Die Auswirkungen von Covid 19 und der diesbezüglichen gesundheitspolitischen Maßnahmen sind vielfältig. Gruppentreffen, Sport, Bewegungsangebote finden seit Monaten entweder gar nicht mehr oder nur noch reduziert statt. Um die sozialen und physischen Kollateralschäden, die durch den Entfall der Tanzangebote für ParkinsonpatientInnen entstehen, aufzufangen, haben Tänzer und Tanztherapeuten online-Angebote kreiert. Die Wiener Tanz- und Kunsttherapeutin Ursula Löwe beschreibt das Programm Dance for PD der Mark Morris Dance Company in New York und ihre eigene Praxis in Zeiten von Corona.
An Parkinson erkrankte Menschen sind Risikopatienten. Sie sind daher von diesen Einschränkungen in besonderem Maße betroffen. Viele halten sich seit Monaten nur noch zu Hause auf. Die wöchentlichen Tanztherapiegruppen für Parkinsonpatienten, die ich seit sieben Jahren anbiete, sind zum ersten Mal nicht mehr möglich. Noch mehr als sonst, erscheint gerade Menschen, die von Parkinson betroffen sind, das Leben „wie eingefroren“. In den Zeiten der Pandemie gilt es nach neuen Wegen zu suchen, um weiterhin Begegnung und Lebensfreude mit Tanz und Bewegung zu ermöglichen.
Was ist der Nutzen von Tanztherapie?
Tanztherapie kann als begleitende Therapie bei Parkinson einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung des Allgemeinzustandes leisten, die Haltungsstabilität und die Flexibilität des Bewegungsapparates stärken, das Wohlbefinden, wie auch Selbstwert und soziale Zugehörigkeit fördern. Die Wirksamkeit von Tanztherapie ist wissenschaftlich belegt und von der Weltgesundheitsorganisation anerkannt.
Da wir aktuell nicht gemeinsam live tanzen können, habe ich mich gefragt, ob Internettechniken auch für therapeutische Zwecke einsetzbar sind. Tanz und Bewegung vor dem Bildschirm, ganz ohne körperliche Begegnung – ist das überhaupt möglich? Im Frühjahr habe ich mit Einzelstunden über Whatsapp and der interaktiven Videoplattform Zoom begonnen. Nicht nur die Teilnehmer und Teilnehmerinnen, auch ich selbst musste lernen, wie mit diesen Medien umzugehen ist. Seit Herbst biete ich nun regelmäßige virtuelle Gruppentreffen über Zoom an: „Tanz, Bewegung und Begegnung für Menschen mit Parkinson online via Zoom-Plattform.“
Dabei handelt es sich aber nicht etwa um das individuelle Nachtanzen vorgefertigter Videos, sondern um die interaktive zeitgleiche Teilnahme aller an virtuellen Gruppentreffen. Die angemeldeten Teilnehmer erhalten von mir eine Einladung via E-mail. Mit dem Klicken eines Links können sie sich am festgelegten Termin in das Gruppentreffen einschalten. Mit Kamera und Mikrofon sind sie dabei. Alle können sich sehen und auch hören – und dann wird getanzt! Vor dem Bildschirm, jede und jeder in der persönlichen häuslichen Umgebung.
Kann das gut gehen, werden viele fragen? Kann man in diesem Rahmen Bewegung und haptische Erfahrung stimulieren? Kann ein Gruppengefühl entstehen beim Bewegen und Tanzen vor dem Bildschirm? Ist es möglich, auf diesem Weg das social distancing zu überwinden? Begegnung, direkten Kontakt und Austausch zu erfahren? Können auch Menschen, die mit der digitalen Technik wenig vertraut sind, von diesem Angebot profitieren? Besondere Zeiten machen erfinderisch und lassen uns auch durchaus positive neue Erfahrungen sammeln.
Erfahrungen aus den USA
„Dance for PD®“ (Parkinson Disease) – Tanzen für Menschen mit Parkinson – ist ein großangelegtes Programm der Mark Morris Dance Group in den USA, dort großzügig von der öffentlichen Hand und privaten Unterstützern gefördert. „Dance for PD®“ hat uns gezeigt, was alles möglich ist (www.danceforparkinsons.org). Bot die Organisation bis zum Frühjahr 2020 vor allem Live Tanzkurse an, so gibt es nun seit März dort tägliche Tanzstunden auf Zoom. Das Interesse ist überwältigend. Während in den Live-Stunden in New York 25 bis 60 TänzerInnen im Studio waren, nehmen jetzt 50 bis 200 Menschen an den Online-Tanzstunden teil.
