Mit einer vierstündigen Gala erwies Ballettchef Legris seinem Mentor Rudolf Nurejew (1938 bis 1993) erneut die Ehre. Dabei hat er es sich und seinen Tänzern keineswegs leicht gemacht, standen doch kaum (aktuelle) Repertoire-Stücke auf dem Programm. Für den zweiten Teil des Abends wurden sogar Ausschnitte inklusive dem „Schattenakt“ aus „La Bayadère“ einstudiert. Extra Glanzlichter im abwechslungsreichen Ballettbogen brachten Gäste aus München, Paris und Zürich.
Das Wort „Schonung“ kennt Manuel Legris nicht - und das ist wohl auch Teil seines Erfolges als Tänzer und Ballettchef. Nach einer herausfordernden Saison – zuletzt mit zwölf Vorstellungen von „Schwanensee“ in acht unterschiedlichen Besetzungen (wobei das freilich nur für die SolistInnen gilt; das Corps de ballet ist ohne Alternativbesetzung immer im Einsatz) – wurde nun auch dieses Gala-Monsterprogramm einstudiert. Ermüdungserscheinungen waren an diesem Abend beim Ensemble zwar nicht auszumachen, doch Davide Dato hatte großes Pech. In Balanchines „Stars and Stripes“ blieb er nach einem Sturz reglos am Boden liegen – nach ein paar Schrecksenkunden realisierte die Technik, dass er sich offenbar schwer verletzt hatte und senkte den Vorhang. Ein Vorfall, der die Stimmung des restlichen Abends dämpfte, auch wenn TänzerInnen und Publikum gemeinsam versuchten, gute Miene zu machen. Denn: The show must go on. Lediglich der mit Nina Tonoli und Dato einstudierte Ausschnitt aus Edward Clugs „Peer Gynt“, als Vorschau auf die Premiere der nächsten Saison, musste entfallen.
Scheinbar ungerührt und wunderbar tanzte das Ensemble beim anschließenden Ausschnitt aus „Murmuration“, das in dieser Saison Eingang in das Wiener Repertoire gehalten hatte (tanz.at berichtete) und erneut die choreografische Dichte sichtbar machte, mit der Edwaard Liang diese Choreografie kreiert hat. Eindringlich auch die musikalische Interpretation des Violinkonzerts von Ezio Bosso druch José Maria Blumenschein.
Zu den Highlights des Abends zählte etwa auch „Solo“ von Hans van Manen, für dessen Wiener Premiere der rüstige 85-jährige Meister angereist ist. Mit seinem Bewegungswitz lässt er die Tänzer eine Partita für Violine von Bach (vom Band) mit rasend schnellen Moves visualisieren. Ein Tänzer könnte das trotz der Kürze des Stücks nicht durchhalten, und so wird das Solo auf drei Tänzer aufgeteilt, die erst am Ende gemeinsam auftreten – großartig spielerisch getanzt von Masayu Kimoto, Richard Szabó und Géraud Wielick.
Bach lieferte auch die Musik zum Duett von „Magnificat“ von John Neumeier mit Nina Tonoli und Jakob Feyferlik. Margaret Plummer sang dazu das „Agnus Dei“ aus der h-moll Messe mit ihrem wohl tönenden Mezzosopran. Und noch einmal Neumeier: Rebecca Horner tanzte das Schlusssolo aus „Le Sacre" mit der ihr üblichen Kompromisslosigkeit bis zur Erschöpfung.
Der Choreograf Liam Scarlett (seine „Carmen“-Version war in dieser Saison mit dem Norwegischen Nationalballett im Theater an der Wien zu sehen) steuerte zwei Pas de deux aus „With a Chance of Rain“ zu Rachmaninoffs bekanntem Prélude g-Moll, gespielt von Igor Zapravdin, zum Abend bei – frech und sexy: Mihail Sosnovshi und Alice Firenze, emotional-getragen: Nina Poláková und Eno Peci.
Die gefeierten Ersten Solisten des Münchner Staatsballetts Maria Shirinkina und Vladimir Shklyarov überzeugten in einem Ausschnitt aus Juri Grigorowitschs „Spartacus“, der in dieser Saison im Münchner Nationaltheater Premiere hatte (tanz.at berichtete). Auch wenn der Freiheitsheld hier in der Ästhetik sowjetischer Ballettkunst gefeiert wird, so scheint der Klassenkämpfer heutzutage wieder an Aktualität zu gewinnen. Zumindest konstatierte das Oliver Peter Graber im Einführungstext des Programmheftes – mit durchaus unterhaltsamen Zahlenspielen. Die angebliche politische Brisanz war in dem Pas de deux zwischen Spartacus und Phrygia zwar nicht direkt abzuleiten, aber dem russischen Paar gelang es bei dieser Erotikakrobatik mit komplizierten Hebungen und Wendungen die Liebespoesie zu retten.
