Zehn palästinensische Tänzer verwandeln ihren Nationaltanz in eine mitreißende Performance. Durch die pralle Fröhlichkeit schimmert auch Kummer und Sorge. Ausgangspunkt ist der zum Nationaltanz geadelte "Dabke", aus dem in einem anstrengenden Prozess die Performance "Badke" geworden ist. Nach der Weltpremiere in Zürich, Aufführungen in Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Palästina findet im Tanzquartier nun die Österreich-Premiere statt.
Mit Donnergrollen nähert sich die Phalanx der stampfenden Füße unter lautem Rufen dem Licht. Die Energie nimmt zu, der Rhythmus steigert sich, schwindelerregend, bis der Vulkan ausbricht: Dabke, der palästinensischer Tanz der Freude und des Lebens. bringt die Wände des Tanzquartiers zum Erzittern.
Allmählich löst sich die Ordnung auf, die Kette reißt. Eine tanzt aus der Reihe, zeigt ihr persönliches Solo, andere folgen, durchbrechen den Rhythmus, verändern für sich die gemeinsamen Bewegungen, schlagen einen Salto, wiegen sich im Disco Rhythmus, probieren es wie Balu, der Bär, mal mit Gemütlichkeit oder umschmeicheln einander als Aristocats, sind Hip-Hopper und Zirkusakrobaten, bis die Reihe wieder geschlossen ist, die Gruppe wieder im Gleichklang tanzt. Dabke ist zu Badke geworden. Neues ist aus dem Alten entstanden.
Politisch und ästhetisch. Dabke ist der traditionelle palästinensische Volkstanz, bei Festen und zum eigenen Vergnügen aufgeführt. Dabke ist auch eine Kunstform, die gelernt und trainiert werden muss. „Es gibt kaum einen Palästinenser, der nicht Dabke tanzen kann, Dabke ist ein Teil unser Identität,“ sagt Farah Saleh, die das erste Solo in "Badke" tanzt. Richtig, das ist kein Schreibfehler, aus Dabke, dem traditionellen Tanz, ist "Badke", die Performance, entstanden. Zehn Bühnenkünstler (vier Frauen, sechs Männer) aus Palästina haben die Choreografie gemeinsam erarbeitet, die – wie im Anagramm angedeutet – den ursprünglichen Bewegungskanon zerlegt, neu zusammensetzt und mit zeitgenössischen Tanzformen angereichert. Nicht nur Tänzer aller Schulen, auch Zirkusartisten und Capoeiristas entzünden mit Badke gemeinsam ein wahres Feuerwerk. So wie die Quelle (Dabke), sprudelt auch "Badke" voller Lebensfreue und Hoffnung, selbst wenn immer wieder Strudel und Untiefen sichtbar werden, mitten in all der mitreißenden Dynamik ein kalter Hauch zu spüren ist. Die Realität des palästinensischen Alltags kann nicht ausgeblendet werden.
Die Idee wurde in Belgien geboren, wo die flämische Compagnie Les ballets C. de la B und die Koninklijke Vlaamse Schouwburg (KVS / Königlich flämisches Theater) seit vielen Jahren ein Austausch- und Ausbildungsprojekt für die neue Generation palästinensischer BühnenkünstlerInnen anbietet. In Zusammenarbeit mit der A. M. Qattan-Stiftung (einer in Ramallah beheimateten Nonprofit-Organisation für Kultur und Bildung in Palästina und der arabischen Welt) findet in Palästina auch alljährlich die Performing Arts Summer School (PASS) statt. Aus dem langjährigen Engagement der flämischen KünstlerInnen ist „Badke“ entstanden. Aus der Taufe gehoben haben es der Choreograf und Tänzer Koen Augustijnen sowie die Tänzerin und Choreografin Rosalba Torres Guerrero (beide bei der verehrten flämischen Compagnie Les Ballets C. de la B) und die Dramaturgin der KVS, Hildegard De Vuyst. Nach der erfolgreichen Uraufführung im Züricher Theater Spektakel, im August 2013 und den Folgeaufführungen in der Schweiz, Belgien und den Niederlanden reiste die Truppe auch nach Palästina. Auch in Nazareth, Jerusalem und Ramallah wurde „Badke“ aufgeführt. „Manche von uns Tänzern dachten, da müsste etwas geändert werden, weil einige Bewegungsabläufe zu deutlich als sexuell gelesen werden könnten. Aber am Ende habe wir gar nichts geändert. Wir zeigten unser Stück, so wie es ist und das Publikum war begeistert,“ erzählt Farah Saleh.
