Jean George Noverres „Briefe über die Tanzkunst“ aus dem Jahr 1769 sind der Klassiker der Tanzliteratur. Wie entscheidend das Buch für die Entwicklung des und das Verständnis über den Bühnentanz ist, stellt der Berliner Autor Ralf Stabel mit seiner Neuedition zur Debatte.
Die fünfzehn „Briefe über die Tanzkunst“, ursprünglich in Lyon und kurze Zeit später in Stuttgart (in der deutschen Übersetzung von Gottfried Ephraim Lessing und Johann Joachim Christoph Bode) erschienen, brachten Noverre den Ruhm ein, der „große Reformator des Balletts“, und “bedeutendste Begründer des Klassischen Balletts“ zu sein. Haben ihm seine Thesen zum Handlungsballett nachhaltigen Ruhm beschert, so hielt sich ein Erfolg als Choreograf eher in bescheidenem Rahmen. In Paris, dem damaligen Zentrum des Balletts und Ziel seines Ehrgeizes, blieb Noverre nachhaltige Anerkennung (angeblich wegen der fehlenden Reformkraft seiner Werke) versagt, in Stuttgart und Wien erlebte er seine größten Triumphe.
Stabel hat die Originaltexte in eine zeitgemäße Sprache und Rechtschreibung „übersetzt“ und ist dabei sehr behutsam vorgegangen. Noch immer befindet sich der Leser dieser Briefe in Noverres Zeit zurückversetzt, muss sich nun aber nicht mehr mit der Kurrentschrift, der ungewohnten Orthographie und Interpunktion des Originals (eine Faksimile-Ausgabe wurde 1977 von Kurt Petermann in Leipzig herausgegeben) herumschlagen.
Außerdem hat Stabel versucht, Ordnung in einige Begriffsverwirrungen zu geben. So hat er Noverres „Ballettmeister“ durch „Choreograf“ ersetzt. Wenn Noverre im 13. Brief gegen die „Choregraphie“ anschreibt, so meinte er damit aber die „Choreologie“. Stabels Interventionen machen Noverres Text logischer und bauen Barrieren für die Lektüre des historischen Textes ab. (Nebenbei schaffen sie auch Klarheit in der noch heute gängigen Rollenvermischung von Choreograf und Ballettmeister.)
Ralf Stabel ist ein Tanz(theorie)-Vermittler per excellence. In einer Zeit, in der sich die Tanzwissenschaft tendenziell von ihrem Sujet verabschiedet, versucht der Historiker, die Tanzgeschichte seiner Leserschaft auf populärwissenschaftliche Art und Weise näherzubringen (etwa mit „Rote Schuhe für den Sterbenden Schwan“).
Mit der „Modernisierung“ der „Briefe über die Tanzkunst“ bringt er den vielleicht wichtigsten Schlüsseltext wieder ins Bewusstsein. In seinem abschließenden Essay über Noverres Leben, Werk und Einfluss verdeutlicht Stabel außerdem, dass die Thesen des Autor-Choreografen bis heute seine Gültigkeit behalten haben.
Ein Pflichttext ist Noverres Text also allemal – sei es im Original oder in der nun vorliegenden Edition.
Jean George Noverre: „Briefe über die Tanzkunst“
Neu ediert und kommentiert von Ralf Stabel
Henschel Verlag, Leipzig, 2010
ISBN: 978-3-89487-632-6
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