Gregor Hatala, Erster Solotänzer in der Wiener Ballettcompagnie, nimmt seinen Abschied. Der wird mit Bomben und Granaten in einer ihm gewidmeten Vorstellung des Balletts „Mayerling“ begangen. Die Ehrung hat den Trennungsschmerz versüßt und den zufriedenen Blick in eine neue Zukunft rosarot gemalt. Richtig geehrt fühlt er sich über de ihm „in Anerkennung und Würdigung der hervorragenden Leistungen“ gewidmete Vorstellung.
Erwartet und doch plötzlich. Obwohl jeder Tänzer weiß, dass die Karriere nicht ewig dauert, kommt das Ende doch immer überraschend. "Wenn du denkst, jetzt ist Schluss, nachdem ich fast mein ganzes Leben nichts anderes gemacht habe! Aber diese Ehrung mit diesem wunderbaren Stück, macht wirklich das Ende meiner Bühnenlaufbahn an der Wiener Staatsoper leichter. Seit gut zwanzig Jahren hat es so einen öffentlichen Abschied nicht gegeben“, schwärmt der Tänzer. Natürlich wird er die Hauptrolle, den österreichischen Kronprinzen Rudolf tanzen. „Eine der schönsten Rollen überhaupt. Man kann da so viele Facetten zeigen, bis zum Wahnsinn.“ Hatala tanzt den Rudolf nicht zum ersten Mal. Dennoch muss fleißig geprobt werden, seine Partnerin, Nina Poláková, debütiert in der schwierigen Rolle der Mary Vetsera, die gemeinsam mit Rudolf im Jagdschloss Mayerling bei Heiligenkreuz Selbstmord begeht.
„Bei diesen anstrengenden Stunden im Ballettsaal habe ich bemerkt, dass ich gar nicht so unglücklich bin, dass ich mich nicht mehr so quälen muss.“ Noch aber dreht er sich als wahnsinniger Rudolf in rasenden Spiralen unter den aufmerksamen Blicken der Probenleiterin Alice Necsea. „Bitte schneller, schneller“, fordert sie. Die Zuschauerin kämpft gegen aufkeimende Schwindelgefühle, spürt den Schweiß im Rücken. Die diffizilen Hebefiguren in den komplizierten Pas de deux, in denen sich nicht nur Mary / Poláková mit ihm verschlingen muss, sondern auch die Darstellerinnen der anderen Frauen rund um Rudolf (Natascha Mair, seine Frau Stephanie, Dagmar Kronberger als Kaiserin Elisabeth, Ketevan Papava, Marie Gräfin Larisch und Alice Firenze, als kecke Tingeltangel-Geliebte Mizzi Caspar samt ungezählten Damen des Corps) treiben jedem Tänzer den Schweiß aus den Poren. Ganz aufhören mit dem Tanzen wird Hatala aber nicht sofort und zu tun hat er auch genug, ist er doch Präsident des Österreichischen Tanzrates und Obmann der „Vereinigung Wiener Staatsoper“. In diesem in der Staatsoper in einem kleinen Büro beheimateten Verein, sind nahezu alle TänzerInnen des Wiener Staatsballett Mitglied. In ihrer Freizeit treten sie bei öffentlichen und privaten Veranstaltungen auf und erfreuen alljährlich im Sommer in Bad Aussee Bewohnerinnen und Urlauberinnen mit ihren speziellen Auftritten. Im kommenden Sommer ist das Spektakel (7.–9. August 2015) in „getanzten Anekdoten“ dem Literaten und Liebhaber des Ausseerlandes Friedrich Torberg gewidmet. Nicht genug. Im Terminkalender stehen Managementaufgaben und Organisation, Unterricht in Kanada, Gastauftritte in den USA, Auftritte als Showtänzer. Langweilig wird Gregor Hatala sicher nicht.
