Nur wenige Schritte von jenem Theater entfernt – dem Stadttheater Baden –, an dem Richard Adama 1989 mit seiner Einstudierung von Michail Fokins „Le Spectre de la rose“ einmal mehr seine Kompetenz als Vermittler des Ballets-Russes-Repertoirs bekundet hatte (die Wazlaw-Nijinski-Partie studierte er ein für seinen „künstlerisch Erbberechtigten“, Christian Musil), ist der Tänzer, Choreograf und Pädagoge am 7. November 2020 im 93. Lebensjahr im Künstlerheim in Baden bei Wien verstorben.
Adama, der Amerikaner in Wien, wurde 1955 durch Erika Hanka von Paris an das Wiener Staatsopernballett geholt, um das Ensemble für den Einzug in das wiedererstandene Haus am Ring um einen Danseur noble reinsten Geblüts zu bereichern – dass dieser „hohe“ Tänzer zudem auch ein Charakterdarsteller erster Güte war, sei freilich gleich hinzugefügt. Demzufolge kannte der gebürtige Kalifornier auch keine Fachgrenzen: In dem von Gordon Hamilton einstudierten Klassiker-Repertoire war er ein souveräner Herzog Albrecht, Prinz Siegfried, Prinz Desiré und Prinz Coqueluche; im Ballets-Russes-Repertoire überzeugte er mit den Nijinski-Rollen in „Les Sylphides“, „Le Spectre de la rose“ und „Petruschka“; in der von Erika Hanka vertretenen Ballettmoderne kreierte er Partien wie Jago in „Der Mohr von Venedig“ und Seemann in „Medusa“; überlieferten Rollen wie den Titelpartien in „Don Juan“ und „Josephs Legende“ verlieh er neue Gestalt. Auch „wienerische“ Rollen wie der Leutnant in „Hotel Sacher“ machte er sich zu eigen. Unter Hankas Nachfolger Dimitrije Parlić kamen hinzu: Romeo in „Romeo und Julia“, Tancred in „Le Combat“ und Hauptpartien in „Symphonie in C“ und „Jahreszeiten“. André Doutreval, damals Eleve des Wiener Staatsopernballetts, erinnert sich in seinen jüngst erschienenen Memoiren: „Einen nachhaltigen Eindruck machte mir der amerikanische Solotänzer Richard Adama. Wenn er im romantischen Ballettklassiker ,Giselleʻ als Prinz auf die Bühne kam, fingen die Zuschauer schon an zu toben, bevor er einen Schritt gemacht hatte. Er war für mich der Größte.“
Vielleicht war das Wirken von Hannovers Ballettdirektorin Yvonne Georgi als Gastchoreografin an der Wiener Staatsoper – Adama tanzte in Georgis „Evolutionen“ und „Agon“ – ausschlaggebend für seinen Weggang aus Wien nach siebenjähriger höchst erfolgreicher Tätigkeit, zuletzt auch schon als Choreograf, als welcher er 1961 mit der Fernsehfassung von „Peter Schlemihl“ (Musik: Peter Ronnefeld) sein Debüt in diesem Metier gefeiert hatte. Adamas Jahre in Hannover als Erster Solotänzer und Georgis Stellvertreter bildeten den Übergang zu seinem Wirken als Ballettdirektor und Chefchoreograf in Bremen (1964–68) und als Nachfolger Georgis in Hannover (1970–73). Dazwischen lag 1969 eine Rückkehr zum Wiener Staatsopernballett als Choreograf von Glucks „Don Juan“ für das Ballettfestival der Wiener Festwochen.
Im Zentrum von Adamas Wirken als Choreograf in Deutschland stand in den Sechzigerjahren sein Bestreben, die Kernstücke des romantisch-klassischen Repertoires, „La Sylphide“, „Giselle“ und „Schwanensee“, sowohl in szenischer wie musikalischer Weise in ihrer ursprünglichen Form wiederherzustellen. Dieses heute vielfach geübte Bestreben war damals, als man dem Trend folgte, das romantische Repertoire zu „erneuern“, ein mutiges, Adamas Traditionsbewusstsein entsprungenes Unterfangen. Und dass er selbst in einer großen Tradition stand, war dem am 8. August 1928 in Long Beach Geborenen bewusst: Seine Lehrerin war niemand Geringerer als die große Bronislawa Nijinska. Adamas tänzerische Laufbahn begann beim Original Ballet Russe des Colonel de Basil, der Nachfolge-Kompanie von Diaghilews Ballets Russes. Die nächste Station vor seiner Berufung nach Wien war das legendäre Grand Ballet du Marquis de Cuevas. Und Wien wurde schließlich nach seinen Jahren als Ballettdirektor in Deutschland und Leiter einer Schule in den USA auch sein (Alters-)Wohnsitz, den er mit Hal O’Neal teilte. Zuletzt freilich residierte Adama im Badener Künstlerheim, eine Stätte, die vor ihm schon einer anderen Ballettlegende zur Bleibe geworden war: der Partnerin Nijinskis in der Eröffnungsvorstellung der Ballets Russes 1909, Vera Karalli!