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Anima3In Mailand präsentierte Manuel Legris, Direktor der Compagnie des Teatro alla scala, einen gediegenen Abend mit vier ausgezeichneten Werken zeitgenössischer Choreographen, sehr gut getanzt. Gern hätte man diesen damals auch in Wien gesehen, als er das Wiener Staatsballett geleitet hat. 

Da wurde Legris oft vorgehalten, dass er zu wenig Fokus auf zeitgenössische Tanzformengelegt hatte. In Mailand bewies er jedoch, dass er diese durchaus am Plan hat. Die aktuelle Produktion umfasste unterschiedliche Choreographien mit ganz verschiedener Ausrichtung. Ein Highlight eröffnete gleich den Abend, David Dawsons 2018 für das San Francisco Ballet geschaffenes Stück „Anima Animus“ zum Violin Concerto Nr 1. esoconcerto des 2020 verstorbenen italienischen Komponisten Ezio Bosso. Dawson ist derzeit einer der international meist beschäftigten Choreographen.Anima1

Anima4Inspiriert vom ideellen Konzept der Analytischen Psychologie C. G. Jungs und dem Prinzip von Anima und Animus als komplementäre weibliche und männliche Archetypen, schuf der ehemalige Forsythe-Tänzer ein dichtes Gewebe komplexer Bewegungsstrukturen im klassischen Duktus, diesen allerdings erweiternd. Dawsons Stärke ist, musikalische Formen in kongruente Bewegungssprache zu transferieren, und Bossos an Minimalmusic erinnernde Komposition war dabei eine ideale Basis. Es gelang Dawson, mit zehn Tänzerinnen und Tänzern einen wunderbaren Bewegungsfluss zu erzeugen, in dem jede und jeder sich wie Planeten in einem Sonnensystem umkreisten, einander begegneten und wieder trennten. Anima2

Das Bühnenbild wäre eher als Lichtskulptur beschreibbar, mit einem hell erleuchteten Bühnenhintergrund und wechselnden Lichtstimmungen (John Otto, James Ingalls), die mit den graphisch konturierten Kostümen in schwarz-weiß (Yumiko Takeshima) korrespondierten. Beide Elemente unterstützten die Geometrie des Tanzes mit seiner sehr klaren Bewegungssprache und den Bewegungskombinationen in großen Radien und exaltierten Handhaltungen, Die Struktur der Choreographie dominierten vor allem die exquisiten und diffizilen Pas de trois mit jeweils einer Frau und zwei Männern. Letztere hatten mit rhythmischen Hebungen viel zu tun und wirkten dabei trotzdem nicht wie Kräne, sondern schafften es, zu tanzen. Insgesamt entstand ein fluides, kinästhetisches Raumerlebnis von starker Emotion, was für berechtigte Begeisterung sorgte.

Remanso12Ganz anders geartet war dann „Remanso“ aus 1997 vom spanischen Choreographen Nacho Duato. Das Stück ist ein Trio für drei Tänzer zur Klaviermusik „Poetische Walzer“ von Enrique Granados (in der Scala live gespielt von Takahiro Yoshikawa). Auch Duato ist ein hochmusikalischer Choreograph, der seine Bewegungsgewebe klar strukturiert und rhythmisch dynamisiert. Der prägende Stil seines früheren Mentors Jiří Kylián ist hier durchaus bemerkbar, und doch ist es ein emanzipiertes Werk. Duatos Tanzsprache ist klassisch geprägt und humorvoll mit Brüchen durchsetzt. Remanso1

Eine Rose bildet den dramaturgischen Ausgangspunkt des „Staus“ in „Remanso“ (wörtliche Übersetzung), die hinter einer kleinen Wand auftaucht. Diese wurde in unterschiedlichen Farben beleuchtet, und die Rose setzte auch wieder den Impuls für das Ende des entzückenden Stückes, wenn ein Tänzer kopfüber an der Wand hängt und die anderen wie darauf geklebt aussehen. Großer Jubel, vor allem für den beliebten Starsolisten Roberto Bolle. Doch tänzerisch gebührte allen dreien Respekt für die präzise und rhythmische Ausführung.

Solitude1Eine Kostprobe seines Könnens zeigte der deutsche Choreograph und ehemalige Tänzer des italienischen Aterballetto, Philippe Kratz, bereits 2020 in Wien auf Einladung von Legris. Speziell für die Scala kreierte er „Solitude Sometimes“, abermals eine Reflexion menschlicher Archetypen. Als Ausgangspunkt dienten Kratz dabei altägyptische Mythen. Das sah man jedoch keinesfalls, sondern tippte zuerst eher auf Michael Jacksons Moonwalk. Tatsächlich arbeitet Kratz mit vielen Streetdance-Elementen zur elektronischen Musik von Thom Yorke und Radiohead. Es herrschte im wahrsten Sinn des Wortes ein permanentes Kommen und Gehen von vierzehn Tänzer*innen, die immer rechts auftraten und links abgingen. Alles war ständig in Bewegung, und Kratz wollte auch imaginieren, dass Bewegung auch dort ist, wo man sie gerade nicht sieht. Aus dieser Perspektive betrachtet verläuft das ganze Leben wie ein Loop, und die spacigen Kostüme unterstrichen das. Solitude2

Zum Schluss dann ein Fast-schon-Klassiker, „Bella figura“ von Jiří Kylián, 1995 für das Nederlands Danstheater choreographiert. Man sieht dieses humorvolle, aber keineswegs schräge Spiel mit Geschlechtsstereotypen oder Ängsten der Theatermacher vor einem unkontrolliert fallenden Vorhang sowie der großen künstlerischen Frage, wie ein Stück eigentlich beginnt, immer wieder gern, wenn es so gut getanzt wird wie in Mailand. 

Corpo di Ballo Teatro alla Scala:Dawson/Duato/Kratz/Kylian-Abend” am 7. Februar im Teatro alla Scala

Bellafigura