„Gleichschritt, Tanz und Rasse. Die Auswirkungen der NS-Kulturpolitik auf den künstlerischen Tanz am Beispiel von Gret Paluccas choreografischem Schaffen“, lautet der Titel der Bachelor-Arbeit von Nicoletta Müller. Der Fokus liegt auf der Frage, mit welchen Forderungen und Richtlinien sich Tänzerpersönlichkeiten, im Bestreben des NS-Regimes ein besseres Kapitel „deutscher“ Kunst zu schreiben, arrangieren mussten um weiterhin ihren Beruf ausüben zu können.
Kunst und Kultur standen für das NS-Regime im Dienste von Staat, Volk und Rasse. Bereits in den ersten Monaten nach der Machtübernahme Adolf Hitlers, wird erkenntlich, dass die Vielfalt der Kunst und Kultur, die sich während der Weimarer Republik in Deutschland entwickelt hatte, unwiderruflich zu Ende war. Es herrschte ein großes Missfallen der Nationalsozialisten an diesem vorherrschenden politischen System der individuellen Freiheit und der damit verbundenen Kunst und Kultur. Lediglich den Trend zur Massenkultur und Massenunterhaltung, setzte das Regime unvermindert fort, mit dem Ziel der Manipulation der Massen. Das NS-Regime hatte somit klare Vorstellungen, für welche Zwecke es die Kunst und damit auch den Tanz instrumentalisieren würde.
Die Kunst diente als optimistische Nachbildung der Wirklichkeit. Von den nationalsozialistischen Künstlern wurde ein Verschmelzen der Grenzen zwischen Politik und Kunst verlangt, in dem Sinne, dass sie dem politischen Zeitgeist einen kulturellen Ausdruck zu verleihen hatten. Diese Zweckkunst erstickte viel modernes Künstlertum im Keim. Das NS-Regime lehnte alle Strömungen der Moderne strikt ab und es galt als eines der obersten Anliegen alles „Artfremde“ auszumerzen. Um dieses Ziel umsetzen zu können, mussten sämtliche Kunstschaffende in einer Organisation zusammengefasst werden, um die Künstler zentral zu verwalten, zu kontrollieren und ihnen eine künstlerische Führung vorzugeben. Als geeignete Instanz sah man die 1933 gegründete Reichskulturkammer (RKK) an. Vorwiegend verfolgte man mit ihr jedoch das Ziel, den nicht arischen Einfluss auf das deutsche Kulturgut zu bekämpfen. Kein Künstler konnte der Entscheidungsgewalt der RKK entgehen.
Für das Regime interessant machte den Tanz, dass man mit ihm einerseits eine breite Masse an Menschen erfassen konnte und dass andererseits bereits ein großes Interesse für Tanz in der Bevölkerung bestand. Der Tanz gehörte der Reichstheaterkammer (RTK) an. Ihr war es möglich, mittels des Theatergesetzes, die Personalpolitik, die Spielplanpolitik sowie die Besucherstruktur zu steuern.
Tanz hatte grundsätzlich leicht zu verstehen, urwüchsig, anti-intellektuell, einfach strukturiert, heiter, heroisch, gesund, und natürlich rassisch untadelig zu sein. Nicht nur der Inhalt von Tanzstücken sondern auch die Musikauswahl mussten den Vorgaben des NS-Regimes genügen. In den Jahren 1933-1945 existierte im Deutschen Reich kein Aspekt der Kunst, der nicht zwangsweise ideologisch durchdrungen war, um als politische Propaganda zu fungieren.
