Als der Jazz noch tanzte. Mit dem Lindy Hop kommt heuer ein wunderbar fröhlicher Retro-Tanz zum Tanzfestival in Bozen. Der in den 1980er Jahre wiederentdeckte energiegeladene Paartanz erfreut sich mittlerweile einer ungleich größeren Reichweite als in seiner Blütezeit von den 1920 bis 1940er Jahren. Wobei sich die Zeit zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Großen Depression für die Menschen damals wohl wie kurze Ferien angefühlt haben muss.
Bis zum Börsenkrach 1929 waren die Roaring Twenties von acht glücklichen Jahren bestimmt, in der Tanz und Musik zum Lebensstil gehörten. Als einer der Swingtänze ist der Lindy Hop nicht nur Symbol für diese Zeit, sondern auch eine außergewöhnliche soziokulturelle Geschichte, die in Harlem in New York ihren Ausgang nahm. Denn er durchbrach die strikte Rassentrennung, die damals in den USA herrschte.
„It don't mean a thing, if it ain't got that swing / (doo-ah, doo-ah, doo-ah, doo-ah, doo-ah, doo-ah, doo-ah, doo-ah)“ besang Ella Fitzgerald den Rhythmus, der eine ganze Generation prägen sollte. Es ist die Spannung zwischen Beat und Offbeat, die Beschleunigungsakzente setzt und die typisch für afrikanische Musik ist. Dieses Tempophänomen fährt regelrecht in die Beine, und machte seinen Weg von der Straße in die Nachtclubs. Dort wurde der Lindy Hop, ein Hybrid aus afrikanischen Rhythmen und strukturierten europäischen Tänzen – wie eine frühe Form des Foxtrott – vermischt mit Elementen aus dem Stepptanz und dem Charleston, bald überaus beliebt.
Der Savoy Ballroom in Harlem
Schuld daran waren bahnbrechende Neuerungen des frühen 20. Jahrhunderts: das Radio wurde zunehmend populärer und der Jazz erlebte eine bis dahin ungeahnte Verbreitung. Der Tonfilm ersetzte seinen stummen Vorgänger. Für den Tanz war vor allem die Clubszene, die sich seit Anfang des Jahrhunderts etabliert hatte, entscheidend. Vor allem einer ist mit der Geschichte des Swings untrennbar verbunden: Der Savoy Ballroom in Harlem in unmittelbarer Nachbarschaft zu Manhattan in New York wurde im März 1926 eröffnet. Der von einem weißen Entrepreneur, einem jüdischen Unternehmer sowie dem afroamerikanischen Geschäftsmann und Bürgerrechtsaktivisten Charles Buchanan gegründete Club war der einzige, in der sowohl weiße als auch schwarze Besucher Zutritt hatten. Buchanan wollte mit einem „luxuriösen Tanzsaal, der den vielen Tausenden, die in einer raffinierten und geschmackvollen Atmosphäre tanzen wollten“ eine Alternative zu den vielen Nightclubs in „kleinen, stickigen Hallen und stinkenden, verrauchten Keller“ bieten.
In dem zweistöckigen Gebäude mit einer riesigen Tanzfläche wurde der Lindy Hop berühmt. Das Design des Savoy würde man heute wohl mit dem Attribut „unicorn“ versehen: Das Foyer war mit einem riesigen Kristallluster ausgeleuchtet, eine Marmortreppe führte in den Tanzraum im Souterrain. Dieser war pink ausgemalt, die Wände waren verspiegelt, bunte Lichteffekte tanzten auf dem Schwing-Holzboden (der alle drei Jahre erneuert werden musste) – kurz: man fühlte sich in eine andere, eine glitzernde, glamouröse Welt versetzt.
Buchanan setzte auf Etikette und forderte von seinen Gästen gutes Benehmen ein. Für Sicherheit auf dem Parkett sorgten vier Aufpasser – es war schließlich die Zeit der Prohibition – die auch auf die Einhaltung des Dresscodes – Sakko und Krawatte – pochten. „Harlems schönste Frauen“, die Savoy Hostessen wiederum fungierten als Tanzlehrerinnen, (denen es untersagt war mit den Gästen außerhalb des Etablissements Beziehungen zu unterhalten).
„home of happy feet“
Das Savoy war von Anfang an populär und wurde zur „Heimat glücklicher Füße“ (Lana Turner hatte es nach ihrem Besuch als „home of happy feet“ bezeichnet und gab damit dem Savoy seinen Beinamen). Zur Eröffnung mussten 2000 Eintritt Suchende abgewiesen werden. 4000 Gäste pro Nacht (etwa 700.000 pro Jahr) tanzten zu den angesagtesten Big Bands der Zeit wie Benny Goodman, Chick Webb oder Count Basie. Jeden Abend waren zwei Orchester engagiert, die für ein Non-Stop-Programm sorgten. Infolge entstanden Wettbewerbe wie „Battle of the Bands“, aber auch die Tänzer traten gegeneinander an. Denn das Savoy zählte die besten Lindy Hopper der Stadt zu seinen Gästen. Bald entstand eine professionelle Truppe, „Whitey’s Lindy Hoppers“, die in zahlreichen Filmen, etwa in dem Marx Brothers-Film „A Day at the Races“ („Ein Tag beim Rennen“) oder „Hellzapoppin“ („In der Hölle ist der Teufel los!“) des Komikerduos Olsen und Johnson auftraten. Die virtuosen Tänzer setzten sich von der Allgemeinheit ab und benutzten einen eigenen Bereich des Tanzbodens, die sogenannte „Kat’s Corner“ (Katzenecke). Die Konkurrenz war groß in „the corner“ und jeder ernsthafte Lindy-Hopper wartete jeden Abend ungeduldig auf die „Showtime“.
