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grace-note_probenfotoEin „performatives Konzert“ nennt Chris Haring die Produktion des Ensembles PHACE in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Arturo Fuentes und der Tanzcompany Liquid Loft im Rahmen des Festivals Wien Modern. Inspiriert von der letzten Vortragsreihe des italienischen Dichters Italo Calvino – „6 Vorschläge für das neue Jahrtausend“ – hat Fuentes, zur Zeit Composer in Residence bei PHACE, ein musikalisches Script geschrieben, von dem ausgehend das Stück „Grace Note“ gemeinsam erarbeitet wird.

Die Bühne ist ein geordnetes Chaos, voller Klanginstrumente. Eine Schreibmaschine ist dabei, sie klappert und ein Fahrrad, dessen Speichen sirren können, und auch allerlei selbst Gebasteltes. Doch ebenso werden aus dem Konzertsaal bekannte Instrumente gespielt (Cello, Roland Schueler; Bass, Maximilian Ölz; Saxophon, Lars Mlekusch; Percussion, Berndt Thurner), wie auch elektronisch erzeugte Geräusche für Rhythmus und Sound sorgen, wenn das Ensemble PHACE (im Kern aus zehn MusikerInnen bestehend) den Ton angibt. Der Ton, richtiger der auf- und abschwellenden Klang, komponiert von Arturo Fuentes, ist das Muster für die TänzerInnen, deren Bewegungen mitunter auch von den Musikern kopiert und ergänzt werden.

Wenn Bass, Cello und Baritonsaxophon schweigen, saust ein akustischer Windstoß den TänzerInnen (Stefanie Cummings, Luke Baio, Ian Garside) entgegen und sie erstarren in der Bewegung, Arme und Hände strecken sich dem Geräusch entgegen. Der letzte sausende Ton wirft sie zu Boden. Abrupt wird es dunkel. Die Drei tragen Notenständer herbei, stellen sich auf wie für einen Vortrag, machen leise und rhythmisch murmelnd ihre eigene Musik und mit kleinen Leuchtstangen ihr eigenes Licht.  Mit ausgebreiteten Armen, nahezu fliegend, geben sie sich später wieder der Musik hin, die Musiker mitten darunter und auch eine Männerstimme macht Musik, spricht über die Zeit, die vergeht und die Kunst die ewig bleibt, wenn auch manchmal nur als Echo.

Ob das so Gesehene auch so zu sehen sein wird, ist nicht sicher, sind doch Christ Haring / Liquid Loft, Arturo Fuentes, PHACE und auch der bildende Künstler und Bild-Dichter Günther Brus noch in der Probenphase für „Grace Note“. Wenn sie in drei Tagen die Bühne der Halle G bespielen werden, kann der Prozess erst richtig zu Ende geführt werden.  Der Titel des Stückes aus Klang, Bewegung, Licht und Bühne ist übrigens eine Anspielung auf die Inspirationsquelle, hat doch Calvino nur fünf der geplanten sechs Essays schreiben können, bevor er 1985 gestorben ist. „Grace Note“, erklärt Fuentes, „ist die Vorschlagnote, die vor dem Hauptton angespielt wird und wir machen hier den Vorschlag für den fehlenden letzten Teil.“ Doch für das Publikum ist natürlich diese gerade im Entstehen begriffene „grace note“ (die übrigens immer verkleinert und durchgestrichen auf dem Notenblatt steht) die Hauptnote. Ein in sich verschlungenes Wortspiel also, das auch ein Licht auf Fuentes’ plastische, verschlungene und doch gut strukturierte Komposition wirft.

Verschlungen ist auch die Arbeitsweise der Mitwirkenden. Alles ist mit allem und alle sind mit allen verwoben. Die Musik bedingt die Bewegung und die Bewegungen verändern die Musik, die Musiker bewegen sich (mehr als im üblichen Konzert) und die TänzerInnen machen mit dem Körper und der Stimme Musik. Fuentes lobt die Musikalität der drei Bewegungskünstlerinnen und Chris Haring lacht, weil ich ihn frage, ob er Noten lesen könne. „Ich komme von der Musik über den Tanz zur Choreografie. Ich habe ja Musik studiert.“ Günther Brus steht im Programm als für das „Bühnenbild“ verantwortlich, doch ist er genauso in den gesamten Entstehungsprozess eingebunden wie Haring / Liquid Loft, Fuentes, die Musiker und die TänzerInnen. Der 75jährige Künstler trägt mehr zur Gesamtwirkung der Produktion bei als bemalte Wände. Oder vielleicht gerade diese nicht.

„Das Schöne ist“, freut sich Haring, „dass Arturo zwar das Konzept gemacht und als Grundlage ein Script geliefert hat, aber für alles offen ist. Die Bewegungen sind dazu gekommen und plötzlich war alles ganz anders.“ Drei Monate hat Fuentes mit den Musikern probiert und geprobt, bis das Konzept Gestalt angenommen hat. Dann erst hat die Konversation mit mit Haring und den Mitwirkenden (Liquid Loft) begonnen und das Projekt Gestalt angenommen.

Noch als der 1975 in Mexico City geborene Fuentes in Mailand studierte, ist er mit den Texten von Calvino vertraut geworden. Die Begriffe, die der Italiener seinen Vorträgen (für Literaturstudenten) zuordnete, haben den jungen Komponisten an die Sprache der Musiker erinnert: „Leichtigkeit, Schnelligkeit, Genauigkeit, Anschaulichkeit und Vielschichtigkeit, diese Bezeichnungen gebrauche ich auch in der Musik, aber sie implizieren ebenso das Gegenteil. Schnelligkeit kann nur in Relation zur Langsamkeit festgestellt werden, Leichtigkeit gibt es nicht ohne Schwere.“ Chris Haring haben die Begriffe gleichwohl an den Tanz erinnert: „Das sind unsere Vokabel, damit arbeiten wir.“ So war man sich von Beginn an einig. Die fünf Termini wurden zur thematischen Grundlage für die Produktion. Doch wer sie sucht, wird sie nicht so leicht finden, es gibt keine Kapitelüberschriften, kein plakatives Schnell oder Leicht, Calvino ist lediglich die unsichtbare Quelle. Nur die Genauigkeit, die ist seit je ein Arbeitsprinzip von Liquid Loft. Und die Bewegung, die kennzeichnet das gesamte Projekt. Alles fließt.

„Grace Note“, Uraufführung am 31. Oktober 2012 im Tanzquartier im Rahmen des Festivals Wien modern. Weitere Aufführungen: 1., 2., 3.November 2012.

Probe gesehen am 20. Oktober im Probenraum von Liquid Loft.

 

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