Die Vielfalt der Begabungen, die die Mitglieder der (jüdischen) Familie Suschitzky in sich vereinen, verblüfft immer wieder: Verleger, Schriftsteller, Musiker, Fotografen, Tänzer. Dazu kommt das in Wien verwurzelte generationenübergreifende soziale Engagement. Ungeachtet dessen wurde die Familie entweder vertrieben oder ermordet. Während man jedoch den männlichen Mitgliedern heute Tribut zollt, finden die Frauen der Familie – sieht man einmal von Edith Tudor-Hart ab – meist nur als „Ehefrau von“ oder „Tochter von“ Erwähnung.
Die Feststellung, Wien, also eine Stadt, habe „Talent“ besessen, muss umso sonderbarer anmuten, als diese Charakterisierung ausgerechnet den Zwanzigerjahren zugeschrieben wird, dieser Stadt also zu einer Zeit Positives zuerkannt wird, in der sie Schritt für Schritt extremen politischen Ausrichtungen entgegenging. Und doch und gleichsam verkehrt proportional dazu: In diesen Jahren wuchsen Talente, die – sowohl in tanztheatralischer wie in sozio-kultureller Hinsicht – „Leitdisziplinen“ etablierten. Dazu gehörte – und dies fehlt in fast allen Epochenprofilen der Wiener Zwischenkriegszeit – die Tanzmoderne und, damit verbunden, die körperliche „Volksbildung“. Ein hoher Anteil dieser Talentierten waren Frauen und diese wiederum sehr oft jüdischer Herkunft. Dies kam nicht von ungefähr, gab es doch (nicht nur) in diesen gesellschaftlichen Schichten aufgeschlossene Eltern, die, auch bedingt durch die veränderten Zeitläufte, ihren Töchtern nun zugestanden, sich frei zu entfalten.
Unterstützt von den Männern der Familie, wurden Olga Suschitzky (Wien 1882 – Auschwitz 1942) sowie ihre Töchter Karla (Wien 1907 – Den Haag 1997) und Ruth (Wien 1913 – Salzburg 1995) als Tanzschaffende Teil jener Stadtgeschichte, die als „Rotes Wien“ ins Heute herüberstrahlt. Dank ihres künstlerischen und sozialen Anspruchs – der unter anderem auf sozialdemokratischem Gedankengut baute – verkörpern die Suschitzky-Tänzerinnen eine der vielen Facetten der Tanzmoderne wienerischer Prägung, die in den späten Zwanzigerjahren ihren Höhepunkt erreichte. Darüber hinaus waren die Suschitzky-Frauen aber auch Teil der Wiener „Off-Szene“, wie sie sich im „Politischen Kabarett“ manifestierte. Zusammengenommen widerspiegeln ihre Aktivitäten in exemplarischer Weise die ebenso vielfältige wie vibrierende künstlerische Szene Wiens der Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre.
