Als Ballettdirektor Manuel Legris seinen Kollegen in Biarritz anrief, um Thierry Malandain nach Wien einzuladen, war dieser vor allem erstaunt.. „Ich kannte Manuel nicht wirklich, natürlich waren wir uns schon begegnet, aber mehr auch nicht“, erzählt Malandain nach der Probe für „seine “ Premiere, einen Doppelabend an dem sowohl die Tänzerinnen der Staatsoper wie die der Volksoper mitwirken. „Don Juan“ zur Musik von Christoph Willibald Gluck und fünf Pas de deux zu Adagios aus Mozart-Klavierkonzerten. Choreografie: Thierry Malandain.
„Don Juan“ zur Musik von Christoph Willibald Gluck und fünf Pas de deux zu Adagios aus Mozart-Klavierkonzerten stehen auf dem Programm. „Don Juan“ hat sich Legris ausdrücklich gewünscht und Malandain ist’s zufrieden. Hat er doch dieses in Wien 1761 uraufgeführte Ballett von Gluck in der Choreografie von Gasparo Angiolini für seine Compagnie in Biarritz schon einstudiert und sich gründlich damit auseinandergesetzt. „Natürlich nicht als Rekonstruktion, es gibt das Original nicht, wir kennen nur die Musik. Ich habe mich an die gehalten und ein neues Ballett gemacht. Die Grundlinien der Geschichte sind jedoch da.“ Mozart kommt als zweite Choreografie hinzu, weil zur ungefähr selben Zeit wie „Don Juan“ in Wien auf der Bühne tanzte, in Paris ein Mozart Ballett uraufgeführt worden ist: „Les petits rien“ in der Choreografie von Jean-Georges Noverre. Malandain hat auch dieses „kleine Nichts“ choreografiert („So war es auch, sagt er, „ein kleines Nichts“) und in seinem abendfüllenden Ballett „Bal solitude“ sich ebenfalls Mozarts bedient. Fünf Pas de deux daraus hat er für „Mozart à 2“ („Mozart à deux / Mozart zu zweit“) neu einstudiert: „Sie handeln wie ‚Don Jun’ von der Liebe.“ „Oh schön“ schwärme ich, doch romantisch geschmust wird trotz der einschmeichelnden Adagios nicht. „Die Geschichten sind eher traurig, die Paare tanzen auf einem Ball der einsamen Herzen.“ Malandain zuckt die Achseln: „So ist das mit der Liebe.“
Streitkorrespondenz. Was ihn amüsiert, sind die Verbindungen der beiden Choreografen, Angiolini in Wien und Noverre, der bevor ihn Marie Antoinette nach Paris rief, ebenfalls in Wien choreografiert hat. „Die beiden haben per Brief miteinander gestritten, weil sie unterschiedlicher Ansicht über das „Ballet d’Action“ waren, auf das ich mich ja auch in meinem ‚Don Juan’ beziehe. Noverre ist der Berühmtere, weil er alles, was er gedacht und gemacht hat, dokumentiert hat. Angiolini stand ihm in nichts nach, aber von ihm ist viel weniger Schriftliches erhalten, deshalb ist er fast vergessen.“ Malandain hat ein lebhaftes Faible für die Tanzgeschichte und weiß, dass es da einiges zu entdecken und wieder zu beleben gibt: „Es sind nicht die Besten an die wir uns erinnern, sondern die, die den meisten Wind gemacht und viel aufgezeichnet haben. Ohne Schriftliches wird man vergessen.“ Dass die als Heroen des Tanzes Verehrten nicht gut sind, will er damit jedoch nicht sagen, „es gibt jedoch Größen, die nicht so herausgestellt werden.“
Thierry Malandain ist 1959 geboren und sollte eigentlich Ingenieur werden, wie sein Vater. Aber schon der junge Thierry setzte sich durch, durfte die Schule wechseln, um zugleich Ballett zu trainieren. Sein Vorwissen versetzte ihn für die Schulfächer mitten in eine Mädchenklasse.„Ich habe drei Jahre lang den Mund nicht aufgemacht,“ und daher fast nichts mitgekommen. Vor allem weder Deutsch noch Englisch. Jetzt, wenn bei den Proben Feinheiten erklärt werden müssen, springen Manuel Legris und die Probenleiter (Jean Christoph Lesage, Samuel Colombet) gemeinsam bei. Im Terzett hören Mihail Sosnovschi und Ketevan Papava, wie sie einander umschlingen sollen.
