In seinem ersten Spielfilm verbindet der Architekt und Filmkünstler Gustav Deutsch Malerei, Performance, Musik und Film zu einem außergewöhnlichen Kunstwerk. In 13 Gemälden von Edward Hopper (1882–1967) werden die abgebildeten Personen lebendig und zu Protagonisten einer Geschichte Amerikas von den 1930er Jahren bis in die 6oer. "Shirley – Visions of Reality" ist ein Film über Realität und Fiktion über das Kino und die Nachkriegsjahre in Amerika.
Ein Film wie gemalt. Als Regisseur und Drehbuchautor hat Gustav Deutsch, bekannt geworden vor allem durch seine Found-Footage-Filme „Welt Spiegel Kino“, schier Unmögliches geplant und auch vollendet. Gemeinsam mit der Multimedia-Künstlerin Hanna Schimek (Malerei, Farbkonzept) und dem Kameramann Jerzy Palacz und weiteren MitarbeiterInnen hat Deutsch die Bilder Hoppers zu dreidimensionalen Leben erweckt und sie als räumliche Folie für 13 Episoden im Leben der fiktiven Shirley, einer amerikanischen Schauspielerin, nachbauen lassen. Die Story Shirleys ist eingebettet in die History Amerikas: Jahre der Depression, Weltkrieg, McCarthy-Ära, Rassenkonflikte und Bürgerrechtsbewegung. Shirley hat ihre eigenen Gedanken dazu, ist eine wache Frau, die die Wirklichkeit mit klaren Augen betrachtet, obwohl sie in ihrem Beruf als Schauspielerin die Wirklichkeit nicht lebt, sondern inszeniert.
Arrangierte Wirklichkeit. Inszeniert sind auch die Bilder Hoppers, der sich immer wieder vom damals populär werdenden Film inspirieren ließ. Wenn sie nicht leere Räume (oft perspektivisch verschoben, also alles andere als realistisch) zeigen, so sieht man nahezu immer die gleiche (seine) Frau darauf. Wer sie ist, was sie tut, ob sie kommt oder geht, erfährt die Betrachterin nicht. Deutsch gibt eine mögliche Deutung, indem er sich vorgestellt hat, was kurz vor und nach der erstarrten Szene passiert sein könnte. Und er referiert mit Ausschnitten und kurzen Original-Dialogen auf das Faible Hoppers für die Illusionsmaschine Kino. Umgekehrt haben seine Bilder viele Filmschaffende beeinflusst. So hat sich etwa Alfred Hitchcock für „Psycho“ ganz klar an Hoppers „House on a Railroad“ orientiert. Aus dieser Wechselbeziehung und den vielen subtil gesetzten Verknüpfungen, Spiegelungen, verschobenen Realitäten und Imitationen flicht Deutsch ein dichtes Netz von Relationen, das kaum zu entwirren ist, aber Spannung und höchstes intellektuelles Vergnügen bietet.
Vergnügen bietet auch die Tänzerin und Choreografin Stephanie Cumming als Shirley, die ihre Bewegungen und Gesten, ihr Liegen und Sitzen mit Souveränität ins Bild bringt. Mit Absicht hat Deutsch eine Tänzerin gewählt, die gewohnt ist Bewegungsabläufe im Körper zu speichern und immer wieder exakt zu wiederholen. Dennoch hat Deutsch den Film mit dem Text begonnen, der auch (neben den Kompositionen von Christian Fennesz, David Sylvian) Musik ist. Die Bewegungsabläufe wurden dann an die Tonspur angepasst. Mindestens ein Frame der jeweils sechs Minuten dauernden Szenen stimmt mit dem Hopper-Bild überein. Ein Déjà Vu der besonderen Art. Und Schwerarbeit für den Kameramann: Um keinen Zentimeter darf sich die Kamera bewegen, weil sonst alles auseinander fällt.
Im Wiener Künstlerhaus ist "Vision of Reality" als Ausstellung zu sehen. Gustav Deutsch und Hanna Schimek zeigen einige der malerischen und bildhauerischen Artefakte, die im Zuge der dreidimensionalen, lebensgroßen Transformationen der Hopper-Gemälde entstanden sind. Noch einmal wird der Blick auf fiktionale Realität gelenkt, wie auch Hopper (nur bei nicht genauem Hinsehen als "realistischer Maler" eingestuft) seine Interieurs konstruierte: Nicht Wirklichkeit hat der Maler abgebildet, sondern sie mit einzelnen Versatzstücken kontruiert. In der Ausstellung werden die Versatzstücke aus dem filmischen Zusammenhang gelöst und neu arrangiert.
„Shirley – Visions of Realitiy“, ein Film von Gustav Deutsch mit Stephanie Cumming, Christoph Bach, Elfriede Irrall, Florentin Groll. KGP Kranzelbinder Gabriele Production. Stadtkino im Künstlerhaus, Wien und in den Landeshauptstädten.
"Visions of Reality", Ausstellung von Gustav Deutsch und Hanna Schimek, Künstlerhaus, Akademiestraße 1, 1010 Wien, bis 5. Jänner, täglich außer Mntag, 10–18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr.