Am 29. November 2025 gelangt in der Volksoper Wien die Märchenoperette „Aschenbrödels Traum“ von Axel Ranisch (Libretto) und Martina Eisenreich (Komposition) zur Uraufführung. In dem auf mehreren Zeitebenen angesiedelten Werk wird eine fiktive Entstehungsgeschichte des unvollendet nachgelassenen Balletts „Aschenbrödel“ von Johann Strauss geschildert. Als „heimliche“ Verfasserin des Ballettlibrettos für Strauss wird in dieser Operette die in der Wiener Literaturszene um 1900 als Stenografin und „Typewriterin“ tätige Ida Grünwald gesehen.
Der wahre Autor des Balletts aber war der Schriftsteller und Zeitungsherausgeber Carl Colbert. Sein 1898 unter dem Decknamen Albert Kollmann bei einer von der Zeitschrift „Die Wage“ ausgeschriebenen Preiskonkurrenz eingereichtes Libretto zu einem Strauss-Ballett wurde von der Jury, der Hofoperndirektor Gustav Mahler angehörte, prämiert; Colbert war zu dieser Zeit Autor der „Wage“. 
Strauss begann unverzüglich mit der Komposition des für eine Uraufführung an der Hofoper vorgesehenen Balletts; Colberts Ehefrau, die Pianistin Tony Colbert-Wolff, bot bei abendlichen Gesellschaften im Hause Strauss Proben des Werks dar. Einer 1899 veröffentlichten verschlüsselten Indiskretion des Journalisten Heinrich Glücksmann zufolge könnte sie auch an der Erstellung des Librettos ihres Schriftstellergatten, dessen Bücher u. a. im Anzengruberverlag Brüder Suschitzky erschienen sind, nicht unbeteiligt gewesen sein. Explizit publik wurde Carl Colbergs Autorenschaft aber erst nach seinem Tod 1929. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass der Sohn des Ehepaars, der Schriftsteller Ernst Colberg, 1943 in Auschwitz zu Tode kam.
Zu einem Abschluss der Komposition des „Aschenbrödel“-Balletts kam es bekanntermaßen nicht mehr – Strauss starb im Juni 1899. Musikalisch vollendet wurde das Werk durch den Ballettkomponisten Josef Bayer. Da Mahler „aus Kostengründen“ seine Einwilligung zur Aufführung zurückzog, fand die Uraufführung am 2. Mai 1901 im Königlichen Opernhaus Berlin statt, der Wiener Ballettspezialist Hermann Heinrich Regel hatte dafür dem in der damaligen Gegenwart angesiedelten Libretto den letzten Schliff gegeben, die Choreografie schuf Emil Graeb. Der „Aschenbrödel-Walzer“, zusammengestellt nach Motiven des Balletts, war freilich bereits am 11. Februar 1901 in Wien beim Concordiaball im Sophiensaal erklungen. Dem Tanzleiter Professor Eduard Rabensteiner wurde die Ehre zuteil, den Ballgästen die Novität anzukündigen.
Erst 1908, neun Jahre nach dem Tod des Komponisten, hielt „Aschenbrödel“ in einer Einstudierung von Josef Hassreiter Einzug in den Spielplan der Wiener Hofoper. 1919 wurde es anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Hauses am Ring erneut gezeigt. Im Johann-Strauss-Gedenkjahr 1999 präsentierte Renato Zanella seine sprühende Version in einer Ausstattung von Christian Lacroix auf der Bühne der Wiener Staatsoper. Bisher brachte es das Werk in diesem Haus auf nicht weniger als 80 Aufführungen! Im laufenden Jubiläumsjahr ist jedoch Strauss’ einziges Ballett auf keiner Wiener Bühne zu erleben. Somit kann das im Todesjahr Strauss’ eröffnete Stadttheater Berndorf sich rühmen, der einzige Schauplatz in Österreich zu sein, an dem 2025 – durch eine private Ballettschule – eine Aufführung des „Aschenbrödel“ zustande kam. Anders in Deutschland, wo das Ballett derzeit im Staatstheater am Gärtnerplatz in München – dort in einer Fassung von Karl Alfred Schreiner – und im eng mit der Vita des Komponisten verbundenen Coburg auf dem Spielplan steht; eine 2013 mit dem Theaterpreis DER FAUST ausgezeichnete Adaption des Werks wird aktuell vom Ballett am Rhein in Duisburg getanzt.
Dass die Volksoper Wien nun den selten beschrittenen Weg der Formung eines musiktheatralischen Werks aus einem bestehenden Ballett eingeschlagen hat, besitzt jedenfalls Seltenheitswert. Die 1847 im Kärntnertortheater uraufgeführte Oper „Martha“ von Friedrich von Flotow mag als Vorreiter angesehen werden, ihr lag inhaltlich das 1844 an der Pariser Opéra herausgekommene Ballett „Lady Henriette“ des Komponisten-Trios Friedrich Burgmüller, Ernest Deldevez und Flotow zugrunde.
Nicht nur ein „Wiener Ballettklassiker“?