Die Frauen einer Familie positionieren sich
Am 29. März 1925 veröffentlichte die „Arbeiter-Zeitung“, also das Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei, ein ergänzendes Statement zu einem Artikel, der einige Tage davor erschienen war. Besagter Artikel beschäftigte sich mit Weg und Ziel der weiblichen Körperkultur und ihrer immensen Bedeutung für die moderne Frau. Das Statement lautet: „Der Verein für rhythmische Gymnastik, Wien X. weist darauf hin, daß seine Gründung im Sommer 1921 erfolgt ist. Während wir anfangs die Baracken des Vereines Freie Schule-Kinderfreunde benutzen durften, ist es uns seit Jänner dieses Jahres [1925] durch die Munifizenz der Gemeinde Wien ermöglicht, unsere Kurse in der Mädchenvolksschule Favoriten, Uhlandgasse 1A abzuhalten. Diese finden jeden Montag und Donnerstag von 5 bis 8 Uhr abends statt, und zwar für Kinder, Mädchen und Frauen. Sie stehen unter der Leitung von Genossin Olga Suschitzky, die auch die musikalische Ausbildung besorgt. Es wird in diesen Kursen nach den Methoden Jaques-Dalcroze, Delsarte und Mensendieck gearbeitet, und es wäre gerade für unsere arbeitenden Frauen besonders wichtig, sich an dieser Arbeit lebhaft zu beteiligen. Mitglieds- und Kursbeiträge sind – da diese Sache nicht auf Gewinn aufgebaut ist – äußerst niedrig, und so dürfen wir hoffen, daß unser Verein in Kürze recht viele Mitglieder zählen wird, zu Nutz und Frommen unserer proletarischen Mädchen und Frauen.“
Diese Darstellung gibt über mehreres Auskunft. Erstens über das Tun einer Frau – Olga Suschitzky –, deren Aktivitäten tief in „ihrem“ Stadtbezirk, dem 10. Wiener Gemeindebezirk Favoriten, verankert sind. Sie knüpfte damit an die Tätigkeit ihres Vaters Julius Hirschler (Komorn/Komárom 1858 – Wien 1937) an. Der Violinist, Komponist und Musikpädagoge war am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ausgebildet worden. Als Primgeiger am Theater an der Wien spielte er unter anderem unter dem Dirigat von Johann Strauß Sohn und Jacques Offenbach. Danach war der „stadtbekannte“ Musiker Konzertmeister der unter der Leitung von Eduard Strauß bis 1901 bestehenden Strauß-Kapelle. 1885 gründete Hirschler eine private Musikschule (10., Gudrunstraße 143), die sich zu einer Favoritner Institution entwickelte. (Er revanchierte sich dafür mit der Komposition des Walzers „Die Favoritner“.) Sein Sohn Paul Hirschler (Wien 1894 – Dachau 1945) setzte als Komponist und Chorleiter, sein Enkel Willy Suschitzky (Wien 1904 – London 1978) als Dirigent und Leiter einer Kammermusikvereinigung die musikalische Familientradition fort. (Zum weitverzweigten Familienverband – Julius Hirschler und seine erste Ehefrau Caroline hatten neun Kinder – gehörte durch Heirat auch der Komponist und langjährige Wiener Operndirektor Franz Salmhofer.)
Zurück zu Julius Hirschlers Tochter Olga, die neben einem Klavierstudium auch eine Ausbildung in Rhythmischer Gymnastik (später „Rhythmik“ genannt) absolviert hatte. Der vom Stadtschulrat Wien in diesem Fach geprüften Lehrerin war es – zum Zweiten – ein besonderes Anliegen, sich für „proletarische Mädchen und Frauen“ einzusetzen. Von einer nicht nur im Mitteleuropa der Zeit gewonnenen Erkenntnis der Notwendigkeit einer Körperbildung ausgehend, war sie auch davon überzeugt, dass diese, neben vielem anderen, die Basis für eine künstlerisch-tänzerische Betätigung zu sein hat. Gemäß ihrem Ziel, ihre Schülerinnen auch für eine solche Betätigung zu rüsten, setzte sie ihre Mittel ein. Diese waren – und dies zum Dritten – keineswegs aus dem engen Raum eines Wiener Bezirks gewachsen, im Gegenteil. Es handelte sich dabei um jene Körperkonzepte, die