In den Anfangsjahren des NS-Regimes kam es ausschließlich zu organisatorischen Veränderungen im Tanz, weshalb viele der Tänzer und Tanzschaffenden, glaubten, ihren Tanz unpolitisch belassen zu können. Doch dieser naive Gedanke stellte einen Irrtum dar, da es das vorrangige Bestreben war, den Tanz in die Pflicht des Nationalsozialismus und folglich dessen Ideologie zu stellen. Zuspruch erhielt das Regime von der Masse an jungen, aufstrebenden Tänzern, die sich durch eine Mitgliedschaft in der NSDAP leichtere Aufstiegsmöglichkeiten und Karrierevorteile erhofften, denn der Tanz erfuhr in dieser Zeit Förderungen von Staat und Partei wie nie zuvor. Dies führte zu dem großen Zuspruch, der zum größten Teil am Rande des Existenzminimums lebenden Tänzer.
Die Arbeit verdeutlicht die NS-Kunstpolitik anhand des Beispiels der Ausdruckstänzerin Gret Palucca, deren Schaffensperiode zur Zeit der NS-Diktatur war.
Gret Palucca machte ihr Debüt in der Weimarer Republik, sprich in einer Zeit künstlerischer Freiheit. Charakteristisch für sie waren ein Vor- und Rückbeugen des Oberkörpers, akrobatische Elemente, hohe Beinwürfe und enorm hohe Sprünge, sowie eine Überspitzung bzw. Betonung der Mimik, geballte Fäuste, große Ausfallschritte und lautes Stampfen.
Ihren Durchbruch hatte sie in den frühen 30er Jahren, basierend auf der schwerelosen Thematik ihrer Tänze sowie ihrer positiven Ausstrahlung. Ihr Tanz wurde in dieser Zeit zu einem Symbol für die Bewältigung von Lebensproblemen durch „Kraft und Freude“. Mit „Kraft und Freude“ nahm sie bereits Attribute vorweg, die ab 1933 gewünscht waren.
Palucca wurde unter dem NS-Regime die Personifikation der Parole „Kraft durch Freude“ und man erwartete von ihr Bewegungen, die den Vorstellungen des NS-Regimes entsprachen. In den Jahren ab 1935, wurde ihr der Titel „deutscheste Tänzerin“ zugesprochen. Vieles, was sie einmal zur Vorreiterin eines neuen Stils gemacht hatte, galt nun als „artfremd“ und war somit verboten. Angepasst an die gewünschten Vorstellungen von Tanz, Ästhetik und dem Bild der Frau feierte sie ihren größten Erfolg als Teil des Rahmenprogramms der Olympischen Spiele von 1936. Nach den olympischen Spielen folgte jedoch sehr schnell ihr Absturz, da sich die ehemaligen Ausdruckstänzer nicht ausnahmslos in die Vorstellungen und Vorgaben des NS-Regimes pressen ließen und bekannt wurde, dass Palucca eine Halbjüdin war.
Zusammenfassend hat das NS-Regime mit seiner Politik mittels Organisation, lückenloser Kontrolle und Richtlinien die gesamte Kunst im Deutschen Reich unterworfen. Alles Fortschrittliche, was sich in der Weimarer Republik entwickelt hatte, wurde verachtet und wieder rückgängig gemacht.
Nicoletta Müller
hat sowohl den Vorbereitungslehrgang, als auch den Bachelorstudiengang „Zeitgenössischer und Klassischer Tanz“ an der MUK Wien absolviert. Während ihre Studiums hat si in Stücken von Esther Balfe, Saju Hari, Simon Mayer und Georg Blaschke getanzt sowie beim Impulstanz Festival 2015 in einer Adaption von Trisha Browns „Set&Reset“. Außerdem nahm sie an Masterclasses mit der Sasha Waltz Company und dem Tanztheater Wuppertal teil. 2012 hat sie die Sommerakademie der Fotoschule Wien absolviert.
Die Bachelorarbeit „Gleichschritt, Tanz und Rasse. Die Auswirkungen der NS-Kulturpolitik auf den künstlerischen Tanz am Beispiel von Gret Paluccas choreografischem Schaffen", resultiert aus Nicolettas Interesse an Geschichte. Derzeit studiert sie Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Wien.