Frischer Theaterwind wehte auch in diesem Herbst durch Oberzeiring: Beim Festival der Uraufführungen treffen sich seit nahezu 20 Jahren in der Gemeinde alle zwei Jahre für eine knappe Woche Theatergruppen. Sie kamen bisher aus vier Kontinenten und zeigten in diesem Rahmen bislang 68 Uraufführungen; ihre inhaltliche und formale Vielfalt kann es mit herbstlicher Farbenbuntheit aufnehmen.
Das Ticket-Angebot war heuer nur halb so groß wie in vergangenen Jahren und entsprechend schnell war es ausgeschöpft. Die, die es nutzen konnten, schätzten es umso mehr. Und die KünstlerInnen, die eingeladen waren, taten es bezüglich Auftrittsmöglichkeit um nichts weniger. Denn, so wurde etwa berichtet, alle 28, in Italien und Österreich geplanten Vorstellungen seien (Corona bedingt) um ein Jahr verschoben worden und diese in Oberzeiring hiermit seither die erste.
Genesis
Eine, die zu den Höhepunkten des Festivals zählte: „Genesis“ der Compagnie Dada Zirkus aus Wien. Eine, die nach 11/2jähriger Entstehungszeit (Regie, Dramaturgie: Matteo Spiazzi) ein schillerndes Tableau auf die Bühne zaubert: kühn gedankliche Konstrukte und ebenso gängige wie ungewöhnliche, offenherzige Emotionen sind es, die sie mit vielfältiger, artistisch gekonnter und häufig mit absurd verfremdeter Brillanz präsentieren. Eingebettet in kongeniale Live Musik (Spiel und Kompositionen: Roxanne Szankovich) und durchwirkt von erläuternden wie aber auch nahezu poetischen sowie tiefsinnigen Texten, die, wie die nonverbalen Darstellungen, einen weiten Bogen zwischen Witz, Faktencheck, Fantasie und scharfer Analyse spannen. Es ist eine sehr eigenständige Form des cirque nouveau feinster Art. die die drei Akteure Arno Uhl, André Reitter und Bernhard Zandl rund um das Thema männlicher Schöpfungs- und Machtsehnsüchte klug und mit einer gehörigen Portion Selbstironie mit ihren Körpern, Puppen und Objekten einprägsam bezaubernd, unterhaltsam und nicht zuletzt berührend umsetzen.
Queen Lear
Standing Ovation gab es für die Theater Kaendace Produktion „Queen Lear“; und es gab sie zu Recht. Wie leicht hätte diese alltägliche Geschichte rund um ein kompliziertes und höchst gestörtes Beziehungsgeflecht innerhalb der Generationen einer Familie in die Banalität abdriften können. Allein, dieser Text (Christine Teichmann) der feinen Beobachtungen und gescheit aufgeblätterten Inhalte unterhält nicht nur ausnahmslos in einer straffen wie einfallsreichen Regie (Alexander Mitterer), die bei aller bei dieser Thematik gebotenen Zurückhaltung doch den einen oder anderen theatralischen Paukenschlag über die Bühne lässt. Sie bewirkt auch so manch nachwirkenden Denkanstoß und/oder Emotionalität, die unter die Haut geht. Es sind dynamische, teilweise recht kurze Szenen, die sich da durchaus stimmig aneinanderreihen und derart ein gleichermaßen individuelles wie allgemeingültiges Familien- und Gesellschaftsbild abgeben. Alles nicht wirksam, wenn nicht das gesamte Schauspieler-Team, das Seine dazu beiträgt: Allen voran ist die in Graz geborene Roswitha Soukup zu nennen (sie sprang kurzfristig für Klaudia Reichenbacher ein), die als zunehmend alternde Queen schon dann und vor allem auch dann spricht, wenn sie nichts sagt. Am anderen Ende der Altersklasse ist Lisa Rohrer als ebenso frisch-unbekümmerte wie gefestigte Darstellerin anzuführen; und Tessa Gasser, die als Schnoddrig-Ang’rührte, als Magda, also als Mädchen für alle und alles, besonders überzeugt.
