Noch nie zuvor wurde das Gesamtwerk der Fotografin Sarah Moon in einer so umfassenden Ausstellung gezeigt wie unlängst in den Hamburger Deichtorhallen. „Now and Then“, so lautete der Titel der Schau und so ist auch der von den beiden Kuratoren Ingo Taubhorn und Brigitte Woischnik konzipierte dazugehörige Katalog überschrieben, der gerade im Kehrer Verlag erschienen ist.
Mit gut 350 Exponaten bot die Ausstellung im Haus der Photographie einen Blick auf das ganze, vielfältige Oeuvre der 1941 geborenen Künstlerin: Modefotos, Stillleben und Tierbilder, Polaroids, Schwarz-Weiß- und Farbaufnahmen, das filmische Werk inklusive erstmals zu sehender Skizzenbücher. In dem Fotoband „Now and Then“ sind weit weniger Abbildungen zu finden. Dafür aber spiegeln die ausgewählten Werke die besondere Atmosphäre, das Entrückte von Sarah Moons Bildern perfekt wider. Und der Leser hat die Möglichkeit, die Kunst Sarah Moons im Kontext eines angeregten Diskurses über ihr Schaffen zu betrachten.
Was andernorts vielleicht Phrase und Plattitüde bleibt, trifft auf Sarah Moon tatsächlich zu: Sie malt fotografierend. Ihre Aufnahmen wirken wie Gemälde, sind streng komponiert, niemals zufällig. Sie inszenieren eine Fehlerhaftigkeit und Gebrochenheit, eine träumerische Poesie. Dabei sind es vor allem die Modefotografien, die in dieser Publikation faszinieren. Herausgehoben aus den Hochglanzseiten von Vogue & Co erweisen sie sich als Skizzen traumhafter Stimmungen, zart und geheimnisvoll.
Sarah Moons Sinnlichkeit liegt dabei in der Sorgfalt, mit der jedes einzelne Bildelement arrangiert worden ist, in der genauen Anordnung von Licht und Schatten. Am liebsten verwendet sie den sensiblen, für Kratzer und Schlieren anfälligen Polaroidfilm 665. Sie arbeitet mit Spiegeln und lässt Farben bewusst verblassen. Dadurch ist die Bildschärfe zurückgenommen, der Ausdruck wirkt leicht porös und ungenau. Ihre Fotos weisen eine unendliche Palette an Grautönen auf, die Farben fließen ineinander, Ton in Ton. Aufnahmen, in denen körperliche Bewegung festgehalten werden soll, entstehen oftmals durch doppelte Belichtung.
Generell zeigt sich im Werk Sarah Moons, dass die gewählte Einfachheit der Mittel viel künstlerische Freiheit und Entwicklung zulässt. Den Bruch, das Zufällige mitaufnehmend, bieten ihre Fotos kein technisch konstruiertes Abbild, sondern eine bewusste Abweichung von den Normen konventioneller Bildästhetik. Fotografie ist bei ihr Ausdruck einer künstlerischen Sprache. Und das gilt eben auch für ihre Modeaufnahmen. Mehr als jeder andere sei es Guy Bourdin gewesen, so Sarah Moon, der in ihr das Bedürfnis geweckt habe, Modefotos zu machen. „Er konnte solch freie Assoziationen zwischen dem Bild und der Marke herstellen, die er vertrat. Der Auftrag bot ihm sozusagen ein Sprungbrett für seine Fantasie.“
Mode ist nicht nur eines von vielen Sujets Sarah Moons, sondern der Kern ihrer Arbeit. Neben ihrem Kunststudium in Paris und einem Job als Model begann sie sich in den 1960er Jahren der Fotografie zu widmen. Auf ihre ersten Aufträge für das Modelabel Cacharel (für das sie zwanzig Jahre lang tätig war) folgten unzählige Werbefotografien, unter anderem für Dior, Chanel, Comme des Garçons, Valentino und Christian Lacroix. Ihre frühen Aufnahmen sind narrativ, märchenhaft und versponnen, ganz der Traumwelt der Hippies verpflichtet. Ab den 1980er Jahren jedoch, parallel zum Beginn ihrer Arbeit als Filmemacherin, begann Sarah Moon, die Konturen der Entwürfe und Kleider in minimalistischeren Fotos zu verstärken und zugleich in grobkörniger Schattierung verschwimmen zu lassen. Ihr Blick galt nun primär der Form, weniger dem Model. Ihre Bilder wirken sinnlich ohne spontan zu sein, die Komposition der Farben ist klar organisiert. Die Frauen auf Sarah Moons Fotos sind anmutig, träumerisch und sie sind immer allein. Viele Bilder zeigen Rückenansichten, kunsthistorische Zitate fast, so als hätten die stillen, von uns abgewandten Protagonistinnen eines Jan Vermeer, Gerard ter Borch oder auch Vilhelm Hammershoi hier Modell gestanden.
Die Kleidung als Gegenstand bleibt in Sarah Moons Fotos eher sekundär. Es geht vielmehr um die Inszenierung der Bilder, um den Blick der Fotografin. Und dieser Blick ist ein geduldiger, Sarah Moon eine Perfektionistin. Obwohl ihre Modeaufnahmen immer im Atelier entstehen, harrt sie manchmal bis zu drei Stunden aus, um das richtige Licht und jenen Moment zu bekommen, an dem alle Bildkomponenten harmonieren. „Bei Modeaufnahmen, im Studio, wartet man darauf, von etwas überrascht zu werden, das gar nicht überraschend ist. Manchmal reicht der Wind des Ventilators, um eine Situation zu verändern. Dann rauscht ein Engel durch den Raum.“ Die hervorragende Qualität der Katalog-Abbildungen vermittelt von diesem intuitiven, langsamen Vorgehen einen wirklich guten Eindruck.
Brigitte Woischnik und Ingo Taubhorn (Hrsg.): „Sarah Moon: Now and Then“. Publikation zur Ausstellung in den Deichtorhallen Hamburg. Kehrer Verlag, Heidelberg, Berlin 2016, 160 Seiten, 133 Farb- und S/W-Abbildungen