Für Menschen, die keinen Zugang zum Internet haben, bietet „Dance for PD®“ außerdem telefonische Tanzmodule. Bei der (ebenfalls online abgehaltenen ) Tagung von Arts for Health Austria „Dance – New Moves in Health Care“ in Wien am 11. Dezember 2020 stellte Programmdirektor David Leventhal die Erfahrungen und eine erste Evaluierung des Online-Programmes von „Dance for PD®“ vorgestellt.
Die Evaluierung hat gezeigt, dass sich die Zahl der Teilnehmer von 650 auf 1820 fast verdreifachte. Sobald die technischen Hürden überwunden sind, nehmen viele nicht nur einmal, sondern auch mehrmals pro Woche teil. Aber es gibt jetzt auch neue Teilnehmer, die vorher vom Angebot der Live Tanzkurse nicht erreicht wurden. Wie ist dies zu erklären? Erstens entfällt die für viele beschwerliche Anfahrt. David Leventhal ist überzeugt, dass jetzt auch Menschen in Stadtteilen, ländlichen Regionen und Ländern erreicht werden, die nicht die Möglichkeit haben, an Tanzgruppen in ihrer Nähe teilzunehmen. Zweitens scheinen Online-Kurse die Hemmschwelle zu senken, sich mit der Krankheit in der Öffentlichkeit zu zeigen. Das Online-Angebot scheint es für viele einfacher zu machen, etwas Neues auszuprobieren. Es ist tatsächlich sehr beeindruckend, dass im Jahr 2020 bei den Online Tanzstunden von Dance for PD® Menschen aus 38 Ländern teilgenommen haben – fast eine globale Reichweite!
David Leventhal und andere Experten der Konferenz sind sich einig, dass Online-Tanzen mit Parkinsonpatienten nicht nur ein Mittel der Krisenbewältigung ist, sondern auch in Zukunft ein eigenes Format darstellt, das parallel zu live Veranstaltungen seinen eigenständigen Platz haben wird.
Erfahrungen mit Online Tanzgruppen für Menschen mit Parkinson in Wien
Aktuell haben sich auch in Wien Online-Tanzgruppen für Menschen mit Parkinson zusammen gefunden – in kleinem Umfang. Im virtuellen Raum werden neue Erfahrungen gesammelt. Nach anfänglicher Scheu wird nun munter vor dem Bildschirm getanzt und – am Anfang und am Schluss der Stunde – auch durchaus miteinander geredet, so dass es ein bisschen anfühlt wie das vertraute Plaudern im physischen Raum.
Sehr wichtig ist es, dass die Teilnehmer mit ihrer Adresse registriert sind. Bei einem eventuellen Sturz kann so sofort Hilfe vor Ort geschickt werden. Wichtig ist es auch, dass alle Teilnehmer sehr bewusst ihre eigenen Kräfte einschätzen und sich im Zweifelsfall sofort hinsetzen oder legen, falls ein Problem oder Unwohlsein auftauchen sollte.
Nach einem Warm-up mit Musik im Sitzen folgt ein Begrüßungsrunde und dann beginnt die eigentliche körperlich-bewegte Gestaltung und tänzerische Selbsterfahrung. Was zählt ist die Freude an der eigenen Bewegung, das Erkunden und Stärken der eigenen Möglichkeiten im Fluss der Musik. Verschiedene Bewegungsformen, der Bewegungsfluss und Rhythmen werden erkundet und erspürt, jede und jeder so, wie es aktuell möglich ist. Mit einem vielfältigen Musikangebot aus der ganzen Welt begeben wir uns in den Tanz.
Bei meiner aktuellen Arbeit mit Zoom Gruppen war das Ziel die Fortführung von bestehenden Gruppen zu gewährleisten, die vorher live getanzt haben und dies hoffentlich auch im Laufe von 2021 wieder tun werden. Die Erfahrung, auf die ich mich stütze, bezieht sich also auf Gruppen, mit Teilnehmern, die sich bereits kennen, teilweise aus langjähriger Teilhabe an der Tanzgruppe und die maximale Teilnehmerzahl ist auf 10 Personen beschränkt. Ab 2021 wird das Angebot auch für neue Teilnehmende geöffnet und wird längerfristig weiter als Zusatzangebot bestehen.
