Mit einem Auto, vielen Testosteron-Spritzen und den Utensilien für die Online-Welt ausgerüstet nehmen uns zwei ihre Transition von Frau zu Mann vorantreibende junge Frauen mit auf eine Reise in menschenleere Gegenden, in Hotels und privat-Gemächer, nach Las Vegas und in ihre Gedankenwelt. Mit „Seek Bromance“ dokumentieren sie filmisch ihre kurze, ereignisreiche, kühle Beziehung und lassen die ZuschauerInnen teilhaben an deren Scheitern. Vorhersagbar vom ersten Moment an. Auch, weil sie so verschiedene Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit haben und leben.
Der Film will intime Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt zweier transsexueller Frauen und in deren Kurzzeitbeziehung ermöglichen. Die zwei ProtagonistInnen Samira Elagoz, FilmemacherIn und PerformancekünstlerIn aus Finnland, derzeit in Amsterdam und Berlin lebend, und Cade Moga, brasilianische(r) KünstlerIn, versuchen es mit online Kontinente überspannend und in direkter Zweisamkeit geführten Konversationen und mit kurzen performativen Intermezzi in vom Corona-Virus scheinbar entmenschten, tristen Naturräumen. Sie wollen sich selbst performen. Haben sie die dafür notwendige Distanz zu sich selbst?
„Seek Bromance“ dokumentiert zwei in mannigfaltigen Reife- und Umwälzungsprozessen befindliche Frauen, deren Lebenswege für ein paar Monate parallel verliefen, die versuchten, diese Phase in Kunst zu gießen, die damit Irren und Wirren sich entwickelnder Persönlichkeiten und deren Selbst- wie gesellschaftliche Wahrnehmung aufzuzeichnen und die letztlich für ihren Wunsch eintreten, ihre Entscheidungen für ihr Leben, für ihren Körper als akzeptiert zu erleben. Von sich selbst und von der Gesellschaft.
Die die „Act“ genannten Teile des Films separierende Moderation der alleinig anwesenden Samira Elagoz führt durch die Phasen dieser Beziehung. Und versucht, die Filmvorführung aus dem Kino heraus zu lösen und Theater-würdig zu machen. Der Beigeschmack des Gewollten will nicht weichen. Was die beiden ProtagonistInnen zueinander trieb, außer ihrem gemeinsamen Thema der Transsexualität und ihrem Wunsch, daraus ein Kunstprojekt zu machen, bleibt unklar, nicht nachvollziehbar.
Der mit diesem Film vermittelte Eindruck, dass Transsexualität ein vorrangig körperliches Phänomen sei, erfasst mit Sicherheit nur einen, zweifellos aber elementaren Aspekt. Die Konsequenz jedoch, mit der dieser Film sich auf die Physikalität konzentriert, ist beeindruckend.
Nur einmal dürfen die ZuschauerInnen Cade Moga, die großräumig abgeschnitten zu sein scheint von ihren Gefühlen, erleben als ehrliches, emotionales Wesen. Als sie berichtet, dass ihr Vater sich als zweites Kind einen Jungen gewünscht hatte. Und dann kam sie, Cade. Die Ablehnung, die das kleine hübsche Mädchen erfahren haben muss, brannte sich ein in ihre Seele und wuchs zu einer Ablehnung der jungen Frau sich selbst gegenüber. Sie verdammt ihren Körper, der mit Brüsten (die inzwischen, sichtbare Narben zeugen davon, operativ entfernt wurden) und ohne Penis so gar nicht dem Ideal ihres Vaters und also ihrem eigenen entspricht. Die eigentliche Ursache für das Symptom, sich im weiblichen Körper „nicht zu Hause zu fühlen“, für ihren Wunsch, ein Mann zu sein, scheint somit ganz kurz einmal durch all die präsentierten Oberflächen.
