Manchmal gibt es sie – diese Ausstellungskataloge, in denen man nicht nur durch die Seiten mit Abbildungen blättert, sondern in die man sich vertieft, liest und immer weiter liest. Die jüngst im Hirmer Verlag erschienene Publikation über das Werk der amerikanischen Künstlerin Simone Forti bietet eine solch intensive Lektürelust. Kenntnisreich und detailliert sind die Textbeiträge, großartig das Foto- und Abbildungsmaterial.
Simone Fortis künstlerische Arbeit artikuliere sich in einer beispiellosen Freiheit und in vielfältigen Verbindungen, als würden Disziplinen, Genres und Grenzen nicht existieren, so formuliert es Sabine Breitwieser, Herausgeberin des Bandes und Veranstalterin der ersten großen Rückschau auf das Werk Simone Fortis. Ein Werk, das, wie der Katalog zu zeigen vermag, voller komplexer Korrelationen der Sparten ist, eine in sich interdisziplinäre Kunst.
Simone Forti wurde 1935 in Florenz geboren und emigrierte 1938 mit ihrer Familie in die USA. Sie wuchs in Los Angeles auf, wo sie, nach vielen anderen Stationen, heute auch wieder lebt. Geprägt wurde Forti vom liberalen Klima der Westküste und später von der experimentellen Downtown-Szene New Yorks. Und es ist tatsächlich das Flair dieser künstlerisch ungemein produktiven Zeit, das der Katalog zu vermitteln versteht. Performance, prozessbasierte Arbeiten und Minimal Art kamen auf, der Fundus von Bild- und Körpersprache veränderte und erweiterte sich. Merce Cunningham, der mit seiner Compagnie eine mit Expressivität und Psychologismus brechende Tanzform entwickelte, war für Simone Forti von großer Wichtigkeit, aber auch mit vielen anderen Künstlern gab es einen Austausch. Die Einflüsse und Korrelationen sind zahlreich und vielschichtig, sie reichen vom frühen Studium bei der Choreographin Anna Halprin, die den Fokus auf kinästhetisches Bewusstsein und Improvisation legte, über die Kurse bei dem Choreographen und Musiker Robert Dunn, die Zusammenarbeit mit den Tänzern Yvonne Rainer und Steve Paxton bis zur Auseinandersetzung mit John Cages Begriff des reinen Klangs.
Anfang der 60er Jahre entwarf Simone Forti ihre ersten eigenen Choreographien. Entscheidend für ihre gesamte künstlerische Entwicklung war dabei, wie alle Autoren des Bandes hervorheben, die erstmals 1961 in Yoko Onos New Yorker Studio aufgeführte Reihe „Dance Constructions“. Forti nutzte für diese Stücke eine vereinfachte Bewegungssprache und, so formuliert es Robert Morris in seinem Beitrag, sie dekonstruierte die Voraussetzungen expressiver Bewegung. Letztlich setzte sich Simone Forti ebenso von einem artifiziell ausgerichteten Gestus wie auch von der Methode der reinen Improvisation ab. Für die „Dance Constructions“ installierte sie eine Gruppe von Objekten aus Sperrholz und Seilen, die den Tänzern als Bühne diente. Die einzelnen Performances liefen parallel ab, so dass die Zuschauer selbst entscheiden konnten, wann sie sich welchen Teil der Inszenierung anschauen wollten. Ein Novum und klarer Bruch mit bekannten Seh-und Rezeptionsgewohnheiten.
Einen weiteren Aspekt von Fortis Werk bilden Arbeiten, die aus der Beobachtung von Tieren resultierten. Als sie in den späten 60er Jahren für einige Monate in Rom wohnte, besuchte Simone Forti oftmals den dortigen Zoo. Angeregt durch die Beschäftigung mit der Arbeit des Verhaltensforschers Konrad Lorenz übersetzte sie die Bewegungen der Tiere in eine eigene Körpersprache. Es entstand eine Reihe von Solotänzen, die wie einzelne grammatikalische Einheiten oder Phoneme erschienen. Nicht der Versuch, die Bewegungen der Tiere zu kopieren, bildete die Idee dieser Choreographien. Evoziert wurden vielmehr bestimmte Zustände der Flexibilität und der Motorik.
Sie versuche stets, „ohne Theorie zu arbeiten, aber mit scharfen Beobachtungen“, sagt Simone Forti über sich. Ein Anspruch, der sich auch in ihren „News Animations“ wiederfindet. In diesen in den 80er Jahren entstandenen Stücken entwarf sie eine spielerische Interaktion zwischen Sprach- und Bewegungsmustern. Zu den „News Animations“ gehört, dass die Texte, die Bestandteil der Vorbereitungen für diese Performances waren, mitgebracht und vorgelesen wurden. Wodurch auch hier wieder verschiedene Ausdrucksformen zusammenfanden: Tanz, Text, Lektüre, Sprache. Dazu passt ein Zitat Robert Dunns, das im Interview mit dem Komponisten Tashi Wada zu finden ist: Simone Forti sei die erste Person gewesen, so Dunn, von der er je gehört habe, dass sie sagte: „Ich habe einen Tanz mitgebracht und lese ihn euch jetzt vor.“
Sabine Breitwieser (Hrsg.): „Simone Forti: Mit dem Körper denken.“. Hirmer Verlag, München, 2014.
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