Rastlos und unstet. Malandains Ausbildung im klassischen Ballett war comme il faut, doch zeigte der junge Tänzer bereits ausgesprochenen Individualismus und mehr Interesse für die Ränder als für die Mitte. Die Engagements führten ihn an große Bühnen, lange hielt es ihn nie an einem Ort. Von der Pariser Oper ging er mit Jean Sarelli zum Ballet du Rhin; nach zwei Jahren schon wechselte er zur Compagnie von Nancy. Dort blieb der Tänzer zwar sechs Jahre, aber bald war ihm ziemlich langweilig, sodass er sich spaßeshalber an einem Choreografie-Wettbewerb beteiligte. Eine Ersatzhandlung, weil er beim Vortanzen in den Haag zwar bis unter die letzten Zehn kam, dann aber hatte der damalige Chef des Nederlands Danse Theater, Jirí Kylián, doch keinen Platz frei. Vielleicht ein Glück!
Dadurch war der Weg zur Choreografie frei geworden. Gleich das erste, „zu meiner Unterhaltung“ entstandene, Opus gewann den 1. Preis. Daraufhin animierten ihn die Freunde, doch noch einmal an einem Concours teilzunehmen. Und wieder stand Thierry Malandain auf dem Siegerstockerl. Die Gewinnsträhne riss nicht ab, so lange sich der junge Choreograf zu seinem Vergnügen an Wettbewerben beteiligte. In Nancy fand er zu wenig Herausforderung und mit der Unterstützung seiner Freunde verließ er die lothringische Stadt. Gemeinsam mit acht Freunden gründeten er die Compagnie „Temps Present“, die sich im Pariser Vorort Elancourt ansiedelte.
Zehn Jahr später luden ihn Frankreichs Kulturminister und die baskische Badestadt Biarritz ein, im leerstehenden Zentralbahnhof ein Tanzzentrum zu etablieren. Malandain ist ein Verfechter der Neoklassik und einer der letzten Choreografen, die in diesem – im frühen vorigen Jahrhundert entstandenen – Stil choreografieren. Dazu steht er auch: „Ich bin eher ein Fossil als ein Vorreiter“, sagt er schmunzelnd. Vielleicht kommt diese Liebe zur Vergangenheit, seine Beschäftigung mit der Tanzgeschichte und die Liebe zum „Ballet d’Action “ (Handlungsballett) von seinem eigenen Talent, Geschichten zu erzählen.
Der letzte Mohikaner. Ohne Verbitterung aber auch ohne Eitelkeit, dafür mit deutlichem Augenzwinkern erzählt der ranke Mittfünfziger von seiner Karriere und auch den Zuständen in Frankreich. „Sie glauben“, frage ich, „dass die Neoklassik in Frankreich nicht beliebt ist?“ „Ich glaube nicht, ich weiß es“, ist die lakonische Antwort. Hinter den Eulenbrillen lachen die klugen Augen und Monsieur Malandain, der sich gemeinsam mit Jean-Christoph Maillot, dem, ebenfalls choreografierenden, Direktor der Ballets de Monte-Carlo, als letzter Mohikaner des Neoklassizismus sieht, erklärt mir, warum in Frankreich neoklassische Ballettchoreografien nicht beliebt seien und wieso die Ballets Russes möglicherweise etwas überschätzt werden. „Es ist ein gesellschaftspolitisches Problem. Es war die Bourgeoisie, das Bürgertum, das diesen Stil geliebt hat.“
Mehrfach preisgekrönt. Wovon Thierry Malandain nicht erzählt, sind die zahlreichen Preise und Ehrungen, die er in der Vitrine aufbewahrt: Immerhin ist er Officier dans l'ordre des arts et des lettres (klingt nicht so gut, ist aber ranghöher als der Chevalier) und wurde erst kürzlich in Berlin für sein „Cendrillon“ („Aschenbrödel“ zur Musik von Sergej Prokofiev) als bester Choreograf mit dem Europäischen Taglioni-Ballett-Preis ausgezeichnet. Zugleich erhielt Natalia Horecna den Preis als beste Nachwuchschoreografin. Sie ist zwanzig Jahre jünger als Malandain und nennt ihren Stil „schmutzige Neoklassik“. Thierry Malandain bleibt sauber neoklassisch und möchte gerne die Ballettgeschichte ein wenig zurecht rücken: „Vielleicht fließen dann die Subventionen nicht nur für das Allerneueste, das oft mit Tanz oder Ballett nur noch wenig zu tun hat. Heute meinen alle, alles zu können und halten wenig vom harten Balletttraining.“ Nur ein kleiner Seufzer entschlüpft dem zweimal für den Prix Benois Nominierten. Thierry Malandain lässt sich nicht unterkriegen und bleibt bei seinem Leisten. Applaus für das Ballet d’Action! Schöne Geschichten, traurig oder heiter, sind dem Publikum immer willkommen.
Thierry Malandain: „Don Juan / Mozart à 2“, Premiere am 16. November, Wiener Staatsballett in der Volksoper.