Joseph Cornell (1903-1972 in New York) ist einer der außergewöhnlichsten Künstler des letzten Jahrhunderts – und in Europa weitgehend unbekannt. Das wird sich mit der Ausstellung im Kunsthistorischen Museum Wien hoffentlich ändern. 80 Werke des Exzentrikers aus New York sind zu sehen. Seine Collagen sind Miniaturinszenierungen, in denen der leidenschaftliche und exzessive Sammler ganz gezielt und sparsam Fundstücke zusammenführte und damit magische Welten kreierte.
Bewegung, so der Kurator der Ausstellung, Jasper Sharp, sei zentral im Schaffen von Joseph Cornell. Seine „box constructions“ laden zum Spielen ein. So fand Sharp die Objekte, die er für seine Schau zusammensuchte, im Wohnbereich der Eigentümer, einige hatten ihren Platz sogar auf dem Nachtkästchen gefunden. Freilich, im Museum sind die Objekte in Glaskästen ausgestellt und erlauben lediglich den Blickkontakt. Die Leihgaben stammen aus privaten sowie öffentlichen Sammlungen. (98 Prozent des Cornell-Oeuvre befindet sich in den USA, einige in Japan und sehr, sehr wenige in Europa.) Bei der Realisierung der Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit der Royal Academy in London entstand, war der Transport der fragilen Objekte die große Herausforderung – sicher mit ein Grund, warum in Europa die letzte große Personale vor über 30 Jahren in London zu sehen war.
„Fernweh“ ist die erste Gesamtschau von Joseph Cornells Werk in Österreich. Dazu werden im Filmmuseum seine Filme gezeigt. Eine seltene Gelegenheit also, diesen außergewöhnlichen Künstler kennen- und lieben zu lernen, dessen Einfluss auf die Pop-Art und Künstler der nachfolgende Generation wie Robert Rauschenberg, Jasper Johns oder Andy Warhol unübersehbar ist.
Joseph Cornell war ein eigenbrötlerischer Mann, eher schüchtern und zurückgezogen. Zeit seines Lebens lebte er bei seiner Mutter und verdiente sein Geld als Stoffverkäufer. Gleichzeitig sammelte er zahllose kleine Dinge, die er auf Flohmärkten, in Billigläden oder an den Küsten von Long Island fand: Muscheln, Murmeln, Federn, Vogelnester, Teile von Uhren, Drucke, Landkarten, Stadtpläne, und vieles mehr. Nachts fertigte er daraus seine wundersamen Collagen. Cornell selbst konnte von seiner Kunst nie leben. Ironie des Kunstmarktes: Heute sind seine Werke mit einem Preis von ein paar Millionen Dollar noch immer vergleichsweise günstig zu haben.
Cornell träumte davon, die europäischen Metropolen kennen zu lernen, kam jedoch nie aus den USA heraus. Dementsprechend trägt der Name der Ausstellung „Fernweh“, das Cornell auch in seinen kuriosen Artefakten ausdrückt. Da werden der Prince und Princess of Medici in Holzschachteln ein „Denkmal“ gesetzt oder die Mona Lisa in einer Dose verewigt. Bilder von Papageien bilden eine „Habitat Group for a Shooting Gallery“ (in dieser während des 2. Weltkriegs entstandene Arbeit zertrümmerte Cornell den Glasdeckel, als ob eine Kugel einen der Papageien getötet hätte), ein Palast steht in einem Winterpark mit kahlen Zweigen. Die Nähe zur darstellenden Kunst drückt sich etwa in der Pierrot-Collage „A Dressing Room for Gille“ aus oder in „Tilly Losch“, mit dem er der gebürtigen Wiener Tänzerin eine Referenz erwies. Auch seinen schwärmerischen Brief an sie hat der Ballettomane in eine Collage eingebettet. In einem anderen Bild ist der Schwan Hauptmotiv.
In der Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums treten die Arbeiten Cornells in Dialog mit Objekten früherer Jahrhunderte. Eine Cornell-Vitrine befindet sich mitten in der Kunstkammer und setzt die Arbeit buchstäblich in den kunsthistorischen Kontext. Außerdem kann der Besucher einem speziellen Parcours durch die „Mirabilia, Naturalia, Artificialia und Scientifica“ aus der Perspektive Cornells folgen: unter ihnen wurden jene ausgewählt, die eine spezielle Affinität zu seinem Werk bilden.
„Joseph Cornell: Fernweh“, Ausstellung im Kunsthistorischen Museum bis 10. Jänner 2016 mit einem umfangreichen Rahmenprogramm mit Vorträgen (etwa von der Cornell-Biogafin Deborah Salomon), Gesprächen (zum Beispiel mit den führenden Kunstkritikern der New York Times Roberta Smith und Jerrry Saltz) und Filmvorführungen.