Für Rebecca Horner, Mitglied des Wiener Staatsballetts, sind Zufälle immer Glücksfälle. Der letzte katapultierte sie als Potiphars Weib mitten unter die Ersten Solisten der Staatsoper. In der Premiere von "Verklungene Feste / Josefs Legende" tanzt sie Potiphars Weib. Choroegraf John Neumeier hat sie persönlich ausgewählt, Kevin Haigen hat Neumeiers Ballette mit dem Wiener Staatsopernballett einstudiert.
„Joseph aber war von schöner Gestalt und gutem Aussehen. Und es geschah, dass die Frau des Potiphar ihre Augen auf Joseph warf und zu ihm sprach: Lege dich zu mir!“ (1. Buch Mose, AT)
Schande! Schimpf und Schmach! Der schöne Jüngling weist sie ab, flieht, nur sein Hemd bleibt zurück. Das muss er büßen. Die Begierde wandelt sich in schäumende Wut, härter als die Folterknechte schlägt sie auf den von ihr Verleumdeten ein.
Zuschlagen, da sie doch gerade noch vor Verlangen geglüht hat? Die Tänzerin Rebecca Horner, die im Ballett „Josephs Legende“ von John Neumeier, die Frau des Potiphar verkörpert, will nicht so recht herfallen über die am Boden gekrümmte Gestalt des denunzierten Joseph (Denys Cherevychko). Noch ist in der Tänzerin, selbst nicht immer die Sanfteste, die Wut nicht hochgekommen. Fragend blickt sie zu Kevin Haigen, dem Joseph der Uraufführung des von Neumeier mehrmals bearbeiteten Balletts zur Musik von Richard Strauss. Er ist aus Hamburg angereist, um mit den Tänzern die ersten Schritte einzustudieren. „Sie braucht das jetzt“, sagt er und meint Potiphars Weib. Die Tänzerin versteht, kann das in Hass gewendete Verlangen aus ihrem Körper heraus prügeln. Joseph erträgt es. Ein Engel (Kirill Kourlaev) wird kommen und ihn retten.
Stolz ohne Vorurteil. Je weiter die Proben für die „Josephs Legende“ fortschreiten, desto leuchtender steigt die Freude in Rebecca Horner hoch, die Zweifel schrumpfen, dass Lampenfieber sinkt auf Null Grad. Angst vor der Premiere verspürt sie keine: „Ich bin nur stolz und glücklich, weil ich es niemals erwartet habe, die Rolle tanzen zu dürfen.“ Ein Zufall, die „verschleierte Notwendigkeit“ (Marie von Ebner-Eschenbach), hat ihr „diese Ehre“ beschert. Weil der Ballettsaal in der Volksoper geschlossen war, trainierte sie mit den Kolleginnen in der Staatsoper, zufällig war Neumeier anwesend, setze sie als Ersatz auf die Liste möglicher Solistinnen. Keine wirklich wählbare Position. Auch beim endgültigen Casting wollte der Choreograf Horner sehen. „Ich wusste gar nicht, was ich da zeigen sollte.“ Sie tanzte dennoch. Antwort bekam sie keine. Nicht gleich zumindest. Der Meisterchoreograf war schon abgereist, die Liste wurde erst am nächsten Tag ausgehängt. Eine schwere Prüfung. „Ich habe mir keine Gedanken gemacht, nichts erwartet und gut geschlafen.“ Als Davide Dato, Freund aus Schulzeiten (und Joseph der Alternativbesetzung) sie telefonisch weckte: „Du wirst die Premiere tanzen“, brach die Auserwählte keineswegs in Jubel aus: „Ich konnte es gar nicht begreifen.“ Jetzt aber, da sie die Schritte und Gesten studiert hat, weiß wie Potiphars Weib zumute ist, gibt es weder Furcht noch Zaudern: „Ich will sie nicht darstellen, ich will sie sein.“
Notwendige Ohrfeige. Vier Jahre zuvor war das Lächeln der Rebecca Horner nicht so strahlend. Ihr Vertrag als Tänzerin im Ballett der Staatsoper, in das sie 2007, sofort nach dem doppelten Schulabschluss (Staatsopern-Ballettschule / Gymnasium) aufgenommen worden war, wurde nicht verlängert. „Das war ein entsetzliche Ohrfeige. Ich wusste nicht mehr, wie es weiter gehen soll.“ Der Körper gab eine Antwort: „Ich war schwanger.“ Ein doppelter Schock. Der Kindsvater, Staatsoperntänzer Andrey Kaydanovskiy, half ihr aus dem Tief. „Ich konnte die Krise als Chance nehmen und denke heute Legris hat recht gehabt. Damals war ich noch nicht wirklich überzeugt, dass das Tanzen meine Bestimmung ist und habe es nicht ernst genug genommen.