seit den Zehnerjahren des neuen Jahrhunderts in Wien vertreten und schon in den Zwanzigern durch Reformpädagogik, durch die Laienbewegung und den Modernen Tanz zum gesellschaftlichen Allgemeingut geworden waren. Alle drei genannten Bereiche hatten dieselben Grundlagen; sie bauten auf Lehren von Bess M. Mensendieck, dem Delsartismus sowie der Rhythmischen Gymnastik von Émile Jaques-Dalcroze, die Olga explizit vertrat. (Nach ersten, 1909 erfolgten Vorführungen von Jaques-Dalcroze in Wien war hier 1912 eine Filiale seiner Hellerauer Bildungsanstalt eröffnet worden.) Alle drei Methoden hatten eine Körperarbeit entwickelt, die auf „natürlicher“ Basis, also nicht auf dem strengen Regelwerk des Balletts, sondern auf „körpergemäßer“ Bewegungskoordination und Körperwahrnehmung baute. Am 16. Dezember 1920 präsentierte Olga Suschitzky ihre Schülerinnen in einem „Körperkultur“-Abend erstmals in der Wiener Urania. Mit den Darbietungen, so das „Neue Wiener Tagblatt“, wurde „ein Ziel erreicht, das vom gesundheitlichen wie ästhetischen Standpunkt gleich befriedigend erscheint“. Die Gestaltung der „erlesenen Kostümmodelle“ oblag dem Sozialwohnbau-Architekten George Karau, der auch als Graphiker von bibliophilen Veröffentlichungen des Verlags der Brüder Suschitzky in Erscheinung getreten ist. Diesen Urania-Abend teilte sich Olga Suschitzky mit Zina Luca, Leiterin eines Instituts für hygienisch-harmonische Köperkultur und Mutter der später sehr bekannten Ballettmeisterin der Volksoper, Dia Luca. (Unter den Mitwirkenden der Zina-Luca-Gruppe waren die damals neunjährigen Schwestern Ornstein, deren weitere Tanzkarriere sich in Palästina vollzog.)
Olga Suschitzky war treibende Kraft für alle körperbildnerischen und tänzerischen Aktivitäten der Suschitzky-Frauen. Das Pädagogische ebenso im Blick wie die auch in Wien explodierende Tanzmoderne, ließ Olga ihren beiden begabten Töchtern – nach erstem von ihr selbst erteiltem Unterricht, dessen Resultate in einem im Juni 1922 vom Konservatorium für Musik und dramatische Kunst veranstalteten Abend Karla und der erst achtjährigen Ruth „frenetischen Beifall“ eintrugen – eine profunde tänzerische Ausbildung zuteil werden. Karla studierte bei Ellinor Tordis, einer aus Deutschland nach Wien gekommenen Vertreterin des Modernen Tanzes, die in ihrem Unterricht bereits die damals wichtigsten Stränge dieser stilistischen Richtung vereinigte. Spätere Studien Karlas bei Mary Wigman in Deutschland und an der Jooss-Leeder School in England waren logische Ergänzungen ihres Ausbildungsfundaments.
Als besonders begabte Schülerin immer wieder von Tordis herangezogen, findet man Karla (oft zusammen mit Gertie Tenger) bereits ab 1922 bei Veranstaltungen der Urania, die im Laufe der Zwischenkriegszeit verschiedene Präsentierformate entwickelte, in denen der Tanz wesentlichen Anteil hatte. So etwa bei den von Tordis choreografisch betreuten musikalischen Bildungsprogrammen, die großen Musikerpersönlichkeiten gewidmet waren. Dazu zählten „Der Freischütz und sein Schöpfer (Carl Maria von Weber)“ und „Der Tondichter Robert Schumann“, aber auch „Singspielabende“ mit Werken von Gluck, Schubert, Adam und Offenbach. Noch mehr in den Blickpunkt rückte Karla beim Tanzabend „Ellinor Tordis – Maru Kosjera“ (15. Jänner 1923 in der Urania), beim Tanzabend Tordis’ am 3. September 1923 auf der Burggarten-Bühne (hier bereits gemeinsam mit Ruth) sowie bei einem ähnlichen Abend (23. November 1923 in der Urania), bei dem die Ausbildungsklasse Tordis mitwirkte. Zu dieser gehörten neben Karla Suschitzky auch Edith Eysler und Hans Wiener (alias Renjeff, in der Emigration: Jan Veen). 1925 schloss Karla ihre Studien bei Tordis ab. Eine Kritik des Abends (11. April 1925, wiederum in der Urania) hebt Karla mit einem bemerkenswerten Experiment hervor: „Karla Suschitzky versuchte Improvisationen ohne Musik.“
