Die älteren Herren in ihren formellen Anzügen bewegen sich unsicher auf der schiefen Ebene der Bühne. Doch hallo! Herren? Vorgestellt werden sie mit Frauennamen. Sie sind die DarstellerInnen in der letzten Vorstellung des Travestie Kabaretts „Gardenia“. Sie sind zwischen 55 und 65 Jahre alt und ihren Ruhm erhielten sie durch sexuelle "Großtaten", die Moderatorin Vanessa van Durme bei der Vorstellung verkündet.
Wenn sie im Laufe des Abends ihre Anzüge durch glitzernde Roben, Federboas und Stöckelschuhe ersetzen, Make Up auflegen und Perücken aufsetzen, fällt die Unsicherheit von ihnen ab. Zu Ravels „Bolero“ steigert sich die Verwandlung bis zum Gruppenfoto, in dem sie mit herausfordernder Attitüde glänzen und strahlen.
Inspiriert vom spanischen Dokumentarfilm „Yo soy así“ hat die transsexuelle Schauspielerin Vanessa van Durme das Konzept für diese Performance entwickelt, das die Regisseure Alain Platel und Frank Van Laecke mit sieben Transsexuellen, Transvestiten, einer „richtige Frau“ und einem „jungen Mann“ umsetzten.
Der Abend entwickelt sich plan- und ziellos. „Gardenia“ bietet Songs in Playback, deftige Schwulenwitze und immer wieder tableaux vivants der Gruppe, die sich ständig verkleidet, verwandelt, verändert.
Die älteren Damen und Herren scheinen kein Script zu benötigen. Sie wirken aufgrund ihrer Persönlichkeit, sind in ihren vergeblichen Bemühungen um Schönheit und Sex-Appeal rührend, verletzlich und liebenswert. Die Musik-Collage von Schubert über Ravel bis zu Liedern wie „Sag mir, wo die Blumen sind“ trägt die Stimmungen von melancholisch bis komisch mit hintergründiger Bedeutung.
Es scheint als ob sie ihre glamourösen Entertainer-Rollen nicht verlassen wollten und nur ihre Körper, nicht aber ihre Seele preisgeben wollten. Dabei erzählen diese Körper authentisch von ihren Wunden, Widersprüchen, Konflikten und vom einstigen Glanz, ohne dass sie darüber reden müssten.
Doch dann eine Zäsur: der schöne „junge Mann“, der bis dahin im Hintergrund agierte, wird von der Gruppe aufgefordert zu Charles Aznavours Chançon über einen Transvestiten („Comme ils disent“) ein Solo zu tanzen. Am Ende des Liedes bricht er zusammen und weint seinen slawischen Weltschmerz auf Russisch heraus. Dirk übersetzt und Vanessa tröstet wie eine Kummertante. Als ihn die „richtige Frau“ in die Arme nehmen und mütterlich trösten will, kommt es zum Kampf zwischen den beiden.
Mit dieser Szene war der Zauber der Show gebrochen. Die geheimnisvolle Aura, die die DarstellerInnen bis dahin umgeben hat, wird beim junge Alter Ego zu triefender Sentimentalität.
Zum Schluss erscheinen alle zum letzten Song mit Gruppenbild: „Somwhere over the Rainbow“. Das Ende der Träume hat nun einen bitteren, aber auch banalen Beigeschmack.
Les Ballets C de la B: "Gardenia", ImPulsTanz Festival, Akademietheater, 12. August 2010