Ihren durch alle Narkotika - viel Sex mit Anderen und sich selbst, Drogen, Porno (konsumiert und als Darstellerin) – drängenden Schmerz versucht sie zu lindern mit einer Flucht vor ihrem verhassten Äußeren. Die habituelle Wandlung hin zum vielen Klischees entsprechenden Mann, Dominanz und Macht sind nur zwei Aspekte, ist ihr längst gelungen. Transsexualität als Schmerztablette, als Therapeutikum, um das Eigentliche nicht leisten zu müssen: Sich anzuschauen. Die Prognose freilich ist eine unbefriedigende. Cade kann nie ein 100%-ig „richtiger“ Mann werden. Es wird immer eine Annäherung an ihr Ideal bleiben. Der Vater als unbewusste Instanz in ihr wird nie zufrieden sein. Bestenfalls also wird sie Linderung erfahren. Niemals jedoch Heilung.
Diese Heilung (Achtung! Bitte nicht missverstehen als generelle Unterstellung, dass alle Transsexuellen, alle Nicht-Cis-Menschen psychisch deformierte Menschen seien, Anm.) kann nur im Deaktivieren aller sabotierenden Instanzen in uns liegen. Cade kompensiert den Mangel an väterlicher Liebe, ihre fehlende Selbstliebe in ihrer Hilflosigkeit zudem mit ausgeprägtem Narzissmus. Einmal in diese Falle getappt, gibt es schwerlichst ein Entrinnen. Cades narzisstische Liebe zu Samira, in der sie nur sich selbst zu sehen vermag, muss zwangsläufig in die beiderseitige Ent-Täuschung führen.
Ein „halt so sein“ genügt nicht. Angesichts der so klaren Kontur von Cade Moga bleibt Samira Elagoz / Sam eine von widersprüchlichen physischen und psychischen Impulsen Getriebene, auch in ihrer „Beziehung“ zu Cade. Welche Kräfte sie, Samira, weg von der Frau hin zum Manne treiben, wird weder als Frage formuliert noch anderweitig zum Gegenstand dieser durch viele Oberflächen navigierenden Doku.
Das Thema ist zweifellos wertvoll. Die Vielen, die nach 130 Minuten und Pause zum zweiten, nochmals eineinhalb Stunden langen Teil nicht mehr erschienen sind, sahen wohl kaum noch die Möglichkeit einer „überraschenden Wendung“. Denn die in die zuweilen frostige, bemüht-mühsame, geistreichelnde Konversation eingestreuten performativen Sequenzen, fast nackt in menschenleerer Landschaft, den Einöden in ihrem tiefsten Innern gleich, herumzuspringen, einen penetrierenden Koitus im Freien anzudeuten (Cade will so sehr, einem Manne gleich, Menschen penetrieren!), mit verhüllten Gesichtern den Anderen, der sie selbst sind, versuchen zu erspüren oder das Blut des Anderen zu naschen, sich gegenseitig Testosteron zu spritzen oder Cades kalter Blick zwischen die gespreitzten Beine Samiras sind Bilder, ja, aber das alles fast vier Stunden lang?
Berühren oder fesseln kann diese Arbeit nicht. Auch ob der Kühle der zwischenmenschlichen Beziehung und ob des, trotz gegenteiliger Beteuerungen, Intentiösen des Stückes. Aber das Sujet, die Fülle der Perspektiven, die zuweilen durchbrechende Poesie und vor allem die gesellschaftspolitische Dimension machen „Seek Bromance“ zu einer dafür 2022 mit dem Silbernen Löwen der Biennale di Venezia ausgezeichneten Geschichte.
Nachsatz: Politische Programmierung von Kunsthäusern und politisch motivierte Bewertung von künstlerischer Tätigkeit und ihren Produkten laufen immer Gefahr, politische Intentionen über die Kunst zu stellen.
Samira Elagoz mit „Seek Bromance“ am 28. Oktober 2022 im Tanzquartier Wien.