Wenige Wochen später, am 15. Mai 1925, findet man Ruth Suschitzky unter den Mitwirkenden eines Tanzabends der Schule Gertrud Bodenwieser in der Urania, bei dem sie „Charme und parodistisches Talent zeigte“. In der Aufführungsserie der Kinderkomödie „Aschenbrödel“ im Wiener Bürgertheater war sie im selben Jahr (neben später ebenfalls namhaften Tänzerinnen wie Trudl Dubsky und Stella Mann) in Tänzen von Bodenwieser zu sehen. Anfangs ausgebildet bei ihrer Mutter, dann bei Ellinor Tordis und in der Privatschule von Bodenwieser, hatte Ruth schließlich von 1925 bis 1927 an der Akademie für Musik und darstellende Kunst bei Bodenwieser (Künstlerischer Tanz) sowie bei Gertrud Wiesenthal und Berta Komauer (Rhythmische Gymnastik) studiert. Nachdem sie schon während der ersten Jahre ihrer Ausbildung bei Tanzabenden, sei es im Verein für Rhythmische Gymnastik oder bei Aufführungen von Tordis und Bodenwieser, ihr Talent unter Beweis gestellt hatte, war sie auch in den folgenden Jahren immer wieder aufgefallen. So bei den „Übungen und Tänzen der Schule Bodenwieser“ am 24. Februar 1928 in der Urania, die das Ende ihrer Studienzeit markierten. Das Fachblatt „Der Tanz“ schreibt: „Mit wahrhaft begeisternder Spannung folgte man der Vorführung von Ruth Suschitzky.“
Nachdem Karla Suschitzky ihr Tanzstudium abgeschlossen hatte und daher auch als Lehrkraft einer Tanzausbildung fungieren konnte, war daran zu denken, eine eigene „Schule für Gymnastik und Tanz“ zu eröffnen, die an die Stelle des Vereins für Rhythmische Gymnastik (1926 hatte er mehr als 100 ausführende Mitglieder) treten sollte. Den Suschitzkys war die räumliche Ausstattung der Schule offenbar größtes Anliegen. Dass die Familie bei der Auswahl des Architekten – er sollte einen Pferdestall umbauen – ausgerechnet ein junges Talent beauftragte, das heute als weltberühmter Städteplaner gefeiert wird, spricht für das künstlerische Gespür der Auftraggeber. Die am 6. Februar 1929 eröffnete Tanzschule Suschitzky zählt zu Victor Gruens (eigtl. Viktor Grünbaum) – „Erfinder“ von Einkaufszentren und Fußgängerzonen, die er allerdings erst in der Emigration realisierte – ersten Bauaufträgen. Aber auch die Wahl des Standortes der Schule war von eminenter Bedeutung.
Innerhalb und außerhalb des Wiener Gürtels
Im Wien der Zwanzigerjahre schossen die Schulen des Modernen Tanzes nur so aus dem Boden. Ihre jeweiligen Standorte geben uns Auskunft über die Ästhetik der Betreiberinnen – Schulen solcher Art wurden fast alle von Frauen geführt –, vor allem aber über ihr Zielpublikum. Rein verkehrstechnisch lag es nahe, sich „in der Stadt“ (im 1. Bezirk) oder nahe diesem anzusiedeln, in Gegenden also, die, wie es einer kulturellen Einrichtung zukam, von allen Bezirken leicht erreichbar waren. Die Schulen des Modernen Tanzes befanden sich also entweder in der Stadtmitte oder innerhalb des Gürtels, das heißt also auch in Teilen Wiens, von deren Bewohnerinnen großer Zuspruch zu erwarten war. Dass diese Bezirke auch die „gehobenen“ (jüdischen) Bevölkerungsschichten beheimateten, spielt dabei eine nicht zu übersehende Rolle. Mehr als in anderen Städten Mitteleuropas nämlich, mehr als in Berlin oder München, rekrutierten sich in Wien die Vertreterinnen des Modernen Tanzes aus jüdischen Schichten. Lag nun eine Wiener Schule der Tanzmoderne jenseits des Gürtels in einem Arbeiterbezirk, war dieser Standort nicht nur bewusst gewählt, sondern