Farah aus Ramallah. Die knapp Dreißigjährige, geboren in Syrien, lebt in Ramallah und tanzt seit ihrem siebenten Lebensjahr. Studiert hat sie neben ihrer vielfältigen Tanzausbildung in Palästina, Italien, Frankreich und Großbritannien auch Linguistik und zusätzlich das noch wenig bekannte Fach Kulturelle Mediation. Im heurigen Frühjahr war Farah Saleh, die seit vier Jahren mit der Sareyyet Ramallah Dance Company arbeitet, Artist in Residence im Tanzquartier, wo sie einen vielbeachteten Einblick in ihre Choreografien gegeben hat.
Wie die Choreografie „Badke“ versteht sie ihre gesamte Arbeit als eine „Form des Protests“ in einem politischen Konfliktfeld. Die Frage, die sie sich dabei stellt lautet „Passiv oder aktiv?“ „Sollen sich Künstlerinnen der Gesellschaft anpassen und die allgemeine Meinung wiedergeben oder geht es darum Veränderungen zu initiieren?“ So wird der Dabke immer auch aus als politische Aussage gesehen. „Der Dabke gehört zu unserer Identität, der Tanz ist ein Bekenntnis zu Palästina. In den 1980er Jahren hatte jede Politische Partei ihre Dabke-Compagnie. Die israelischen Besatzer sperrten die Dabke-Tänzer ins Gefängnis.“ Deshalb erzürnt es Saleh auch, wenn die Israelis den Dabke als ihren Nationaltanz vereinnahmen. „Es ist unser Nationaltanz. Wenn die Musik, wie ich es kürzlich bei einer Probe von Batsheva erlebt habe, in einer Choreografie verwendet wird, ohne dass den Tänzern etwas über die Hintergründe des Dabke gesagt wird, dann muss ich mich wehren.“ Deshalb meint sie, dass auch die Aufführung von „Badke“ nicht nur ästhetisch gesehen werden kann.
Wenn 70 Minuten lang ein wahrer Tornado über die Bühne fegt, nur von wenigen Momenten der Stille und Ruhe unterbrochen, tanzt das gesamte palästinensische Volk mit und erzählt von seinem Leben. „So wie wir gearbeitet haben – in der Anfangsphase vom Choreografieteam zu einem Stück zusammengefügt worden sind –, mussten wir auch über das Spannungsfeld zwischen Individuum und Gemeinschaft nachdenken. In den Solos, Duos und Trios wird das ganz klar. Wir wollen unsere Individualität behalten und trotzdem in einer Gemeinschaft sein.“ Mit „Badke“ wollen die Tänzerinnen und Akrobaten zum einen den Wunsch aller Palästinenser ausdrücken „irgendwohin zu gehören“, zum anderen auch das Verlangen „auch ein Teil der großen Weltgemeinschaft zu sein“.
Mit Gedanken beschweren will „Badke“ jedoch das Publikum nicht. Deshalb ist das Ende der Anfang, „Badke“ kehrt an den Ausgangspunkt, den festlichen, fröhlichen Tanz „Dabke“ zurück und behauptet mit überschäumender Energie vor allem eines: „Wir lassen uns nicht unterkriegen und wir werden weitertanzen solange wir können.“ Energie und Fröhlichkeit sind ansteckend.
Les Ballets C de la B, A.M. Quattan Foundation, KVS: „Badke“,7./8. November 2014. Tanzquartier
Eine gekürzte Fassung dieses Textes ist im "Schaufenster" vom 31. Okober 2014 der Tageszeitung "Die Presse" erschienen.