Aus nicht nachvollziehbaren Gründen gilt mancherorts Strauss’ „Aschenbrödel“ als „heute großteils verschollenes“ Werk, das „noch auf eine nachhaltige Wiederentdeckung wartet“; eine Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit von Aufführungen in 60 Städten in 15 Ländern soll dies widerlegen:
1901 BERLIN (Königliches Opernhaus, Uraufführung) Ch.: Emil Graeb. 1903 KÖNIGSBERG. 1906 INSTERBURG. 1908 WIEN (K. K. Hof-Operntheater, österreichische Erstaufführung) Ch.: Josef Hassreiter. 1919 WIEN (Operntheater, Wiederaufnahme) Ch.: Josef Hassreiter. 1927 WIEN (Tanzgruppe Grete Gross) Ch.: Grete Gross. 1979 MANCHESTER (Northern Ballet Theatre) Ch.: Robert de Warren. 1980 PAIGNTON, POOLE, DONCASTER, DARLINGTON, SOUTHSEA, IPSWICH, PRESTON, CAMBRIDGE, BRADFORD, ASHTON-UNDER-LINE, BILLINGHAM, BRIGHTON, SLOUGH, BATH, MOLD, DERBY, PETERBOROUGH, OXFORD, LONDON (Sadler’s Wells Theatre), SWINDON (Gastspiele Northern Ballet Theatre) Ch.: Robert de Warren. 1981 KOBLENZ (Theater der Stadt) Ch.: Wolfgang Winter. 1982 INNSBRUCK (Tiroler Landestheater) Ch.: Josette Gatineau. 1983 MANNHEIM als „Aschenbrödel oder Ein Sommer in Pawlowsk“ (Nationaltheater) Ch.: Joachim Gerster. 1987 KIEL (Bühnen der Landeshauptstadt) Ch.: Heinz Weitz. 1988 MARSEILLE (Opéra de Marseille) Ch.: Pedro Consuegra. 1989SALZBURG (Salzburger Landestheater) Ch.: Fred Marteny. 1992 AUGSBURG (Städtische Bühnen) Ch.: Erich Payer. 1994 ALTENBURG (Landestheater) Ch.: Peter Werner-Ranke. 1996HAVANNA (Ballet Nacional de Cuba) Ch.: Pedro Consuegra. 1998 COSTA MESA, NEW YORK (Gastspiele Ballet Nacional de Cuba) Ch.: Pedro Consuegra. 1998 WARSCHAU (Teatr Muzyczny Roma) Ch.: Alain Bernard. 1999 WIEN (Wiener Staatsoper) Ch.: Renato Zanella. 2004 CAMAGÜEY (Ballet Clásico de Cuba de Camagüey) Ch.: Pedro Consuegra. 2008 SARAJEVO (Nationaltheater) Ch.: Wassili Medwedew. 2009 IZMIR (Nationaltheater) Wassili Medwedew. 2010 LEIPZIG (Musikalische Komödie) Ch.: Mirko Mahr. 2011 CHARKIW (Theater für Oper und Ballett) Ch.: Wassili Medwedew. 2011 MADRID, LEÓN (Gastspiele Ballet Nacional de Cuba) Ch.: Pedro Consuegra. 2013 BUENOS AIRES (Teatro Colón) Ch.: Renato Zanella. 2013 GELSENKIRCHEN als „Ruß. Eine Geschichte von Aschenputtel“ (Musiktheater im Revier) Ch.: Bridget Breiner. 2015 ATHEN (Greek National Opera) Ch.: Renato Zanella. 2015 SANTIAGO DE CHILE (Teatro Nescafé de las Artes) Ch.: Sara Nieto. 2016 COBURG (Landestheater) Ch.: Mark McClain. 2018 HAVANNA (Ballet Nacional de Cuba, Wiederaufnahme) Ch.: Pedro Consuegra. 2019 SANTA CLARA, DONOSTIA/SAN SEBASTIÁN, SEVILLA, MADRID, BARCELONA (Gastspiele Ballet Nacional de Cuba) Ch.: Pedro Consuegra. 2020 KARLSRUHE „Ruß. Eine Geschichte von Aschenputtel“ (Badisches Staatstheater) Ch.: Bridget Breiner. 2022 CAMAGÜEY (Ballet Clásico de Cuba de Camagüey, Wiederaufnahme) Ch.: Pedro Consuegra. 2022 MAULE (Gastspiel Teatro Nescafé de las Artes) Ch.: Sara Nieto. 2023 ÚSTÍ NAD LABEM/AUSSIG (Severočeské Divadlo) Ch.: Margarita Pleškova, Vladimir Gončarov. 2024 DUISBURG als „Ruß. Eine Geschichte von Aschenputtel“ (Ballett am Rhein) Ch.: Bridget Breiner. 2025 DÜSSELDORF als „Ruß. Eine Geschichte von Aschenputtel“ (Ballett am Rhein) Ch.: Bridget Breiner. 2025 BERNDORF (Gastspiel ortner4DANCE) Ch.: Angelika und Alexander Ortner. 2025 MÜNCHEN (Staatstheater am Gärtnerplatz) Ch.: Karl Alfred Schreiner. 2025 COBURG (Landestheater, Wiederaufnahme) Ch.: Mark McClain.
TV ORF als „Der rosarote Prinz“ Ch.: Sándor Barkóczy, Wiener Staatsopernballett (1974/75)
DVD EuroArts/Naxos Ch.: Renato Zanella, Wiener Staatsopernballett (1999)
Dank an Peter Kemp insbesondere für die Nennung der Gastspielorte des Northern Ballet Theatre 1980.

