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GuillemSylvie Guillem ist heuer 50 geworden. Über 35 Jahre stand sie auf der Bühne. Zeit, wie sie findet, um von diesem Leben Abschied zu nehmen. Im Rahmen ihrer letzten Tournee mit einem erlesenen Programm unter dem Titel „Life in Progress“ machte sie auch im Festspielhaus St. Pölten Station. Der Abend wurde zu einem unvergesslichen Moment in diesem Tanzjahr. Das Publikum erwies Guillem mit zugleich stürmischem wie warmem Applaus seine Reverenz.

Nicht jede Ballerina geht mit dem Älterwerden so souverän um wie Sylvie Guillem. Im Sommer dieses Jahres habe ich beispielsweise eine andere große Ballerina, Alessandra Ferri erlebt, die vor zwei Jahren nach einer längeren Abwesenheit wieder auf die Bühne zurück gekehrt ist. Für ihr Programm „Evolution“ umgab sie sich mit vier feschen, jungen Tänzern und gab mit ihnen einige Pas de deux zum Besten – auf Spitze, im Trikot oder im durchsichtigen Tüllkleidchen. Klar, die Figur dafür hat sie allemal, und doch ist dieses Vorgaukeln ewiger Jugend ein antiquiertes und unglaubwürdiges Konzept. Spätestens seit dem Nederlands Dans Theater NDT3, einer Compagnie mit Tänzern ab 50 (die leider 2006 aufgelöst wurde), ist es erlaubt, das Tänzer- und vor allem Tänzerinnen-Alter einzugestehen und dementsprechend passende Choreografien zu wählen. Ferris Programm bestand aus Ausschnitten aus bereits existierenden Werken von Frederick Ashton, Christopher Wheeldon und Twyla Tharp. Mit ihrem Auftritt hat die einstige Primaballerina assoluta ihr eigenes, glanzvolles Image eher beschädigt als für eine weitere Karriere gültige Alternative aufzuzeigen.

maliphantDie Choreografien in Sylvie Guillems Programmen hingegen waren immer für sie maßgeschneidert. Und niemand lässt sie dabei alt aussehen, auch nicht, wenn sie mit ihrer um Einiges jüngeren Kollegin Emanuela Montanari das Duo „Here & After“ von Russel Maliphant tanzt, das auf der Synchronizität und Harmonie der beiden basiert. Klar kann Guillem ihr Bein noch immer mit Leichtigkeit 180 Grad hoch schwingen, und das verwehren ihr auch die Choreografen nicht. Doch darauf kommt es eben nicht an, denn in ihrem klugen Auswahl liegt der Fokus auf dem Ausdruck einer reifen Künstlerin.matsek

Konservativismus mochte die Guillem nie. Als man ihr in Paris nicht genügend Freiraum für Gastspiele bei anderen Compagnien gab, kündigte sie und ging mit einem Gastvertrag nach London. Legendär ihre dortige Auseinandersetzung mit dem Choreografen Kenneth McMillan oder ihr offener Angriff auf die Ex-Direktorin des Royal Ballet, Monica Mason, die die einstige Starballerina als die Verkörperung dessen bezeichnete, was ein Direktor nicht sein sollte, nämlich „dumm, frustriert und ohne Visionen“.

Guillem war immer auf der Suche nach Neuem. In den letzten Jahren hatte sie durch ihre Assoziation mit dem Londoner Tanzhaus Sadlers Wells mit der Crème de la Crème der zeitgenössischen Choreografen wie Akram Khan oder Russel Maliphant zusammengearbeitet.

forsytheBereits für die junge Ballerina war William Forsythe prägend, der für sie seit Beginn ihrer Karriere Rollen kreiert hat (zum Beispiel „In the Middle, Somewhat Elevated“). Bei „Life in Progress“ tanzte sie Forsythe zwar nicht selbst doch das wunderbare „Duo2015“ für Brigel Gjoka und Riley Watts war eine Art Hommage an ihren kreativen Wegbegleiter. Die beiden Forsythe-Tänzer führten das Stück bereits über 60 Mal auf und sind mit traumwandlerischer Sicherheit aufeinander eingespielt; köstlich, wie sie sich gegenseitig zu Reaktionen motivieren oder wie missverständlich die Bewegung des Anderen parieren. Das Stück passte wunderbar in das Programm, das von zwei Soli eingerahmt war: Zu Beginn stand Akram Khans „Technê“ am Ende „Bye“ von Mats Ek. Wieder (es war bereits 2012 im Festspielhaus St. Pölten zu sehen) konnte man sich an den optischen Tricks zwischen Realität und Illusion, zwischen Bühne und Video freuen.

Man wird sie vermissen, die Ausnahmekünstlerin. Den Ruhestand traut ihr wohl keiner zu. Noch gibt sie ihre nächsten Schritte nicht preis, doch schon der Programmtitel deutet darauf hin, dass Sylvie Guillem ihre nächste Herausforderung bereits im Visier hat, wenn sie sagt: „I´m about to change direction. This is a Life in Progress. My Life.“

Sylvie Guillem: „Life in Progress“ am 2. Dezember 2015 im Festspielhaus St. Pölten

 

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