Der Himmel von Lima
Das Vorhaben, Juan Gómez Bárcenas ersten Roman „Der Himmel von Lima“ auf eine Bühne zu bringen, ist mutig. Ist es doch sehr stark die Sprache, die durch ihre Sorgfalt und Behutsamkeit das Werk trägt. Dass es Ninja Reichert (Regie/Textfassung) dennoch wagte, rief in Bezug auf das Ergebnis nicht bei allen Begeisterung hervor. Dass eine solche aber (auch) gerechtfertigt ist, scheint schon in Reicherts Umgang mit der Sprache begründet zu sein: Lenkt sie doch allein durch ihre inszenatorische Aufbereitung den häufigen Wechsel der Erzählperspektive in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und damit auf die Macht von Sprache wie auch auf ihre Manipulierbarkeit. Dass derartiges ankommt, liegt selbstverständlich auch ganz wesentlich an den Darstellern – und diese, Werner Halbedl und Alexander Kropsch, haben das Potential. Sie überzeugen nicht nur im (nicht nur für sie) anstrengenden, häufig und schnell wechselnden Rollenspiel, sondern faszinieren in und mit ihrer sinnlichen Darbietung noch zusätzlich. Das im Roman gegebene Ineinander von literarischem Diskurs und nur allzu menschlichem Plot wird dank der theatralen Umsetzung noch griffiger. Bestens unterstützt von der grundsätzlich minimalistischen, aber doch interpretationsanregenden Bühne, die sich übergangslos in den Zuschauerraum erstreckt.
Aufmarschieren
Sehr mutig ist auch - und sie ist es immer wieder - die junge Truppe Das Planetenparty Prinzip in und mit „Aufmarschieren“, dem dritten und letzten Teil ihrer Bürgerkriegstrilogie, die sie vor mehr als 4 Jahren begonnen haben. Eine halbe Stunde lang marschieren 4 junge Frauen hintereinander im Gleichschritt die Seiten eines Quadrates ab; Runde um Runde. Auch in Reaktion auf ihr Outfit dominieren vorerst militärische Assoziationen. Mit zunehmender Dauer entspannen sich die Augen und Gedanken, drehen weitere, andere Kreise zum implizierten Bild von Gemeinschaft, von aufgelöster Individualität sowie den Vorstellungen des Funktionierens, der Kraft der Wiederholung, der Eintönigkeit, der Macht der „vielen“. Die in Leuchtschrift eingeblendeten Worte wie „we train“, „we rejoice“, we adapt“ und ihr Marschieren in Variationen bekräftigen die Aufforderung zum assoziativen Gedankenspiel. Ihr (scheinbar) leichtes Spiel mit (scheinbar) leichter Bewegung zieht immer mehr in seinen Bann und fordert für seine Exaktheit und Choreografie ein gehörig Maß an Respekt ein.
Die gegen Ende eingestreute Szene der Andeutung von der und zur Macht neuer Medien fügt sich dann allerdings nur ein wenig sperrig in den Ablauf. Die Abschlussszene mit (militärischem) Haus- bzw. Grenz-Bau hingegen erweist sich sehr wohl als punktgenau, da sie, abgesehen von konkretem (militärischem) Tun und ebensolchen Hintergründen selbstgewollte Ausgrenzung und/oder Eingrenzung unumstößlichen Denkens verbildlicht. Ein bemerkenswerter, ein formkreativer Versuch aus dem Bereich Körpertheater.
