Dass Kunst gesellschaftspolitisch relevant ist, daran ließ das Osterfestival Tirol nie einen Zweifel. So auch in seinem 30. Jubiläum nicht, wo der Programmbogen von 16. März bis 1. April Performances und Tanz, Alte und Neuer Musik, Filme, Aktionen und Vorträge umfasst. Junge – am Beginn stehende – und weltbekannte Künstler nehmen dabei zum mehrfach deutbaren Thema „über.leben“ Stellung.
Dass dabei nicht krampfhaft nach Gesellschaftskritischem gesucht wird, sondern die künstlerische Qualität als Überlebensfrage herangezogen wird, liegt ebenso in der Tradition dieses Festivals. Gerade, aber nicht nur, das Tanzprogramm bietet in dieser Beziehung heuer eine brisante Schau unterschiedlicher Positionen.
Da wäre etwa die Tanzcompagnie, die sich ihren Cast unter TänzerInnen über 40 sucht. Für ihre erste Produktion übergab die seit 2016 auf internationalen Tourneen erfolgreiche Truppe das künstlerische Szepter an den Musiker und Komponisten Matteo Fargion. Dieser hat sechs Choreorafen beauftragt zu seiner Komposition für je einen Tänzer/eine Tänzerin ein Solo zu kreieren. Am Ende stellte er die Soli in einen Dialog zueinander auf die Bühne. Mit dem choreografischen Team – Tim Etchells (Forced Entertainment), der bulgarische Performer Ivo Dimchev, die New Yorkerin Beth Gill, der bildende Künstler Hetain Platel, die britische Tänzerin Lucy Suggate und der französische Künstler Étienne Guilloteau – bietet dieses Werk gleichzeitig einen unterhaltsamen Einblick in das aktuelle, internationale Tanzschaffen. Eine einheitliche, choreografische Handschrift hat „Man Made“ von Jan Martens, das als zweites Stück an diesem Abend gezeigt wird. (24. März)
Helena Waldmanns „Gute Pässe Schlechte Pässe“ macht am 26. März in Innsbruck Station. „Wer oder was bestimmt den Wert eines Passes?“ lautet die Grundfrage, die Waldmann anhand einer stilistischen Reibung stellt. Im Zentrum der Bühne steht eine Mauer aus Menschen (die vor Ort ausgewählt wurden) – Grenzzaun zwischen einer zeitgenössische Tanzcompagnie und Artisten des Cirque Nouveau. In dieser rasanten und dynamischen Gegenüberstellung kommen Themen wie Nationalismus, Grenzen oder die Sehnsucht nach einer geschlossenen Gesellschaft in Spiel …
Die Compagnie de Soi unter der Leitung dem französisch-tunisischen Choreografen Radhouane El Meddeb geht einer Zeit nach, als die Araber noch tanzten und sangen: In „Au temps où les Arabes dansaient …“ loten vier männliche Darsteller die Welt des weiblich besetzten orientalischen Tanzes aus und verfolgen sie bis hin zur aktuellen Entwicklung. (27. März)
„Eine Hymne an die Freiheit“, das ist laut Pressetext das Solo „MDLSX“ des italienischen Künstlerkollektivs Motus. Die Schauspielerin Silvia Calderoni siedelt darin unter Zuhilfenahme von Texten der feministischen Forscherinnen Judith Butler und Donna Haraway sowie des Queer-Theoretikers Paul B. Preciado ihre Performance zwischen Autobiografie und Fiktion an. (31. März)
Einen Abend „purer Lebensfreude" bescheren Rosas mit ihrem ekstatischen Bewegungstableau „Rain“ von Anne Teresa De Keersmaeker in einer Bearbeitung aus dem Jahr 2016 (die Originalchoreografie stammt aus dem Jahr 2001). Das mitreißende Erlebnis, das Tänzer wie Publikum gleichermaßen in den rhythmischen Sog von Steve Reichs „Music for 18 Musicians“ zieht, beschließt das Osterfestival am 1. April.
Musikalisches und …
Die Eröffnung der Jubiläumsausgabe am 17. März bringt mit René Jacobs und dem belgischen B’Rock Orchestra ein musikalisches Schwergewicht nach Tirol. Der Spezialist für Alte Musik widmet sich diesmal der Erforschung von Schuberts Symphonien (Nr. 1 und 4) und kontrastiert diese mit Ligetis „Ramifications“. Der russische Pianist Alexander Melnikov hat aus den Werken Dmitri Schostakowitschs 24 Präludien und Fugen gewählt, in denen Angst und Widerstand des Komponisten im Stalin-Regime durchklingen (28. März). Der Bachspezialist Philippe Herreweghe bringt dessen „Johannes-Passion“ am Karfreitag (30. März) mit seinem Collegium Vocale Gent zur Aufführung. Johannes Maria Staud (21. März) und Wolfgang Riehm (23. März) stehen im Mittelpunkt der Neuen Musik-Programme. Als Koproduktion mit Innsbruck International ist Elfriede Jelineks „Schatten (Eurydike sagt)“ in der Inszenierung von Sabine Mitterecker und in der Klangeregie von Wolfgang Musil am 17. und 18. März zu sehen.
Im Leokino präsentiert das Osterfestival passend zur Zeit Nachdenkliches um das Thema Leben und Tod: Andrei Tarkowskis „Nostalghia“ (19. März), Akiro Kurosawas „Ikiru“ (20. März) und Michael Hanekes „Amour“ (22. März)
Bereits seit dem 14. Februar bereiten sich Hall, Innsbruck und Umgebung auf die beiden dichten Festwochen mit kurzen musikalischen oder performativen Interventionen im öffentlichen Raum vor. Jeden Tag wird einer der „40 Orte“ bespielt, vorwiegend von Tiroler Musikern und Künstlern. Die Serie „OrgelSPIELE“ mit kurzen Orgelkonzerten in der Pfarrkirche Hall stimmen ebenfalls bereits seit Februar auf das Festival ein.
30. Osterfestival Tirol, 17. März bis 1. April in Hall in Tirol und Innsbruck