“ Am Boulevard der Eitelkeiten war man sich ohnehin sicher gewesen, dass Rebecca Horner, die schon im Volkschulalter an der Seite von Otto Schenk für das Entzücken der Fernseherinnen gesorgt hatte, ihre Schauspiel-Karriere weiter verfolgen würde. Doch: „Das hat mich überhaupt nicht interessiert. Ich wollte tanzen.“ Wie sehr sie es tatsächlich wollte, begriff sie erst, als Tochter Ruby auf eigenen Beinchen stehen konnte: „Am Ende des Karenzjahres, habe ich mich genau geprüft und war mir ganz sicher: Ich werde das machen, was ich kann. Ich will tanzen.“
Glücksfall – Prinz Zufall tänzelte herbei, erlaubte in Gestalt der Ballettmeisterin Vesna Orlic, dass Horner in der Volksoper trainierte, schickte zwei Tänzerinnen in den Mutterschaftsurlaub, damit Rebecca einspringen konnte und schenkte ihr danach einen fixen Vertrag. Mit Überzeugung räumt sie mit dem Mythos auf, dass Schwangerschaft und Niederkunft dem Körper einer Tänzerin schadeten. Wie andere Mütter in der Ballettcompagnie, hat sie erfahren, „dass ich jetzt meinen Körper besser kenne und beherrsche.“ Neumeier wandelte die Krise endgültig in die große Chance. Sie ist mit 25 Jahren eine noch junge Tänzerin und muss sich über die Zukunft keine Gedanken machen. „Manche fragen mich, was jetzt wird. Ich weiß es nicht, denke noch gar nicht darüber nach. Wichtig ist jetzt meine Rolle und die Premiere.“ Die Antwort hat Ballettdirektor Legris jetzt kurz entschlossen gegeben: Rebecca Horner ist jetzt (wieder) im Corps de Ballet der Staatsoper.
Mag sein, dass Horners haselnussbraune Haut den Choreografen auch an die Uraufführung seiner Choreografie in Wien erinnert hat. Damals, 1977, tanzte die Afroamerikanerin Judith Jamison Potiphars Weib. Nahezu ein Skandal. In der Neufassung knüpft Neumeier zwar an die Wiener Choreografie an, hat jedoch die Gruppenszenen verändert und die Ausstattung von der schillernden Exotik und dem ägyptischen Schwulst befreit, womit der Maler Ernst Fuchs das Ballett vor mehr als 30 Jahren beladen hat. Heute wäre diese üppige Traumwelt nicht mehr erträglich, sind doch Farbe, schwüler Prunk und heftige Emotionen (samt Windmaschine) ohnehin in Richard Strauss’, für Serge Diaghilew und dessen Ballets Russes 1912 komponierter, Musik enthalten. Die bringt nicht nur das Publikum ins Schwitzen, auch die Tänzerin ist aufgewühlt. Sie ist weniger sexbesessene Circe als eine einsame, vernachlässigte Frau auf der Suche nach Wärme. Mitleid erregend. Das spürt sie und muss „aufpassen, dass mir nicht die Tränen kommen, wenn ich tanze.“ Die achtsame Probenleiterin Alice Necsea holt sie auf den Boden: „Nicht so romantisch, Rebecca!“
Anlyse und Emotion. Um sich zu konzentrieren und die Schritte und Gesten zu begreifen hat Horner bei den ersten Proben eifrig gezählt: „Ich bin ein analytischer Typ und will alles begreifen, bevor ich es mache. Dann erst bin ich entspannt und kann mich auf die Gefühle konzentrieren.“ Diese auf- und abschwellenden Emotionen erzählt nicht allein ihr Körper, auch in den ausdrucksstarken Augen, im wechselnden Mienenspiel ist die Geschichte eines ganzen unglücklichen Frauenlebens zu lesen. Operngucker nicht vergessen!
„Verklungene Feste / Josephs Legende“ zwei Ballette von John Neumeier zur Musik von Richard Strauss. Mit Rebecca Horner, Denys Cherevychko; Kirill Kourlaev, Roman Lazik. Staatsoper: 4.2. (Premiere), 5., 14.2. 2015. Staatsoper.
Alternative Besetzung: Ketevan Papava, Davide Dato; Roman Lazik, Eno Peçi. 8., 9.2. 2015.
Der Beitrag ist in gekürzter Form im "Schaufenster" der Tageszeitung "Die Presse" vom 23. Jänner 2014 erschienen.