Tänzerin und Choreografin Doris Uhlich fragt sich, wie es ist, 2023 Sonne zu sein und Leben auf der Erde zu zerstören. Weichzeichnen ist nicht ihre choreografische Sprache. 2010/2011 war sie Artist in Residence im Festspielhaus St. Pölten, nun war sie mit der Uraufführung „Sonne“ zu Gast am Haus.
Melancholie schwingt angesichts des Themas Klimakrise von Beginn an in der Performance mit. Einziges Requisit ist ein von der Decke hängender Ring aus Metall. Das Licht braucht Zeit, bis es den Hintergrund der sonst schwarzen Bühne erreicht. Als Boris Kopeinigs pulsierender elektronischer Sound einsetzt, glaubt man das Rauschen des Kosmos zu hören.
Die Tänzerin und Choreografin Doris Uhlich schwebt als dunkles, amorphes Etwas vom Schnürboden herab. Langsam öffnet sie sich und wird zur Sonne. Dann ist sie Löwin mit Mähne und Fellstiefeln in gelb, Slip und Bikerjacke in schwarz. Die Bühne gehört ihr allein. Bemerkenswert ist das Licht-Schatten-Spiel, etwa wenn es der Auf- und Abbewegung der gelb-schwarzen Löwinnen-Hände folgt. Disco-Sound markiert die unbeschwerten 80er und 90er Jahre, als sich noch niemand um das Klima kümmerte. Doris Uhlich tanzt ausgelassen, das Kind Romy Nagl hüpft und singt und spielt in gelben Stiefeln wie eine kleine Sonne mit einem blauen Globus Ball. Dann setzt sie sich hin und erzählt bezaubernd und nachdenklich Sonnengeschichten (Texte: Doris Uhlich und Boris Kopeinig), etwa: „Ich habe zu hören bekommen: Wenn du nicht aufisst, wird das Wetter schlecht. Mir wurde oft übel.“
Die Stimmung kippt. Auf der Bühne fängt ein Motor Feuer, Rauch qualmt aus allen Schläuchen, Scheinwerfer färben den Rauch, begleitet von Donnern und Dröhnen, rot. Es wird ungemütlich im Großen Saal. „Call me plasmafuria“, tönt der ohnmächtige Aufschrei der Sonne in Uhlichs und Kopeinigs „Heat Song“. Die Menschheit hat für die Warnungen der Wissenschaft kein Ohr. Wie es ist, 2023 Sonne zu sein und Leben auf der Erde zu zerstören, gipfelt in Uhlichs eigene, ohnmächtig zitternde Nacktheit.
Das einst frohe Kind steht vor den Trümmern seiner Welt. Es rezitiert ein Gedicht, zornig, denn das Gedicht von der lieben Sonne ist eine Lüge. Vom Rand der Bühne schreit es minutenlang seine Wut und Verzweiflung ins Publikum. Der Schmerz des Kindes trifft mitten ins Herz.
Die Uraufführung im Rahmen der CPA - Choreographic Platform Austria, am 20.Oktober 2023 lässt hoffen, dass ein Funke sonniger Strahlkraft und der Mut, Gewohnheiten zu überdenken und zu ändern, auf die Zuschauer übergesprungen ist! In St.Pölten hatte es an diesem Tag Ende Oktober noch um 19 Uhr 24°C.
* Dieser Text ist Teil einer Kooperation mit dem Festspielhaus St. Pöten, bei der in unregelmäßiger Folge Eindrücke der Festspielhaus-Reporter*innen-Community über Tanzperformances veröffentlich werden.