Walter Heun führt sein Konzept, das jüngere Tanzgeschichte mit aktuellen Tendenzen verbindet, im Tanzquartier Wien fort
Die positive Bilanz zieht Ulrike Heider-Lintschinger, Geschäftsführerin des Tanzquartier Wien, zwar nicht euphorisch, aber doch mit viel Optimismus. 2009 haben sich die Zahlen in allen Bereichen, die das Haus anbietet, gesteigert. Bei den Vorstellungen wurde inzwischen eine von 83% erreicht, Tendenz steigend.
Auch das Trainings- und Workshopprogramm, das seit dieser Saison tänzerfreundlicher gegliedert ist, kann nun mehr TeilnehmerInnen verbuchen. Auch die Einführungs- und Künstlergespräche zu den jeweiligen Vorstellungen erfreuen sich regen Zuspruchs seitens des Publikums.
Es scheint, als ob die vorsichtige Kurskorrektur, die Intendant Walter Heun seit dieser Saison im Tanzquartier vornimmt, gut angenommen wird.
Mit einem Blick auf die jüngere Tanzgeschichte begann Heun seine Intendanz im Herbst mit der Trisha Brown Company. Dieser Bezug zur Geschichte wird in der zweiten Hälfte der Spielzeit 2009/2010 mit Pina Bausch „Kontakthof mit Teenagern ab 14 Jahren“ weitergeführt. Dieses Gastspiel (in Kooperation mit dem szene bunte wähne Tanzfestival für ein jugendliches Publikum - link) ist bereits jetzt nahezu ausverkauft. Mit Cesc Gelaberts Rekonstruktion von Gerhard Bohners „Schwarz Weiß Zeigen. Übungen für einen Choreografen“ (19. und 20. März) erfüllt sich Heun ein Traumprojekt, hatte er doch das Originalvideo mit Bohner seinerzeit selbst aufzeichnen lassen. Der spanische Tänzer und Choreograf Gelabert hält nach „Im Goldenen Schnitt I und II“ mit einem weiteren Stück Bohners Erbe lebendig und versieht dessen nüchtern geometrischen Choreografien mit mediterranem Flair. Unter Beibehaltung der Präzision verliert Bohners Werk bei Gelabert an Strenge und gewinnt an Ausstrahlung.
Auch den jungen Performer Fabian Barba interessiert die Tanzgeschichte. Er nähert sich in seinem „Mary Wigman Dance Evening“ dem Werk der Ausdruckstänzerin, indem er Verbindungen zum Gegenwartstanz und zu seiner eigenen Tanzkultur in Ecuador sucht (9. und 10. April).
Im kuratorischen Schwerpunkt dieser Saison „Rochade: Schweiz“ geht es am 19. und 20. Februar mit dem Gastspiel von Alexandra Bachzetsis' „Dream Season“, einer Art Soap auf der Bühne, weiter.
Eine Begegnung mit dem Enfant terrible der kanadischen Tanzszene Dave St-Pierre gibt es von 9. bis 13. März. Zwei Stücke stehen auf dem Programm, deren Titel sich bereits anzüglich anhören: „La Pornographie des âmes“ und „Un peu de tendresse bordel de merde!“ Sie sind „Teil einer künstlerischen Trilogie über heutige Utopien, über ‚Menschlichkeit, Liebe, Leben und Tod'“. Nicht mehr und nicht weniger. Denn Dave St-Pierre ist ein Getriebener. dem aufgrund einer unheilbaren Krankheit die Zeit davonläuft. Ob es die nackten AkteurInnen (TänzerInnen und SchauspielerInnen) oder doch die Aktionen auf der Bühne sind, die das Tanzquartier veranlassen diese „heutigen Utopien“ mit einer Art Jugendverbot zu belegen? Jedenfalls wird der Besuch für Personen ab 18 Jahren empfohlen.
Harmloser hört sich das Stück vom ausgebildeten und praktizierenden Schauspielregisseur Laurent Chétouane an, das einem „utopischen Bild eines Kollektivs der Zukunft“ nachspürt. Es heißt einfach „Tanzstück #4: Leben wollen (zusammen)“ und steht am 25. und 26. März auf dem Spielplan.
Gastspiele österreichischer Gruppen sind die Cie Willi Dorner mit der Uraufführung der Bühnenversion von „above under inbetween / stage“ von 4. bis 6. März, in der die TänzerInnen mit ihren Körpern eine Art mobiles Mobiliar auf- und abbauen, sowie Superamas mit der Wiederaufnahme von „Empire (Art & Politics)“ am 29. und 30. April.
Natürlich steht auch der Konzepttanz weiterhin prominent auf dem Programm des Tanzquartiers. Etwas mit „Scores#1 touché“ von 21. bis 24. April. Bei diesem „künstlerisch-theoretischen Parcours zu sichtbaren und unsichtbaren Berührungen in Tanz und Performance“ wirken an die 20 KünstlerInnen mit. Rachid Ouramdane aus Frankreich und die Mete Ingvartson (Dänemark) zeigen im Rahmen dieser „konzentrierten Kuratierung“ jeweils eine Produktion. Das von Sabina Holzer ins Leben gerufene zweitätigen Labor „On Listening“ eröffnet einen „künstlerischer Forschungsraum über das Hören“. Forschung mit Mitteln der Kunst leistet auch die interdisziplinäre „Fieldwork-Methode“, die am 16. März mit einem öffentlichen Showing Einblick in die Arbeit des Feedback-Workshops gibt.
Das Residenzprogramm am Tanzquartier Wien wird von Milli Bitterli begleitet und schließt mit dem Titel „Accumulations“ wieder den Kreis zu Trisha Brown, deren Choreografie „Accumulation“ exemplarisch für diese spezifische Art der Bewegungskomposition ist und Anstoß zu einem „künstlerisch-diskursiven Recherche- und Arbeitsprojekt“ gegeben hat.
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