sogar als Kampfansage gedacht. Wenn also Olga Suschitzky Ende der Zwanzigerjahre auf ihrem Schulprospekt den Standort „beim Südtirolerplatz“, also im Arbeiterbezirk Favoriten, hervorhebt, so ist dies als ein politisches Bekenntnis zu sehen. Olga vertrat mit dieser Gesinnung aktiv dieselben Anliegen wie die ihres Ehemanns Philipp Suschitzky (Wien 1875 – Auschwitz 1942), der gemeinsam mit seinem Bruder Wilhelm (Wien 1877 – Wien 1934) in der Favoritenstraße 57 eine Buchhandlung mit angeschlossenem Antiquariat und den „Anzengruber Verlag, Brüder Suschitzky“ betrieb. Mit beiden Unternehmungen verbanden die Brüder ihr kulturpolitisches Engagement im Umfeld der Sozialdemokratischen Partei. Die Tanzschule Suschitzky, vis-à-vis der Buchhandlung gelegen, wandte sich also ganz bewusst an jene Wiener Bevölkerungsschichten und deren Kinder, die man in den Fotografien von Edith Tudor-Hart (geb. Suschitzky, Wien 1908 – Brighton 1973), der Tochter Wilhelm Suschitzkys, abgebildet sieht. Ausgemergelte, zerlumpte kleine Gestalten, deren Barfüßigkeit umso mehr schockiert, als dadurch die deformierten Beine eindringlich vom Elend dieser Stadtkinder zeugen. Ähnliche Themen griff auch ihr Bruder Wolf Suschitzky (Wien 1912 – London 2016) auf, der Österreich 1934 verlassen hatte und sich in der Folge in England als Fotograf und Kameramann profilieren konnte.
Urbaner Alltag – urbane Feste
Gemäß ihrem politischen Engagement ging es den Tänzerinnen der Familie Suschitzky, die nun als selbstständig Handelnde aus dem Familienverband heraustraten, weniger um die in der Tanzmoderne übliche Selbstschau, nicht um ein Nachspüren eigener Befindlichkeiten, sondern vielmehr – entgegen der aus den Reformbestrebungen der Jahrhundertwende sich ableitenden Laienbewegung, die ein Landleben anstrebte – um den Blick auf den urbanen Alltag. Im Zentrum ihres Anliegens stand körperliche Volksbildung. Ziel war es, zu jener „Körperkultur“ zu gelangen, die zu einer der Prämissen der zeitgenössischen (sozialdemokratischen) Gesellschaft geworden war. Obwohl es das erste Anliegen der Schule war, Gelegenheit zu bieten, in einem „gesunden“ städtischen Umfeld körperlicher Bewegung nachzuspüren, so bezeugen die vielen Auftritte, dass man auch bestrebt war, Ergebnisse dieser Arbeit vorzuführen.
Das tänzerische Wirken der Suschitzkys in Wien – Olga, ihre Töchter Karla und Ruth, dazu ihr Sohn Willy als Klavierbegleiter – umfasst den Zeitraum vom Beginn der Zwanzigerjahre bis 1938. In immer wieder neuen Formationen und Formaten – als Schulensemble, als „Tanzgruppe Olga Suschitzky“ oder „Tanzgruppe Karla Suschitzky“ – auftretend, werden die Volksbildungshäuser (Wiener Urania, Volksheim Ottakring und Volksbildungshaus Margareten, dazu das Arbeiterheim Favoriten), die, der Tanzmoderne überaus aufgeschlossen, Solistinnen und Solisten sowie Tanzschulen und Gruppen Auftrittsmöglichkeiten bieten, auch für die Suschitzkys zu adäquaten Orten der Präsentation. Das Sendungsbewusstsein der Suschitzkys zeigte sich auch bei Darbietungen im Städtischen Versorgungsheim in Lainz oder bei ihrer Teilnahme von 1927 bis 1932 an den sozialdemokratischen Jugendweihen, die im Konzerthaus und Musikverein stattfanden. Dass diese Auftritte, etwa jene von gleich zwei Suschitzky-Gruppen bei der Jugendweihe 1929, keineswegs als harmlos-nette Unterhaltung gedacht waren, belegen die Programmpunkte: „Die Schülerinnen der Genossin Olga Suschitzky führen euch einen Tanz vor, der euch Bilder eurer Jugend zeigt“, und „Solotänzerin Karla Suschitzky und ihre Schülerinnen zeigen euch in einem Tanz, wie das bedrückte Volk durch Not und Kampf zum Siege schreitet“.
