Es wird heftig geprobt für die neue Produktion der „Ich bin O.K. Dance Company“. Das kleine Studio hinter der Ballettschule im Hanuschhof ist noch ein „Relikt“ aus der Zeit von „off ballet special“ in Zusammenarbeit mit dem Wiener Staatsopernballett, die dem Verein "Ich bin O.K." öffentlichkeitswirksame Auftritte bescherte, etwa bei der Eröffnung des Opernballs. Der Hype ist nun vorbei, doch die künstlerische Arbeit der inklusiven Kultureinrichtung entwickelt sich unter der Leitung von Hana und Attila Zanin kontinuierlich und erfolgreich weiter.
Die Übung ist nicht einfach: Moritz macht einen Handstand und legt die Beine auf die Schultern von Simon. Sobald der Kontakt hergestellt ist, soll Simon zu Boden gehen, Moritz lässt sich mitfallen und steht aus der Brücke auf um über Simon hinweg zu hechten. Simon fühlt sich noch unsicher, doch nach und nach gewinnt er Vertrauen und nach dem dritten Anlauf gelingt die Nummer einwandfrei. Eine ganz normale Probe – mit einem kleinen Unterschied. In der inklusiven „Ich bin O.K. Dance Company“ haben die Tänzer Down Syndrom, doch dass sie deshalb langsamer lernen oder nicht gefordert werden dürfen, verneinen die beiden Leiter der Gruppe, Attila und Hana Zanin vehement. Mit ihren hochprofessionellen Shows (zum Beispiel „3 Geschichten über Freundschaft“ oder „Getrennt-Vereint“) treten sie alle zwei Jahre den Gegenbeweis dafür an. Im Gegenteil, meint Attila Zanin, hätten seine Tänzer doch ein ausgezeichnetes Langzeitgedächtnis und könnten noch Jahre später eine Choreografie abrufen.
„Kein Stück Liebe“ heißt die Produktion, die am 1. April zur Premiere kommt. Die Thematik ist die Flüchtlingssituation und der Umgang mit ihr. In ihrem jährlichen Summercamp im Gnadenwald bei Innsbruck hat das „Ich bin O.K.“-Team damit begonnen, Geschichten zu sondieren, hat Medienberichte gelesen, diskutiert und tänzerisch interpretiert. Und bei all den traurigen Nachrichten, entfuhr es Clara Horvath entnervt: „Wann geht es denn endlich um die Liebe“ – und da war der Titel geboren. Ja, um die Liebe wird es auch gehen, in dem Stück, wenn sich die Tänzer behutsam einander nähern und feststellen, dass die Ähnlichkeiten unter ihnen größer als die Unterschiede sind. Doch davor gibt es auch harte Auseinandersetzungen mit den Hütern von Recht und Ordnung und den Menschen, die diese durchbrechen. Mit einem Mix aus Hip-Hop- und zeitgenössischem Tanz (Choreografie: Attila und Hana Zanin) werden Konflikte und deren Auflösung bearbeitet. Da diesmal auch mit Text gearbeitet wird, haben die beiden Choreografen Verena Kriegerl für Regie und Dramaturgie eingebunden.
Der Kunst- und Kulturverein „Ich bin O.K.“ wurde 1979, im Geburtsjahr von Attila von dessen Mutter Katalin Zanin gegründet. Die umtriebige Heilpädagogin, Psychologin und Theaterwissenschaftlerin kämpfte bis zu ihrer Pensionierung 2009 (und hinter den Kulissen bis heute) um die Gleichstellung von behinderten mit nicht-behinderten Menschen. Die Kunst, und besonders der Tanz, standen im Mittelpunkt ihrer Bemühungen.
Das verwundert nicht. Zwar ist die Rolle, die der Tanz bei der Förderung von Kognitionsleistungen spielt, bisher nur in Ansätzen erforscht. Und doch wird sie bereits bei einem Probenbesuch evident. Beim Tanztheater geht es nicht nur um die Herausforderung, abstrakte Konzepte körperlich auszudrücken, sondern auch darum, über die eigene Befindlichkeit hinauszutreten, die Komfortzone zu verlassen und eine Rolle zu übernehmen. Es geht um subtile Unterschiede in der Interpretation, von denen es abhängt ob das Publikum berührt oder in Pathos ertränkt wird. „Nicht zu lange dabeibleiben“, ruft Hana ihren Tänzern in der Szene, in der sie einander entdecken, zu. Die Nase des anderen wird untersucht, die Haare gestreichelt, das Kinn geprüft – nur kurz angedeutet will die Choreografin diese Berührungen haben. Bei einem neuerlichen Durchlauf stimmen Tempo und die Dynamik bereits, die Tänzer haben schnell gelernt.