Tänzerfamilie. Als Sohn eines Balletttänzers (später war Vater Milan Trainings- und Probenleiter des Balletts der Wiener Staatsoper) und einer Tänzerin, schien sein Lebensweg vorgezeichnet. Doch die Eltern, das harte Los eines klassischen Tänzers am eigenen Leib erfahren habend, waren nicht gerade glücklich über Gregors Berufswunsch. Doch wessen Herz für den Tanz brennt, der lässt sich nicht aufhalten und so wurde Gregor nach seiner Ausbildung 1990 mit 16 zum jüngsten Mitglied des Staatsopernballetts. Als „Dynamit auf der Bühne“ wurde er bald beschrieben und noch heute erinnern sich Ballettomaninnen an den „prägendsten Tänzer der Ära Renato Zanella (1995 bis 2005)“. Statt sein reiches Repertoire aufzuzählen, wäre es einfacher aufzulisten, was Gregor Hatala nicht getanzt hat. Von der klassischen Prinzenrolle bis hin zu ausdrucksstarken Charakterrollen hat der athletische Tänzer (1996 zum Solotänzer ernannt, 2000 zum Ersten Solotänzer) die Ballettliteratur hinauf und hinunter getanzt und so nebenbei für die Volksoper choreografiert, beim „Festival de due Mondi“ in Spoletio die Gala di Danza geleitet, die Tanzeinlagen für zwei Sommernachtskonzerte Schönbrunn organisiert und choreografiert und fünf Jahre als permanenter Gastsolist auf den Bühnen der Nationaltheater in Ungern und der Slowakei und Ungarn die Publikumsliebe erobert und seine langen Beine bis Russland und Mexiko gestreckt.
Als erfahrener Solist hat er mit vielen Ballerinen der aktuellen Generation ihren ersten Pas de deux getanzt. Und demnächst darf sich Nina Poláková bei ihrem Debüt auf den routinierten Partner verlassen.
Nach dem ersten Schreck – „Was ich die letzten 32 Jahre täglich gemacht habe, ist auf einmal nicht mehr? Der Gedanke gefiel mir anfangs gar nicht." – genießt Hatala das neue Gefühl der Freiheit und fühlt sich weniger als Prinz, denn als Schneekönig. Die letzte Rolle inmitten des Wiener Staatsballetts empfindet er als überaus passend: „Eigentlich das beste Stück für einen Abschied.“ Nicht weil Rudolf auf seinem Bett (für das Publikum unsichtbar) stirbt, sondern weil „der Rudolf eine der schönsten Rollen überhaupt ist. McMillan hat soviel Bewegung hinein gepackt hat, vom rein klassischen Pas de deux bis zu gänzlich neuen Abläufen, eingedrehten Bewegungen, das ist dann ganz modern.“
Auch die unterschiedlichen Beziehungen Rudolfs zu Vater und Mutter, zu den Geliebten, der Ehefrau und seinen politischen Kontakten, faszinieren ihn, eine Herausforderung für einen Tänzer, der das Publikum nicht nur durch Technik begeistern will. Kein Vergleich, meint Hatala, zu den klassischen Prinzen. „Beim Dornröschen beispielsweise, das muss der Prinz gar nichts tun, nur schön sein. Der Rudolf hingegen, der geht kaum von der Bühne ab, ist nahezu ständig präsent und immer ein anderer.“ Choreograf McMillan hat das gesamte dreiaktige Drama auf Rudolf fokussiert und versucht die Seelenlandschaft des Kronprinzen tänzerisch zu ergründen und zu zeigen.
Tanz, das unaufhörliche Springen und Drehen, das Kreiseln bis die Tänzerin / der Tänzer erschöpft zu Boden sinkt, steht schon seit der Antike mit den dionysischen Festen, in enger Beziehung. Kein Medium kann den Irrsinn so plastisch ausdrücken wie der Tanz. Von der Wahnsinnsszene der Giselle und den rasenden Willis im romantischen Ballett bis zu Frédéri, der wegen einer schönen unsichtbaren Arlesierin im Ballett „L’Arlesienne“ von Roland Petit dem Wahnsinn verfällt und in den Tod tanzt und auch in vielen Märchen wird Verrücktheit im Tanz ausgedrückt. Oder auch, tanzen als direkter Weg zum Irrwitz interpretiert. Für Hatala ist auch der Wahnsinnstanz des Rudolf nur eine Rolle. Er selbst steht mit den Tanzbeinen fest auf dem Boden der Realität und hat für die Zukunft schon vorgebaut. Vorbehaltlos darf ihm auch für diese zweite Karriere als Kulturmanager und Lehrer eine Glückwunschkarte überreicht werden.
„Mayerling“ Abschiedsvorstellung für Gregor Hatala (Rudolf), 7. Dezember 2014, Staatsoper.