Herausgegeben von Magdalena M. Moeller erschien 2016 das Gesamtwerk des expressionistischen Malers Ernst Ludwig Kirchner in einer wunderbaren Neuauflage des Hirmer Verlags. Ein Projekt, das Kirchners facettenreiches Oeuvre natürlich perfekt in den Blick rückte. Gleichfalls im vergangenen Jahr publizierte Hirmer aber noch einen weiteren gelungenen Kirchner-Band. Sein Titel: „Ernst Ludwig Kirchner. Modelle, Akte und Kokotten“.
Auch diese Publikation wurde von Magdalena M. Moeller, der Direktorin des Berliner Brücke-Museums, herausgegeben. Konzipiert als Katalog zu einer Ausstellung im Baden-Württembergischen Balingen, umfasst sie Kirchners künstlerisches Schaffen von 1905 bis 1938. Abbildungen, kunsthistorische Erläuterungen und biographische Dokumente wurden in dem schön gestalteten Buch gelungen miteinander verknüpft. Und auch wenn das Genre der Großstadt- und Straßenszenen schon vielfach diskutiert und beschrieben wurde, so finden wir Schaffensphasen und Entstehungshintergründe noch einmal gut und interessant erklärt. Die Straßenszenen seien, so schreibt Janina Dahlmanns in ihrem Beitrag über Kirchners „Kokotten“, als Höhepunkte im Werk des Künstlers zu verstehen, da man hier alle Beobachtungen des großstädtischen Lebensgefühls der Moderne zusammenfließen und kongenial stilistisch umgesetzt finden könne.
Nach seinem Umzug von Berlin nach Davos (1918) fehlte Kirchner, dem Mitbegründer der „Brücke“, das Großstadtleben sehr. Zirkus, Varieté, Tingeltangel und insbesondere der Tanz hatten ihm in Berlin und anderen großen Städten eine reiche Quelle der Inspiration geliefert. In einem Extra-Kapitel widmet sich Indra Peters daher dem Thema Tanz. Wie für viele Künstler des Expressionismus spielt das Motiv des Tanzes auch bei Kirchner eine große Rolle. Nicht das klassische Ballett, sondern der freie, der moderne Tanz faszinierten ihn. „In regelrechter Ekstase bannte er“, so schreibt Peters, „die vorgeführten Bewegungen in die Zweidimensionalität der Zeichnung und schilderte das Gesehene in seiner eigenen kunstvollen Zeichensprache.“
Schon Kirchners frühe Arbeiten zeigen sein Interesse am Tanz und seine Begeisterung für die Ausdruckskunst durch Bewegung. Hier spiegelt sich für ihn die Befreiung von allen psychischen, physischen und gesellschaftlichen Zwängen wider. Besonders die Tänzerinnen Mary Wigman, Gret Palucca und Nina Hard boten Kirchner Anregungen für zahlreiche Bilder und Photographien. Wobei vor allem die Begegnung mit Nina Hard in Zürich 1921 sein Interesse am Tanz nochmals verstärkte. Voller Begeisterung für ihren Körper und ihre Bewegungen lud Kirchner die in Brasilien geborene Tänzerin zu sich nach Frauenkirch ein.
Im Zentrum von Kirchners Blick auf den Tanz blieb stets die mit den körperlichen Bewegungen einhergehende sinnliche Ausstrahlung, in der er seine Vorstellung einer harmonischen Synthese aus Kunst und Natur realisiert fand. Im Tanz sah Kirchner sein Ziel verkörpert, konträr zu akademischen Normen, neue, freie Ausdrucksformen für die Kunst zu finden. Und so bildet der Tanz ein durchgängiges, konstantes Sujet seines Schaffens, variationsreich verwendet in den unterschiedlichen Werkphasen. Der neue Kirchner-Katalog zeigt dies in Wort und Bild. Ein wirklich empfehlenswerter Kunstband.
Ab nächsten Monat (10.2.-7.5.17) widmet sich übrigens auch eine Ausstellung im Züricher Kunsthaus Kirchners Blick auf die Stadt. „Großstadtrausch/Naturidyll. Kirchner. Die Berliner Jahre“ ist die Veranstaltung überschrieben. Der Ausstellungskatalog erscheint wiederum bei Hirmer.
Magdalena M. Moeller (Hrsg.): „Ernst Ludwig Kirchner: Modelle, Akte, Kokotten“. Katalog zur Ausstellung in der Stadthalle Balingen. Hirmer Verlag, München, 2016.
Zur Direktbestellung bei Amazon: