Mit seinem zweiten Gastspiel vermochte das Norwegische Nationalballett im Theater an der Wien leider nicht zu überzeugen. „Carmen“ ist sozusagen die klassisch vertanzte Fassung von Georges Bizets Oper, und man fragt sich, warum? Choreograph Liam Scarlett hielt sich weitgehend an das Libretto, auch wenn er eine diegetische Modernisierung vornahm und die Handlung in den Spanischen Bürgerkrieg verlegte. Das ergab aber nicht viel Sinn, denn die Story wurde dadurch nicht aktueller.
Wozu dieser Stoff jetzt auch als Ballett vorliegt, bleibt unklar. Noch dazu in einem Bühnenbild, das an die Sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts erinnerte (Jon Bausor), ohne aber deren Coolness aufzuweisen. Die Kostüme blieben eher im 19. Jahrhundert verhaftet und waren auch nicht besonders originell. Titelheldin Carmen (Julie Gardette) durfte zwar etwas Spitzenstoff und auch die Farbe Rot tragen, aber besonders sexy wirkte sie nicht. Und das lag zu einem großen Teil an der Choreographie.
Diese baute auf klassischem Vokabular auf, mit Einsprengseln von modernen Movements. Jedoch schwebte das Gesamte zwischen Klassik und Neoklassik, zumindest technisch gesprochen. Von einer wirklichen Choreographie kann nämlich keine Rede sein, weil man eher eine Aneinanderreihung von weder besonders inspirierten, noch motivierten Bewegungen wahrnahm. Allenfalls, um gerecht zu bleiben, waren einige Pas de deux ganz gut gelungen, von Carmen und Don Jose getanzt (Kaloyan Bayadjiev). Hier gab es einige hübsch und flüssig dargebrachten Drehfiguren.
Ein großes Fragezeichen schwebt über der Wahl des Spitzentanzes, denn derart lässt sich diese gewisse Erotik jener heißblütigen Carmen nur schwer erreichen. Leider sieht man der Choreographie eine Unentschlossenheit an, was sie eigentlich sein möchte – klassisch oder dazwischen? Aber so kann man heute im Grunde eigentlich nicht mehr choreographieren, auch nicht ein Handlungsballett.
Die Musik half da ebenfalls nicht weiter. Martin Yates hat die Komposition Bizets umarrangiert, um sie den Erfordernissen des Balletts entsprechender zu gestalten, man kann auch sagen, er hat ein wenig „gedoktert“. Das Wiener KammerOrchester spielte unter der Leitung von Per Kristian Skalstad zwar beherzt, aber wenig akzentuiert. Und gelegentlich war es einfach zu laut, denn es ist ein Irrtum zu glauben, dass die dynamische Musik dem stillen Tanz etwas Gutes tut, wenn sie voll aufdreht in dramatischen Momenten. Im Gegenteil, das erstickt die kinetische Energie des Tanzes. Theater ist ein Gesamtkunstwerk aus allen Bereichen, Musik, Tanz, Bühnenbild, und man nimmt als Publikum alles körperlich wahr. Deshalb gehen wir ja gern ins Theater, ins Ballett, in die Oper.
Die tänzerischen Leistungen des Ensembles waren passabel und blieben wegen der Nicht-Choreographie unter ihrem Wert geschlagen. Insgesamt überwog nicht der Eindruck eines Nationalballetts, sondern einer Stadttheateraufführung.
Norwegisches Nationalballett "Carmen" am 8. April im Rahmen von Osterklang im Theater an der Wien