Charakteristisch für die Wiener Zwischenkriegszeit waren Großereignisse bzw. Massenveranstaltungen. Als wesentliche Vertreter der Wiener Tanzszene nehmen die Suschitzkys an diesen Ereignissen teil. Etwa bei einer Festakademie im Neuen Saal der Hofburg bei den Feiern der Arbeiterschaft am Tag der Republik (12. November 1927). Legendär ist der von Rudolf von Laban konzipierte „Festzug der Gewerbe“ (9. Juni 1929). Die Tanzgruppe Suschitzky führte dabei den „Tanz der Blitzgirls“ (Gewerbe der Elektrotechniker), den „Kindertanz“ (Dienstmänner) und „Holzpuppen- und Kreiseltanz“ (Drechslergewerbe) aus, als Solistinnen tanzten Ruth Suschitzky und Steffi Preisinger. Beim „2. Internationalen Sozialistischen Jugendtreffen in Wien“ (12.–14. Juli 1929), das 50.000 Teilnehmer aus 18 Nationen versammelt hat, war bei einer Jugendfeier im Arbeiterheim Favoriten die Tanzgruppe Karla Suschitzky beteiligt. In einem Kommentar heißt es: „Eine sozialistische Tanzgruppe eröffnete den Abend. Keine leichtbeschwingten Wiener Tänze, sondern ein kampfestrotziger Marsch wurde rhythmisch dargestellt.“ Und zu einem Zeitpunkt, zu dem die Sozialdemokratische Partei bereits verboten und Bruno Kreisky, der seit 1933 den Vorsitz des Verbands der Bildungs- und Kulturarbeit der Sozialistischen Arbeiterjugend innegehabt hatte, bereits verhaftet war, nahm die 135 Mitglieder umfassende Tanzgruppe Suschitzky im Wiener Stadion an der Veranstaltung „Wien bleibt Wien“ (16. Juni 1935) teil. An dem Ereignis waren Tänzer und Tänzerinnen sonder Zahl (1500) beteiligt (das Wiener Staatsopernballett und sieben moderne Tanzgruppen). Die Teilnahme anderer Körperschaften, unter anderem der Ostmärkische Sängerbund (1000 Mitwirkende) und die Christlich-deutsche Turnerschaft (400 Mitwirkende), erweckt den Eindruck, als ob man nach dem Ständestaat gesinnungsmäßig für eine weitere Volte bereit zu sein schien. Des einen Anfang war des anderen Ende. Während ein Teil der Bevölkerung offenbar hoffnungsfroh in die Zukunft blickte, war es für die Tanzgruppe Suschitzky, die in den Tanzszenen „In Wien beim Wein“, „Es muss was Wunderbares sein“ und „An der schönen blauen Donau“ auftrat, wohl die letzte Gelegenheit, der Heimatstadt zu huldigen.
Vor diesem Ende, das auch einen Exodus der Familie Suschitzky aus Wien erzwang, der den Tod von Olga und Philipp Suschitzky mit sich brachte und die übrige Familie in die Welt zerstreute, war, wie schon erwähnt, die volksbildnerische Körperbildung, die eine künstlerische Ausformung durchaus mitdachte, das Hauptanliegen der Suschitzky-Frauen. Dazu kam die Theaterarbeit, die von der Teilnahme an Musiktheaterproduktionen bis hin zum Kabarett reicht und somit die Vielfalt des Anwendungsbereichs des Modernen Tanzes zeigt.