Kritisch ist zu sagen, es fehlt die direkte Begegnung, der Kontakt, die Berührung. Die Wahrnehmung der anderen findet nur auf dem Bildschirm statt, die Ton- und Bildqualität ist reduziert, um nur einige eher problematische Aspekte zu nennen. Die Konzepte und Bewegungen müssen einfacher gestaltet sein, als in den Live Stunden. Aufgrund der Zeitverzögerung auf Zoom sind gemeinsame Rhythmen nicht ganz einfach zu synchronisieren.
Die Zoom Online Stunden sind sicher nicht dazu geeignet, eine lebendige Tanzstunde mit allen Begegnungs- und Bewegungsqualitäten zu ersetzen, aber vielleicht können sie doch eine wirkliche Bereicherung und beglückende und stärkende Erfahrung sein – so sagte eine Teilnehmerin in der letzten Stunde, sie fühle sich wie beflügelt, das habe ich nicht erwartet – „ich war so erschöpft vorher - dies war wohl genau das, was ich gebraucht habe“. Es ist auch für mich eine interessante Erfahrung, wie sehr doch diese Gruppenstunden am Bildschirm als gemeinsame echte Begegnung wahrgenommen werden und Nähe zu anderen erfahren wird, dass die Weggefährten nicht verloren gehen in der Einsamkeit der Pandemie - in der aktuellen Situation kann das vielleicht ein großer Trost sein.
Lassen wir die TeilnehmerInnen mit ihren Erfahrungen im aktuellen Online Tanzen selbst zu Wort kommen mit einigen Auszügen aus Feedback Mailen im Dezember 2020
Frau M. meint: „Ich bin sehr froh, dass Online Tanz, Bewegung und Musik angeboten wird, denn das Tanzen würde mir sehr fehlen. Ich freue mich auf jeden einzelnen Termin und ich bin begeistert, wie viel Nähe wir trotz der Entfernung zustande bringen. Ich denke auch, dass die Technik im Großen und Ganzen funktioniert.“
Frau E.: „Das Tanzen Online in dieser Zeit ist immer so ein Lichtblick! Andere Leute sehen, mit ihnen etwas gemeinsam machen können! Es schüttelt einen durch und lüftet einen aus, dass man sich hinterher ganz leicht und beschwingt fühlt. Das Zoomtanzen hat dazu den Vorteil, dass man nicht nur die anderen, sondern sich selbst auch sieht und die Bewegungen wie in einem Spiegel korrigieren kann“
Frau S.: „Ich bin seit beinahe 5 Jahren Parkinson diagnostiziert und tanze seit ca. einem Jahr bei der Parkinson-Tanzgruppe von Mag. Ursula Löwe mit. Sehr bald ist das Tanzen in der Gruppe für mich eine nicht mehr zu missende begleitende Therapie geworden. Dementsprechend unglücklich war ich, als das Tanzen Corona-bedingt plötzlich nicht mehr möglich war. Umso mehr habe ich mich gefreut, als uns das Angebot erreicht hat, online via Zoom weiter zu tanzen. Mit der Computer Verbindung und dem Aufrufen des Programms hat es bei mir von Anfang an recht gut geklappt. Das Gruppenerlebnis zweimal in der Woche mit Gleichgesinnten in eigenem Wohnzimmer zu tanzen hat eine neue Qualität für mich. So tanzen wir in der Gruppe weiter, in den eigenen vier Wänden…..dem Virus zum Trotz!“
Der Tanz ist definitiv im virtuellen Zeitalter angekommen und die ParkinsontänzerInnen sind mit dabei.
Die Online Kurse „Tanz, Bewegung und Begegnung“ Jänner 2021 jeden Montag von 11:00 - 12:00. Informationen und Termine: www.parkinson-tanzen.at
03. Februar 2021, 17:00 – 18:00, Neurocast Winterprogramm. Vortrag U. Löwe: "Hilfe, ich erstarre" - Innovative Beiträge zur Krankheitsbewältigung bei Parkinson in Zeiten der Pandemie: Tanztherapie online", Weitere Info: www.gtmed.com
Mag. MA Ursula Löwe, Tanz- und Kunsttherapeutin. Dozentin an der Sigmund Freud Universität. Forschung zur Krankheitsbewältigung bei Parkinson mit tänzerisch-künstlerischen Therapien. Arbeitet seit 7 Jahren mit Parkinsongruppen: Tanz, Bewegung, Rhythmus und Musik in Wien.
Der Text ist ein Originalbeitrag für den Parkinson Selbsthilfe Newsletter Jänner 2021.