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portraitwanunu ikontoxic dreams sind zurück: Die 1997 vom israelischen Regisseur und Theatermacher Yosi Wananu und der Produzentin Kornelia Kilga gegründete Gruppe eröffnet die Saison 2021/22 im brut und spielt im November im WUK. Tanz.at sprach mit dem toxic dreams-Gründer und künstlerischen Leiter Yosi Wananu.

Die Arbeit der englischsprachigen Wiener Performance-Gruppe zeichnet sich durch Witz, kreativem Reichtum und durch die präzise Umsetzung außergewöhnlicher, bislang skurriler Ideen aus; aktuell im Stück “The Art of Asking your Boss for a Raise” von George Perec (1. bis 6. Oktober im brut Wien.)askyourboss 6

Von analog zu digital

1968 schrieb George Perec seinen Roman über die Tücken, mit dem Chef über eine Gehaltserhöhung zu reden. Die verschiedenen Anläufe des Angestellten werden jeweils durch eine Variante verändert und führen so zu unterschiedlichen Szenarien. Yosi Wananu und toxic dreams teilen diese Versuche auf sechs Schauspieler*innen auf und verfolgen dabei ebenso viele Ideen, wie Algorithmen in unserem täglichen Verhalten ablaufen. „Die erste Dramatisierung von Perecs Roman war ein Hörspiel im deutschen Rundfunk, bei dem man den Text ebenfalls mit unterschiedlichen Stimmen las. Erst in der Bühnenversion wurde daraus ein Monolog.“ 

Auch der französische Autor hatte beim Schreiben seines Romans bereits die Funktionsweise von Computern im Sinn. Doch freilich ist der Umgang und das Verständnis von Algorithmen im Jahr 2021 ein anderes als zur Entstehungszeit des Textes. Yosi Wananu orientiert sich hier am Beispiel von Amazon. Schaut man sich ein Produkt an, kommen eine Reihe von Vorschlägen für andere Artikel. 

askyourboss 2„Die Möglichkeiten sind endlos, obwohl man immer nur zwischen 0 und 1 changiert. Aber ich wollte auch dem Buch treu bleiben, auch der darin verwendeten relativ engen Sprache. Wir versuchen also ein schematisch sehr klares Spiel von Veränderungen durchzuspielen.“

Außerdem repräsentiert diese Stunde der Performance eine Lebenszeit. Eine Timeline zeigt den Alterungsprozess im Minutentakt. Am Ende ist der Angestellte 88 Jahre alt und versucht noch immer eine Gehaltserhöhung zu bekommen. „Es gibt immer die Notwendigkeit für eine Aufbesserung“, meint Wananu. Der Zeitverlauf wird auch mit einer komplexen Soundinstallation begleitet, die die Geschichte von Bürogeräuschen nachzeichnet, von der analogen Schreibmaschine bis zum digitalen Keyboard. Das Bühnenbild ist ein Miniatur-Großraumbüro, in dem sich die Riesenangestellten zwischen den Arbeitsplatz bewegen.askyourboss 5

Für Yosi Wananu ist “The Art of Asking your Boss for a Raise” ein für toxic dreams untypisches Stück. “Ich wollte mich und mein Team herausfordern. Es ist ein fast unmöglicher Text.“ 

Auf der Suche nach dem Narrativ

Zwar war es Zeit für Neues, doch das Thema, das Yosi und seine Compagnie beschäftigt, wird auch in der Dramatisierung von Perecs Text verfolgt: „Wir arbeiten in Vierjahres-Zyklen, in denen wir eine Idee etablieren. Zur Zeit beschäftigt uns die Frage, wie wir eine Story zurückbringen können ohne zu verlieren, was wir in den letzten Jahrzehnten in der Performance-Arbeit gelernt haben. Wie können wir nach der Zeit der Anti-Story, Anti-Sprache und Fragmentierung wieder Geschichten erzählen, ein Narrativ aufbauen?“ 

Im Boom der TV-Serien hat diese Idee zuerst in der erfolgreichen und preisgekrönten Sitcom „The Kreisky Lookalike“ Gestalt angenommen (Kritik auf tanz.at)

In dem Video „After the End and Before the Beginning” wurde sie fortgesetzt. “Wie kann ich historische und literarische Gestalten aus dem Kontext nehmen, in eine reale Situation wie eine Taxifahrt transferieren und sie ihre Geschichte erzählen lassen? Dabei sind wir davon ausgegangen, dass die Zuschauer ihre Geschichten kennen. Bei Perec interessiert mich, wie ich die Geschichte in einer aktualisierten Computersprache erzählen kann.“ 

balulupic 1In der Produktion „The adventure of Yoli Balulu and his gang of misfits”, die im November im WUK zur Aufführung kommt, geht es schließlich um Yosi Wananu himself. „Wie kann ich meine eigene Biografie erzählen und sie zugleich völlig fälschen.“ Was die Zuschauer dabei erwartet, umreißt der Teaser auf der Homepage mit typischem Toxic-Dreams-Schmäh: „The semi-famous Viennese experimental director Yoli Balulu decided to stop doing performance art. He is fed-up with the art scene, with its inability to find a large audience and affect a political change. Deep inside him, and please don’t tell anyone, Balulu always dreamt of becoming the male version of Leni Riefenstahl.“

Gleichzeitig arbeitet Yosi bereits an einem weiteren Stück, das im Jänner zur Aufführung kommen wird, ein Musical mit jungen Sänger*innen (Musik: Martin Siewert). Freilich kein Herz-Schmerz-Tralala-Musical, sondern „pretty heavy“. „The Dead Class“ handelt von einem Amoklauf in einer Schule.

Die Kunst der Ensemble-Arbeit

Bei einer derartigen Produktivität mit zwei bis drei Uraufführungen pro Jahr, wundere ich mich, warum toxic dreams mit ihrer kontinuierlichen Ensemble-Pflege immer andere Spielorte suchen muss und kein eigenes Haus hat. Darauf kann Yosi auch keine eindeutige Antwort geben. Ein diesbezüglicher Antrag wurde einmal abgelehnt, ein neuer wird sicher wieder eingereicht, aber „wir leben, wie ich es nenne, im ‚Zeitalter der Kuratoren‘, wo es um Themen, und nicht um Ensembles geht“. balulupic 2

Wahrscheinlich ist es sogar eines der großen Versäumnisse der Kulturförderung der sogenannten „freien Szene“, zeigt doch die Geschichte, dass das Ensemble Grundlage der Arbeit aller großen Theater- und Tanzmacher von Peter Brook bis Pina Bausch und Anne Teresa de Keersmaeker war.

„Für uns (Kornelia und mich) war es immer wichtig, eine lokale Gruppe in Wien aufzubauen, die regelmäßig arbeitet, Ergebnisse zur Aufführung bringt und in einem ständigen Dialog mit dem Publikum ist.“

Obwohl toxic dreams seinen Performer*innen (dazu zählen aktuell Anna Mendelssohn, Stephanie Cummings, Markus Zett, Anat Stainberg, Florian Tröbinger) nur Stückverträge anbieten kann, gibt es für sie eine Perspektive: „Wir arbeiten mit denselben Leuten und können daher ziemlich klare Zusagen geben.“

Der Ensemble-Geist wurde auch während der Pandemie gepflegt: Die Videoinstallation „„After the End and Before the Beginning” im Theatermuseum war eigentlich für später geplant. „Wir fühlten uns aber verantwortlich, dass die Performer*innen Arbeit bekamen. Hier handelte es sich um Ein-Personen-Stücke, die man im Rahmen der Covid-Maßnahmen realisieren konnte, und das Museum war geöffnet, wo man die Videos zeigen konnte.“

portraitwanunu 2Tourneen sind bei toxic dream eher selten. Im deutschsprachigen Raum ist der Markt für englischsprachige Compagnien relativ beschränkt, erklärt Yosi. Aber Tourneen haben für ihn auch keine Priorität, denn: „Meine Philosophie ist, dass jede zweite Produktion sehr gut wird, und dazwischen macht man Sachen, die halt ok sind. Aber ich will immer arbeiten, ich liebe es zu proben. Es ist mir egal, wenn nicht jedes Stück ein Masterpiece ist. Das würde ja bedeuten, dass du deine Arbeit ganz auf einen Markt ausrichtest. Ich arbeite lieber die ganze Zeit und zeige auch die Ergebnisse. So kann auch das Publikum einen Prozess und eine Entwicklung sehen.“

toxic dreams: “The Art of Asking your Boss for a Raise”, 1. bis 8. Oktober (außer 3.10.) im brut nordwest; „The adventure of Yoli Balulu and his gang of misfits”, 3.-10. November 2021 in WUK performing arts unterwegs im Werk X; "The Dead Class" im Jänner im WUK.