nun türkische Tänze tanzen sollten, blieb nur eine Handvoll übrig. Denn mit Folklore hat Riéra nichts am Hut. Er hat nach jungen Menschen gesucht, die sich auf das Abenteuer „Contemporary Dance“ einlassen wollten. Er wählte sieben aus, zwei davon sind abgesprungen, Keiner der jungen Leute (zwei Mädchen und drei Burschen von 17 bis 19 Jahren) ist bisher mit zeitgenössischem Tanz oder Performance in Berührung gekommen.
Bi der Probe, die ich besucht habe, waren nur drei da. Philippe Riéra geht behutsam mit ihnen um, beobachtet und interveniert nur in Fragen der darstellerischen Qualität, nicht aber auf der Bewegungsebene. Hier agieren die PerformerInnen im Rahmen ihrer Möglichkeiten, und das ist gut so.
Die Probe beginnt mit einem Video von Christine Gaiggs Produktion „Trike“. Vor diesem versuchen Halil, Semiha und Memo einzelne Bewegungen auf ihre Körper zu übertragen. Es folgt ein Wortspiel zu zweit (das auch mit dem Publikum gespielt werden wird), bei dem Gegensätze wie „blau oder grün“, „asian woman oder black woman“, „hot or cold“ abgefragt werden. „Die Fragen müssen zunehmend intimer werden“, interveniert Philippe auf französisch. Seine choreografische Assistentin Bahar (Mitglied von Superamas) übersetzt auf türkisch. „Das ist wichtig für das Publikum“, erklärt der Choreograf, „das Frage-Antwort-Spiel muss interessant sein.“
Auftritt der Gruppe aus dem Off. „Vergesst nicht zu lächeln“, erinnert Philippe, „nicht ironisch. Ihr öffnet dem Publikum euer Herz“.
Halil singt ein berührendes, türkisches Lied. Die anderen zwei umarmen einander. Philippe wartet eine Zeitlang. Dann geht er zu Memo, der stocksteif in Semihas Armen steht, und ermuntert ihn, „sensibler“ zu sein. „Du magst sie wirklich“, meint er. Memo lächelt verlegen.
Alle Scheu verfliegt, wenn die beiden Männer zu Techno-Musik ihre Moves tanzen. Doch auch hier ist Riéra noch nicht ganz zufrieden, denn: „Das muss noch richtig sexy werden“.
Genug geprobt. Zum Abschied gibt es aber für alle ein Lob und eine Umarmung.
Zu diesem Zeitpunkt wissen die TänzerInnen noch nicht, dass Philippe eine neue Herausforderung parat hat: „Die Musik kommt noch weg“, sagt er uns, den Zuseherinnen, nach der Probe. „Sie sollen aber tanzen, als ob die Musik da wäre.“ Ob das klappen wird?
Eine Woche vor der Premiere ist noch nicht abzusehen, was aus diesem „Portrait der Stadt“, als das Riéra das Stück „I Love Vienna“ konzipiert hat, entstehen wird. Eines ist aber jetzt schon sicher: in diesem Prozess machen die jungen Menschen nicht nur ihre ersten Erfahrungen mit zeitgenössischer Bühnenkunst, sondern tauchen ein in einen interkulturellen Dialog, der auf gegenseitigem Respekt beruht. Der Rest darf ruhig eine Überraschung bleiben.
„I Love Vienna“, 1. und 2. März 2012 im Tanzquartier Wien im Rahmen des Szene Bunte Wähne Tanzfestivals für junges Publikum (ab 14).
DIE VORSTELLUNG IST AUF GRUND VON KRANKHEITSFÄLLEN ABGESAGT WORDEN.