Zur Zeit ist vom Gärtnerplatztheater in München nur die denkmalgeschützte Fassade übrig, es wird an einer Kompletterneuerung des Gebäudes gearbeitet. Der Spielbetrieb geht aber in verschiedenen anderen Spielstätten der Stadt weiter, das jüngste Ballett „Berlin 1920 – Eine Burleske“ von Ballettchef Karl Alfred Schreiner fand im opulenten Rokoko-Ambiente des Cuvilliés-Theaters statt.
Karl Alfred Schreiner ist choreografisch vielseitig. (Der gebürtige Salzburger, Absolvent der Balletschule der Wiener Staatsoper und Tänzer in verschiedenen Compagnien, unter anderem auch im Haus am Ring, leitet seit der Spielzeit 2012/13 das Ballett am Münchner Gärtnerplatztheater.) In der letzten Spielzeit legte er mit seiner Version von Tschaikowskis „Dornröschen“ einen beachtlichen Start hin. Mit der Dancesoap „Minutemade“, bei der verschiedene, namhafte Choreografen eine Woche lang Zeit haben mit dem Ensemble ein Stück zu kreieren, hat er ein pfiffiges, experimentelles Format geschaffen, das auch in dieser Saison seine Fortsetzung finden wird.
In „Berlin 1920 – Eine Burleske“ geht er wieder ganz andere Wege und setzt ein Handlungsballett auf verschiedenen Ebenen um. Das Libretto ist kompliziert und verfolgt mehrere Handlungsstränge. Mit Film, Video, Projektionen, Tanzrevue-Nummern und expressiver Körpersprache gelingt es ihm aber, die Geschichte, die im Berlin der Zwischenkriegszeit spielt und in deren Mittelpunkt der Fabrikarbeiter Hans (Alessio Attanasio) und Eva, die Tochter aus gutbürgerlichem Haus (Sandra Salietti) stehen, schlüssig zu erzählen.
Das wichtigste Element ist die Musik, Kompositionen aus der Zeit von George Antheil, Hanns Eisler, Darius Milhaud und anderen, die das Orchester des Gärtnerplatztheaters unter der musikalischen Leitung von Michael Brandstätter großartig interpretiert. Ein Höhepunkt auf der Bühne sind die Arbeitsszenen in der Fabrikshalle als Trommelkonzert, bei dem die TänzerInnen auf Stahltonnen einschlagen (Komposition: David Sitges-Sardà) – eine Hommage an Chaplins „Modern Times“ und gleichzeitig eine Referenz an die aktuelle Tourneegruppe Stomp.
Das Ballett beginnt mit einem Stummfilm – Hans und Eva bei ihren romantischen Stelldicheins – und sein Ablauf ist ebenfalls cinematografisch konzipiert. Da sind mehrere Handlungsebenen wie auf einer zweigeteilten Leinwand gleichzeitig auf der Bühne zu sehen. Die Protagonisten gleiten von der Realität in die Traumwelt, die sie im Drogenrausch erleben. Schreiner fährt dafür ein Arsenal an Ideen auf, es wird bunt und schrill. Jeder Rausch wird von einem deutschen Schlager der Zeit begleitet – treffsicher interpretiert von der stets in rot gekleideten Chanconette Nadine Zeintl.
Die Charaktere der Berliner Gesellschaft agieren in diesem rasenden Karussell der Exzesse und Begierden wie Comicfiguren. In den karikaturesk überzeichneten Rollen überzeugen Davide Di Giovanni als Großindustrieller Richard von Stetten sowie Lieke Vanbiervliet und Morgan Reid als Evas Eltern.
Was bei dieser Überfülle an Aktionen und Einfällen (Kostüme: Jan Meier, Bühne: Rainer Sinell) zu kurz kommt, ist die Tiefenzeichnung der Hauptrollen. Nur Alessio Attanasio vermag leisere Töne anzuschlagen und zu berühren. Dass die Versöhnung zwischen Hans und Eva am Ende von einer Hitler-Rede begleitet wird, lässt letztendlich aber doch die Gänsehaut aufsteigen.
Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz „Berlin 1920 – Eine Burleske“ am 22. November 2013 im Cuvilliés-Theater München (Premiere, 21. November). Weitere Vorstellungen täglich bis 30. November