In Österreich war es für längere Zeit ruhig um den deutschen Choreographen und Regisseur Joachim Schloemer, der von 2009 bis 2013 das Festspielhaus St. Pölten mit innovativem Tanz-Programm geleitet hat. Nun realisierte er am TAG - Theater an der Gumpendorfer Straße ein Stück mit eigenen Texten: „Odyssee - Eine Heimkehr“.
Der an der Folkwang Hochschule in Essen zum Choreographen und Tänzer ausgebildete Schloemer gilt seit den 1990er Jahren als ebenso vielseitiger wie auch interessanter Künstler und kreierte in unterschiedlichen Konstellationen spannende Arbeiten. So tanzte er zunächst bei Mark Morris am Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel. Später gründete er eine eigene Compagnie und war in der Folge Tanzdirektor in Ulm, Weimar und Basel. Danach arbeitete er international als Choreograph und Regisseur, u.a. bei den Salzburger Festspielen oder dem Lucerne Festival.
Ein neues Image verschaffte er dem Festspielhaus St. Pölten, wo es seither regelmäßig all jene Künstler*innen zu sehen gibt, die im internationalen Tanzbetrieb gerade reüssieren. So kamen damals erstmals Tanzstars wie Sidi Larbi Cherkaoui, Akhram Khan, Hofesh Schechter und Wayne Mc Gregor ins Haus. Seither beschäftigte sich Schloemer eher mit dem Film als Genre und studierte das Schreiben von Drehbüchern.
Tanz.at: Wie kam diese Arbeit am TAG, einer renommierten Wiener Mittelbühne zustande, die aber bisher kaum mit tänzerisch-choreographischen Inputs aufgefallen wäre?Schloemer: Wir haben schon länger über eine Zusammenarbeit gesprochen, und nun hat es endlich geklappt. Ich hatte an einem filmischen „Odyssee“-Projekt gearbeitet und TAG-Intendant Gernot Plass fand es interessant, das auch als Schauspiel zu machen.
Warum gerade dieses ikonische Stück griechischer Mythologie?Das hat auch persönliche Gründe. Mein Vater war als Kriegsgefangener in Stalingrad. Und mich beschäftigt schon lange, wie man als Heimgekehrter mit so einem Trauma weiterleben kann. Ich habe die meisten Texte selbst geschrieben, mit einigen Versatzstücken von Homer und Henri Michaux dazwischen. Mein Ziel war, die Odyssee aus mehreren Perspektiven zu betrachten, aus jener von Odysseus, Penelope, Telemachos etc. Man soll das gesamte Bild sehen und sich schließlich fragen, wozu dieses Abschlachten nötig war.
Wie war die Erarbeitung des Stückes mit den TAG-Schauspieler*innen?Meine Arbeit ist extrem physisch. An diesem Abend gehen alle permanent, in verschiedensten Varianten, schneller, langsam. Alle bewegen sich ständig, niemand verlässt die Bühne. Es gibt keine Rollen, sondern Figuren, Monologe oder Chöre. Dieser ständige Bewegungsfluss bewirkt interessanterweise, dass die Sprache oder das, was erzählt wird und relativ grausam ist, leicht aufgenommen werden kann. Über diese körperliche Sinnlichkeit vermittelt sich das Ganze dem Publikum viel konkreter.
Wie unterscheidet sich die Theaterarbeit mit Tänzer*innen von jener mit Schauspieler*innen?Normalerweise sind natürlich die Sprache und das Sprechen für Schauspieler*innen vorrangig. Aber im Grunde ist es für so eine Arbeit entscheidend, die richtigen Akteur*innen zu finden, die sich auf so eine Art von Bewegungsfluss einlassen. Aber wenn das Ensemble das nicht hätte mittragen wollen oder können, wären wir einen anderen Weg gegangen. Ich zwinge die Leute nicht, sondern schaue immer erst, wie weit ich gehen kann. Auch muss man in der Erarbeitung überprüfen, ob die Bewegungskomponente den Text überhaupt unterstützt oder sogar einen Subtext vermittelt. So ein Konzept ist flexibel und manchmal stellt sich während der Probe heraus, dass es gar nicht so funktioniert.
Wie würden Sie das TAG-Ensemble beschreiben?Sehr experimentierfreudig, worüber ich sehr froh war. Wir haben jeden Tag Yoga praktiziert, und man merkt, dass die fünf schon lange miteinander in dieser Konstellation arbeiten. Das ist auch für den energetischen Fluss gut, denn sie fangen einander gegenseitig auf, wenn einmal etwas bei einem nicht so läuft. Ich finde, dieses Ensemble hat sowohl etwas von einem Tanz-, als auch von einem Schauspiel-Ensemble. Es ist so ein Dazwischen-Ensemble.
Welche Anforderungen haben Sie gestellt?Es ist eigentlich ein extrem strenger Abend, es gibt nur weißes Licht, einen weißen Tanzboden. Alle sind extrem exponiert, jede Irritation ist sofort sichtbar. Die Herausforderung war zu üben, wie man bei relativ komplizierten Schrittfolgen den Text sinnvoll und im richtigen Rhythmus sprechen und gleichzeitig offen im Gesichtsausdruck bleiben kann.
Was bedeutet das?Ich persönlich mag es nicht, wenn Akteur*innen einen tragischen Text sprechen und dabei pathetisch dreinschauen. Es geht um die Oberflächenspannung der Haut. Die soll sich nicht straffen, weil mir der Schauspieler etwas mitteilen möchte. Ich als Zuschauer möchte selbst die Erfahrung über die theatrale Aktion machen und die Spieler*innen wirken da wie eine Art semipermeabler Resonanzraum.
Werden Sie wieder auch reine Tanzstücke machen?Derzeit gründe ich gerade mit Corinne Eckenstein das Tanzhaus in Basel, das im September eröffnet wird. Später sollen Kurator*innen dazu kommen, für Musik, Urban Dance, Zirkus, Workshops, etc. Doch ich möchte auch weiterhin freie Projekte machen, und sehr gern auch wieder in Österreich.
Das TAG – Theater an der Gumpendorfer Straße: „Odyssee – Eine Heimkehr“. Von Joachim Schloemer. Frei nach Homer. Premiere am 13. Dez. 2023, weitere Vorstellungen bis 13. Februar 2024