Sagt man eigentlich noch Indianer? Versuch1
In diesem Titel deklariert sich das (mutige) Ausprobieren also schon von vornherein. Und, abgesehen von technischen Pannen, ist diese Produktion wahrscheinlich tatsächlich noch etwas unausgegoren. Aber: Da sind schon jetzt ein hochspezieller Charme, eine packende Kraft und ein berührender Tiefgang. Angeregt von einem ungewöhnlichen Mit-, Neben-und Übereinander von Bild- und Live-Projektion, darstellendem Spiel und faktischen Berichten sowie ‚wissenschaftlicher‘ In-Frage-Stellung und ‚realem‘ Dialog findet sich der Rezipient inmitten einer biografischen Suche. Und in einer nach Selbstfindung, in einem Selbstversuch der Verwirklichung an einem neuen, unbekannten Ort im weitesten Sinne. Es ist alles so wirr wie die Realität es oftmals nun einmal ist. Dies alles aus sehr individuellen Sichten zu erfahren, begreifbar zu machen, das gelingt auch schon in diesem „Versuch“ (Regie Ed Hauswirth) der großartigen Barbara Gassner, in dieser vorläufig erlebbaren, rudimentären Fassung; nicht zu vergessen die gar köstlichen Intermezzi von und mit Markus Zett. Gespannte Vorfreude auf die endgültige Fassung im Februar in Wien scheint mehr als berechtigt.
Hippocampus
Eine weitere und gleichzeitig ganz andere Persönlichkeit darstellerischer Art ist mit Susanne Brandt anerkennend anzuführen; und auch hier nicht zu vergessen ihr Partner Andreas Jähnert. Jedoch ist das, was sie in „Hippocampus“ gewollt chaotisch und gängigen Erwartungshaltungen widersprechend präsentieren, doch auch tatsächlich, bei allem Anreißen und Aufflackern brisanter Themen, nicht nur sehr schräg und manches Mal nicht wirklich nachvollziehbar, sondern letztlich im eher Wirr-Plakativen bleibend – selbst wenn auch dies provozierende Absicht ist und die Form eine sehr originelle.
Geschichten vom Gold
Den „Geschichten vom Gold“ des TaO! – Theater am Ortweinplatz, Graz liegt eine sehr schöne und kreative, anregende Idee zugrunde: Kinder, die im Frühling nicht in die Schule durften, wurden mit einer Geschichte von ungeklärten Goldstaub-Funden in den leerstehenden Schulen konfrontiert und aufgefordert, Erklärungen für deren Herkunft zu überlegen und schriftlich festzuhalten. Als ‚Ergebnisse einer Ermittlung‘ wurde aus diesen Ideen ein Theaterstück erarbeitet. Manch netter dramaturgischer Einfall und amüsante kleine Episode waren dabei; Geträumtes und Märchenhaftes nahm auch kurz in den Bann. Insgesamt aber blieb die Produktion den durchgehenden Zauber einer Fantasiegeschichte, den kindlich mitreißenden Spaß und die dafür notwendige, feinsinnige wie packende Darstellung doch ein wenig schuldig.
Lilas Papa
Zauberhaft hingegen die minimalistische Kunst, mit der Nicolas Marchand große, immerwährende wie hochaktuelle Themen für Kinder ab 5 sowie für „Eltern, Onkel und Tanten, Cousins… in „Lilas Papa“ aufzubereiten versteht. Als Puppentheater, wie angekündigt wird; als in wenig Bildern einfach gezeichnetes und bewegtes. Als szenische Erzählung, als darstellendes Spiel. Marchand nimmt mit seinem ersten strahlenden Blick ins Publikum jeden, ob jung oder alt, bei der Hand und nimmt ihn mit in Lilas Welt. In eine, die schön und spannend ist, aber auch da und dort gar nicht so kleine Probleme bereithält. Die um die Angst vor dem Neuen, vor dem Unbekannten, Ungewohnten. Weit entfernt von jedem Zeigefinger wird hier aufgezeigt. Spannend und griffig anregend für die Kleinen, denkanstößig in seiner klaren Logik für so manch Erwachsenen.
Werkstatt 2.20. Das Festival der Uraufführungen, 22. September bis 27. September 2020 in Oberzeiring / Marktgemeinde Pölstal