Sehr beliebt waren auch die Tanz-Marathons, in dem das am längsten durchhaltende Paar gewann. Eine Anekdote führt den Namen auf eine derartige Veranstaltung 1927 zurück, dem Jahr, in dem Charles Lindbergh den ersten Alleinflug von New York nach Paris schaffte. Ein Journalist fragte den Tänzer George „Shorty“ Snowden während einer Pause, wie denn dieser verrückte Tanz hieße. Shortys schnelle Antwort war: „Lindy Hop“ und der Name saß. (Der Tanz-Marathon erlangte übrigens durch Sidney Pollacks Film „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“ aus dem Jahr 1969 notorische Berühmtheit.)
Das Savoy verfolgte eine Anti-Diskriminierungspolitik. Im Gegenteil zu anderen Nachtclubs in New York, wie dem für seine Stepper berühmten Cotton Club, wurden die Tänzer im Savoy nicht aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert. Die Lindy-Hop-Legende Frankie Manning erinnert sich: „Eines Abends kam jemand und sagte: ‚Hey man, Clarke Gable ist gerade gekommen.’ Worauf einer antwortete: ‚Oh ja, kann er tanzen?’ Alles was sie wissen wollten, wenn jemand ins Savoy kam, war ob er tanzen konnte.“
Außer dem Lindy Hop entstanden eine ganze Reihe weitere Swingtänze wie Balboa, Shag, East und West Coast Swing oder Boogie Woogie, die wiederum Inspiration für die späteren Jive und Rock and Roll waren. In Europa waren es vor allem die legendären Auftritte von Josephine Baker, die zu einer Charleston-Euphorie führten. Den Lindy Hop bzw. dessen direkten Nachfolger Jitterburg brachten allerdings amerikanische Soldaten während des Zweiten Weltkriegs hierher und er wurde vor allem in Großbritannien populär.
Das Savoy musste 1958 seine Pforten endgültig schließen und einem Wohnbauprojekt weichen. Das endgültige Aus für den legendären Nachtclub war symbolisch für das Ende der Swing-Ära, die von Be-Bop und Rock and Roll abgelöst wurde.
Swing Revival
Erst in den 1980er Jahren wurden einige Savoy-Tänzer wieder entdeckt, und Frankie Manning wurde zur Leitfigur des Lindy Hop-Revival. Der 1914 in den Südstaaten der USA Geborene wurde berühmt, als er 1935 in einem Wettbewerb gegen Namensgeber George „Shorty“ Snowden den ersten „arial“ ausführte, indem er seine Partnerin Frieda Washington über die Schulter warf. Bis zu seinem 94. Lebensjahr (er starb 2009 in New York) gab er weltweit Swing Dance Kurse, eine neue Generation von Lindy-Hoppern entstand und der Retrotanz hielt wieder Einzug in Filme wie „Malcolm X“, oder „Eine Klasse für sich“ mit Tom Hanks, Geena Davis und Madonna in den Hauptrollen.
Seither zieht das Swing-Fieber immer weitere Kreise und hat auch die elektronische Musikszene „infiziert“. Einer der Pioniere des Electro Swing ist der Oberösterreicher Marcus Füreder, der unter seinem Künstlernamen Parov Stelar einen Stil aus Jazz, House, Electro und Pop entwickelt hat.
Die Vertreter des Savoy hätten sich jedoch wohl nicht vorstellen können, dass ihre Tänze sich weltweit so rasant über das Internet und Videos verbreiten werden, dass es Tänzer geben wird, die beinahe hundert Jahre später den speziellen Swing-Kick zu ihrem Lebensinhalt machen würden.
Wie etwa Benjamin Cook, der heuer den Lindy Hop auch in Bozen unterrichten wird. Der gebürtige Australier mit Wohnsitz in London entdeckte den Swingtanz 2006 und wurde professioneller Lindy Hopper. Außerdem hat er die köstlichen Animal Dances, mit denen sich die schwarze Bevölkerung auch über die Weißen mockiert hat, und den Charleston studiert.
Der Neo-Swing kann cool und elegant sein wie etwa der Hollywood Stil, eine „gezähmte“ Version für Filmchoreografien, oder auch wild und spontan, mit ver-rückten Bein- und Körperverrenkungen. Dahingehend hat Benjamin auf seiner Homepage ein Zitat des eminenten New Yorker Tanzkritikers Edwin Denby (1903-1983) vorangestellt: „Im Tanzen liegt ein bisschen Irrsinn, der allen sehr gut tut.“
In diesem Sinne: Keep Swinging – doo-ah, doo-ah, doo-ah, doo-ah, doo-ah, doo-ah, doo-ah, doo-ah!
Tanzbozen von 25. bis 28. Juli 2018
Der Text ist ein Originalbeitrag für die Zeitschrift „Ein/blick“, herausgegeben vom Südtiroler Kulturinstitut Bozen