Diese vielfältigen kognitiven Leistungen erbringt jeder Tänzer und Schauspieler, im Fall der „Ich bin O.K.“-Tänzer scheinen sie jedoch besonders erwähnenswert. „Sie gehen immer wieder über ihre Grenzen“, sagt Attila, „und bauen Willenskraft auf. Sie werden zur Selbstständigkeit motiviert und lernen Verantwortung zu übernehmen.“
Mit seiner Frau Hana hat Attila Zanin 2009 die Schule „Ich bin O.K.“ von seiner Mutter übernommen. Beide haben ihre Wurzeln im Klassischen Tanz. Attila Zanin wurde an der Bundestheaterballettschule ausgebildet, bevor er nach dem Militärdienst die Richtung wechselte. Die Begegnung mit Nils „Storm“ Robitzky brachte ihn zum Hip-Hop Tanz, den er mit Größen wie Mr. Wiggels oder Diamond Frost perfektionierte. Seine Frau Hana absolvierte ihre Ausbildung am Tanzkonservatorium Prag, gefolgt von einem Studium der Tanzpädagogik an der Folkwang Hochschule in Essen. Ihre ersten nachhaltigen Erfahrungen mit zeitgenössischem Tanz machte sie beim Tanz-Atelier Wien unter der Leitung von Sebastian Prantl, sagt sie. Heute setzt sie bei ihren Unterricht und ihren Choreografien eine Reihe von Techniken ein, darunter Kontaktimprovisation. Die unterschiedlichen Kompetenzen der beiden sind auch die choreografische Grundlage der „Ich bin O.K. Dance Company“, die das Ehepaar 2010 gründete. Alle zwei Jahre gibt es eine Produktion der Company auf hohem tänzerischen Niveau. In den alternativen Jahren präsentieren sich alle Schüler des „Ich bin O.K. Studios“ auf der Bühne (zum Beispiel 2012 in „Der Zauberer von O.K.“ im Theater Akzent mit über 100 Mitwirkenden).
„Die Company ist ein Ansporn für die Schüler, die teilweise seit vielen Jahren bei uns Unterricht nehmen.“ Auch die Mitwirkenden in „Kein Stück Liebe“ Mike Brozek, Simon Couvreur, Raphael Kadrnoska, Clara Horvath, Maria Naber, Felix Röper, Alex Stuchlik und Sophie Waldstein haben an verschiedenen der 18 Kurse (außer Hip Hop, Zeitgenössischem, und Kreativem Tanz werden auch Gesellschaftstanz und Schauspiel angeboten) teilgenommen, bevor sie für die Company-Performance gecastet wurden. Diesmal wird das Ensemble von den jungen Profi-Tänzern Lina Hufnagl, Andrea Novacecscu, Moritz Lembert unterstützt.
„Es erfüllt uns mit großer Freude, dass unsere Tänzer/innen in den letzten Jahren auf der Bühne viel selbstbewusster, facettenreicher und kreativer geworden sind und besonders, dass sich diese positive Entwicklung auch außerhalb des Vereins fortsetzt – denn sie gehen nun auch durch ihren Alltag leichter, selbstverständlicher und bewusster“, schreiben die Zanins in ihrer neuen Broschüre. Auch die Arbeitgeber sind mit den Tänzern von „Ich bin O.K.“ zufrieden. „Sie sind pünktlich, zuverlässig und haben Disziplin“, ergänzt Attila im Gespräch, haben also soziale Kompetenzen, die im Job und in der Teamarbeit, aber vor allem auch im Bühnentanz unerlässlich sind.
Und welche Vorteile sehen die Leiter des Vereins, der Schule und der Company in der inklusiven Arbeit für sich? „Wir bekommen von unseren Tänzern so viel zurück“, strahlen mich die beiden an. Gleich wird das Video aus der letzten Hip Hop-Tanzstunde gezeigt, auf dem sich Maria, ganz in ihren Tanz vertieft, so wunderschön zur Musik bewegt. Begeistert erzählen die beiden auch von ihren neuen Projekten, zum Beispiel in Kooperation mit den Musikschulen oder mit dem MUK. Wenn Hana und Attila dort unterrichten, nehmen sie ihre Tänzer als Assistenten mit. Und sind damit sehr nahe an ihrem Traum, nämlich dass die besonders Begabten unter ihnen, das Tanzen zu ihrem Beruf machen können. Im Moment dürfen die Zuschüsse, die behinderte Menschen für ihre Berufsausausbildung bekommen, nur für wenige Institutionen – Behindertenwerkstätten wie Jugend am Werk – verwendet werden. Hana und Attila Zanin wünschen sich hier eine Liberalisierung und flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten. Dann wäre „Ich bin O.K.“ nicht nur ein inklusives Freizeitangebot, sondern könnte für Tänzer mit Down Syndrom eine berufliche Grundlage schaffen.
Ich bin O.K. Dance Company: „Kein Stück Liebe“, Premiere am 1. April im Theater Akzent, weitere Vorstellung am 6. April 2016, jeweils 19 Uhr; Schulvorstellung am 31. März, 10 Uhr