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chrish legoloveChris Haring, eingeladen vom Staatstheaters Kassel (Tanzdirektor Johannes Wieland), kreierte mit dem lokalen Tanzensemble einen neue Variation seiner Serie „The Perfect Garden“, in der er sich mit der Suche nach Glück und Erfüllung beschäftigt. In „Lego Love“ benutzt er Module früherer Aufführungen, variiert, vertauscht und verändert sie. Die Suche nach dem Paradies wird zur unaufhörlichen Orgie. Um den Tod zu bannen. Oder in der Lust zu sterben.

Das Große Fressen. In der Einleitung erzählt die unnachahmliche Stephanie Cumming von der Lust und der Gier Kaisekrainer (eine überaus lasziv und unappetitlich aussehende Bratwurst) zu verschlingen. Ihre Stimme ist mitunter bizarr verfremdet, kommt aus dem Lautsprecher und scheint doch direkt aus dem Körper der Tänzerin zu steigen. Der Soundkünstler und Komponist Andreas Berger ist mit seiner elektronischen Schöpfung auch weiterhin Teil des Spektakels, indem er bekannte Sequenzen bearbeitet, zerstückelt und neu zusammensetzt und das gesprochene Wort der TänzerInnen, entstellt, verstümmelt, verzerrt und die Laute des Körpers, das Ächzen und Stöhnen, Schmatzen, Schlürfen Knirschen und Knacken zur orgiastischen Komposition steigert.

Vor Lust sterben, um den zu Tod bannen. In stets wechselndem Licht (Design: Chris Haring / Oskar Bosman; Umsetzung: Thomas Jelinek / Julian Zell), grelles Pink und Puffrot, fahles Grün und auch strahlendes Weiß, geben sich die Figuren in einer sich immer schneller drehenden Spirale ihrer Lust hin. Weiß und leer ist diesmal auch die Bühne, nur durch Licht und Sound möbliert. Anfangs vorsichtig tastend bewegen sich die Figuren – geschlechtslos – auf einander zu. Betasten, erforschen und verschlingen sich bis ein einziger pulsierender Knäuel entsteht, in rhythmischer Wiederholung atmend, konvulsivisch sich ineinander bewegend. Doch genug ist nicht genug. Die Orgie hat kein Ende, je mehr, desto mehr. Sich auflösen, vergehen um wieder zu werden. Individuen gibt es keine (mehr), auch wenn die zu Skulpturen erstarrten Gruppen, die sich in Zeitlupe bewegenden Avatare als Déjà-vu an Werke Alter Meister, griechisch-römische Plastiken, an den schmachtenden Blick der Renaissancejungfrauen, den strotzenden Körper niederländischer Muskelprotze, erinnern. Doch Venus und Amor, Pan und Syrinx, sind zum Mythos erstarrt, die Mensch zu einer seelenlosen Maschine verschmolzen, die sich immer wieder selbst reproduzieren muss. Das Paradies bleibt verschlossen.

Esprit und Humor. Chris Haring würde im Kitsch verkommen, hätte er nicht Esprit, Ironie und Sinn für Komik. So ist „Lego Love“ zwar eine vom zügellosen Dionysos angezettelte Orgie, doch fehlt er jegliche erotisierende Komponente und peinlich sind weder die koitalen Verschlingungen noch die unvermeidbare Nacktheit. Schließlich ist „Lego Love“ kein Pornofilm, sondern eine großartige Tanzdarbietung. Und ein Zeugnis der fruchtbaren Zusammenarbeit von Liquid Loft mit dem Kasseler Tanzensemble.

Liquid Loft / Chris Haring & Staatstheater Kassel: „Lego Love“, im Rahmen von ImPulsTanz gezeigt am 19. Juli 1013, Volkstheater.

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