Drei Wochen – so lange ist der Neue Ballettdirektor Igor Zelensky offiziell im Amt. Sitzt man ihm gegenüber, blitzen einem seine wachen grauen Augen unter leicht zusammengekniffenen Lidern entgegen. Zelensky gibt sich umgänglich und im Handumdrehen hat man raus, dass ihm der Schalk gern im Nacken sitzt. Wirklich durchschauen vermag man den charmant-lässigen, 47 Jahre alten Russen allerdings nicht. Aber eine gute Beziehung braucht Vertrauen. Und das muss man sich erarbeiten.
So etwas weiß auch Zelensky, durch dessen Körper immer noch der Tonus eines erfolgreichen und sehr selbstbewussten Tänzers pulsiert – Erfahrungen dreier Direktorenposten in Athen (2001-2003), Novosibirsk (2006-2015) und Moskau (seit 2011) zum Trotz. Wer einen seiner vielen Gastauftritte im Nationaltheater seit 1999 erlebt hat – z. B. in Fokines „Shéhérazade“ mit Svetlana Zakharova – kann sich erinnern, mit welcher athletischen Leichtigkeit sich Zelensky in die Luft zu katapultieren und effektvoll wieder am Boden zu landen wusste. Genau diesen Aha-Effekt möchte er ab der ersten Vorstellung seines aktuell 69-Tänzer starken Ensembles erreichen. „Seien Sie nicht schon im Vorfeld so kritisch. Geben Sie uns die Chance, uns zu beweisen.“
Der mögliche Erfolg wird Grundlage seiner weiteren Verhandlungen mit Intendant Nikolaus Bachler und Staatsminister Ludwig Spaenle sein. Denn schon jetzt träumt er von mindestens 20 Tänzerstellen und zahlreichen Aufführungsterminen mehr. Immer wieder klopft sich Zelensky ungeduldig gegen die Oberschenkel. Was sollte es dazu im Moment mehr zu sagen geben? Für den Chef und seine Truppe gibt es jede Menge zu tun: Die jungen Tänzerinnen und Tänzer aus 22 Nationen (darunter das aus St. Petersburg nach Bayern übersiedelte Ehepaar Maria Shirinkina und Spitzensolist Vladimir Shklyarov, der Klasse-Kubaner Osiel Gouneo oder die gerade mal 21-jährige Wienerin Prisca Zeisel, die Zelensky mit lediglich fünf weiteren Bewerbern aus einem Pool von 400 als Halbsolistin engagierte) müssen an ihrer jetzigen Wirkungsstätte zu einer richtig miteinander harmonierenden Kompanie mit erkennbarem Eigenprofil zusammenfinden. Das Alphatier im Gefüge ist ganz klar Zelensky. Einer muss schließlich, so formuliert er es augenzwinkernd, die Richtung angeben und sagen, wo es lang geht.
Für die Wiederaufnahmepremiere von Sir Peter Wrights „Giselle“ am 23. September hat man eigens den bald 90-jährigen Choreografen zwecks Auffrischung des hier seit über vier Jahrzehnten im Repertoire befindlichen Werks ins Haus geholt – als spektakulärer Appetizer mit dem internationalen Starpaar Natalia Osipova (Gast) und Sergei Polunin (ständiger Gast) in den Hauptrollen. Auch den vergleichbar betagten Yuri Grigorovich konnte Zelensky nach München locken. Dieser wird seinen martialischen Neoklassiker „Spartakus“ für die Premiere im Dezember etwas überarbeiten und kürzen. Eine Praxis, die sich bei der Übernahme von Christopher Wheeldons 2011 in London uraufgeführter Tanzadaption von „Alice im Wunderland“ (Zelensky: „Meine eigenen Kinder freuen sich schon riesig darauf!“) oder „La Bayadère“ von Patrice Bart und dem Cranko-Klassiker „Romeo und Julia“ (in diesem Fall wurde Stuttgarts Ballettintendanten Reid Anderson gewonnen) fortsetzt.
Münchens Tanzerbe aus erster Hand auf Hochglanz polieren zu lassen, ist ein wesentlicher Punkt auf Zelenskys Agenda – neben dem Ehrgeiz, von international wichtigen modernen Choreografen à la Wayne McGregor und Paul Lightfood, aber auch Nachwuchstalenten wie den Halbsolisten Dustin Klein (München) oder Andrey Kaydanovskiy (Wien) neue Kreationen für das Bayerische Staatsballett zu bekommen. Hierbei kann man ihm uneingeschränkt zustimmen: „Was die Stücke am Leben hält, sind die Interpreten. Und jede Generation tanzt sie mit einer anderen Energie.“ Nun weht ein neuer Wind durch die Probenräume des Bayerischen Staatsballetts am Platzl. Er ist frisch – so die strahlende Ivy Amista, einzige Erste Solistin, die im Ensemble verblieben und in „Giselle“ demnächst als Myrtha vorgesehen ist. Keinesfalls ist er, wie im Vorfeld heftig befürchtet, „eisig“. Das verrät die momentane Stimmung unter den Tänzern. Sie brennen darauf, sich die Herzen der Zuschauer in den ihnen anvertrauten Partien zu erobern. Lassen wir sie losstürmen!
Bayerisches Staatsballett: „Giselle“ am 23. September mit Natalia Osipova (Gast) / Sergei Polunin (ständiger Gast), am 25. September, 15h mit Maria Shirinkina / Vladimir Shklyarov, 19:30h mit Ksenia Ryzhkova / Osiel Gouneo und am 29. September mit Svetlana Zakharova (Gast) / Vladimir Shklyarov im Nationaltheater München