Der Zuschauerraum kocht, das Publikum tobt, der Dirigent strahlt, wird samt dem Corps und den SolistInnen immer wieder vor den Vorhang geholt. Nurejews neu einstudiertes und frisch ausgestattetes Ballett „Schwanensee“ erreichte nach einer begeistert aufgenommen Premiere und gelobten Folgevorstellungen am fünften Abend mit Liudmila Konovalova und Denys Cherevychko einen überwältigenden Höhepunkt.
Ein Traumpaar. Cherevychko und Konovalova haben bei ihrem zweiten gemeinsamen Auftritt zur perfekten Harmonie gefunden, tanzten energiegeladen und ohne Anstrengung und bedienten sich virtuos aller darstellerischen Mittel, um die Geschichte plastisch und berührend zu erzählen. Die makellose Technik beider muss nicht eigens erwähnt werden, dass es ein Vergnügen ist zuzusehen, wie die beiden aufeinander eingehen, sowohl ihrer Rolle als auch der Partnerin / dem Partner gerecht werden, soll deutlich fest gehalten werden.
Respekt statt Schonung. Weil es die Geschichte gebietet, dass sowohl Odette wie Odile den Prinzen Siegfried an der Hand nimmt, manipuliert und berechnend ihre Ziele verfolgt (Odette will erlöst werden / Odile will das verhindern), rührt der düpierte Siegfried besonders ans Herz. Der so leicht entflammbare Prinz verdient mein Mitleid, der Tänzer braucht es nicht. Cherevychko hat mit diesem Auftritt gezeigt, dass es kein „trotzdem“ und kein „obwohl“ braucht, um ihn als großartigen Prinzen zu sehen. Ob lachend oder weinend, drehend, springend, die Partnerin fangend oder hebend, er ist ein Prinz von echtem Schrot und Korn, die Konovalova seine Prinzessin, voll Anmut und Grazie . Die Jubelschreie, die nicht nur dem großartigen Paar sondern auch Andrej Teterin als Zauberer Rotbart und dem gesamten makellosen Corps samt dem Orchester, umsichtig und mit Verve geleitet von Alexander Ingram, galten, ertönten schon während der Vorstellung, vor allem natürlich nach den Variationen von Odile und Siegfried im dritten Akt.
Die Körper haben sich verändert. Zeigt Konovalova, dass Odette und Odile, bei Licht besehen. nur die beiden Seiten ein und derselben Frau sind, so macht mir Cherevychko klar, dass es Zeit wird sich von den Regeln und Klischees des klassischen Balletts alter Schule zu verabschieden. Im 21. Jahrhundert haben sich die Wert verändert, so wie sich auch die Körper der TänzerInnen verändert haben. Perfekte Körperbau nach Vorschrift und das fehlerlose Funktionieren einer Maschine, sind überholte Kriterien einer längst vergangenen Zeit. Das lodernde Feuer für den Tanz, das die Tänzerin / den Tänzer in Ekstase versetzt und das Publikum mitreißt, braucht keine Messlatte für Halslänge, Spannhöhe oder Kopfumfang. Ja, Sprungkraft braucht es und Grazie, Stärke, Energie und Disziplin und den gar nicht alltäglichen Wahnsinn, sich dieser Kunst hinzugeben und sie zum Beruf zu machen. Vor wenigen Tagen, am 21. März, hat Denys Cherevychko den Prinzen Siegfried zum ersten Mal auf der Bühne der Staatsoper getanzt, schon in der zweiten Vorstellung hat er gezeigt, dass er, wie er selbst einmal als Ziel formulierte, „besser ist als er selbst.“
Wiener Staatsballett: „Schwanensee“ am 28. März 2014 an der Wiener Staatsoper.
Die Vorstellung wurde von der Wiener Staatsoper aus Dispositionsgründen nicht fotografiert.