In „La Bayadère“ machte Shklyarov als Solor an der Seite von Liudmila Konovalova ebenfalls gute Figur; ebenso wie Joanna Avraam und Robert Gabdullin, die den Solor-Nikia-Pas de deux aus dem ersten Akt tanzten. Nur die Schatten konnten da nicht mithalten – der wackelige Abstieg auf der Schräge entsprach so gar nicht dem (mittlerweile) gewohnten Standard der weißen Akte beim Wiener Staatsballett. Souverän hingegen die drei Solistinnen Natascha Mair, Nikisha Fogo und Adele Fiocchi.
Für Forsythes „In the Middle Somewhat Elevated“ war Elena Vostrotina aus Zürich angereist. Die langgliedrige, rothaarige Ballerina verkörpert perfekt den Typ von Sylvie Guillem, für die das Ballett ursprünglich in Paris kreiert worden war, und Vladimir Shishov schien von dieser Partnerin höchst motiviert zu sein. Ein besonderes Vergnügen bereitete die leicht-luftige Etoile der Pariser Oper, Ludmila Pagliero, die mit Jakob Feyferlik durch den Tschaikowsky-Pas de deux von George Balanchine quasi zu fliegen schien.
Glanzvoll und glitzernd ging der Abend mit Balanchines „Symphonie in C“ zu Ende, ein musikalisch-tänzerisches Finale zu Bizet, bei dem das Orchester unter der Leitung von Kevin Rhodes und die Tänzerinnen und Tänzer des Wiener Staatsballetts noch einmal in perfekter Harmonie agierten. Dass der Applaus am Ende recht schnell verebbte, mag wohl vor allem an der Länge des Abends gelegen haben. Auch wenn die Programmabfolge stimmig war, die Fülle war ein Overkill, und weniger wäre sicher mehr gewesen.
Avancements
Die von Manuel Legris augesprochenen Avancements nach der Nurejew-Gala haben mittlerweile auch schon Traditon. Diesmal wurde der aus Japan stammende Solotänzer Masayu Kimoto, seit 2008 Mitglied des Wiener Staatsballetts, zum Ersten Solotänzer ernannt. (Kimoto gab zuletzt sein erfolgreiches Rollendebüt als Prinz Siegfried in "Schwanensee"). Aus dem Corps de ballet wurden vier Tänzerinnen zu Halbsolistinnen ernannt: Die drei seit 2014 bei der Compagnie engagierten Italienerinnen Elena Bottaro, Adele Fiocchi (die beiden waren bei der Gala in der Eröffnungsvariationen aus Nurejews "Dornöschen" als Diamant und Saphir zu sehen) und Sveva Gargiulio sowie die Russin Oxana Kiyanenko, die seit 2006 Mitglied im Ensemble ist.
Die Sommerpläne
Für die Tänzerinnen des Wiener Staatsballetts gibt es jedenfalls auch im Sommer nicht nur Ferien. Ballettdirektor Manuel Legris verantwortet etwa die „Legris-Gala“ im Juli in Japan (in Osaka, in Nagoya und zwei Mal in Tokio), bei der er auch selbst tanzen wird, begleitet von Nina Poláková, Denys Cherevychko, Nikisha Fogo, Natascha Mair, Nina Tonoli, Jakob Feyferlik, James Stephens sowie internationalen Gästen.
Eine große Ehre für Maria Yakovleva, Nina Tonoli, Denys Cherevchko und Mihail Sosnovschi ist wohl die Einladung von John Neumeier sein „Le Pavillon d’Armide" bei der Nijinski-Gala zum Abschluss der Hamburger Ballett-Tage zu tanzen.
Eno Peci ist als Choreograf gefragt: bereits am 1. Juli kommt beim Origen Festival sein neues abendfüllendes Stück „Homo Sapiens“ zur Uraufführung. In den insgesamt vier Vorstellungen tanzen darin Nina Tonoli, Gala Jovanovic, Mila Schmidt, Roman Lazik, Jakob Feyferlik, James Stephens und Andrey Teterin. Mit dem zehminütigen Stück "Tre Fratelli" hat Eno Peci ein weiteres Stück für das Schweizer Festival kreiert, das drei Tänzer der Jugendkompanie der Ballettakademie der Wiener Staatsoper aufführen werden.
András Lukács bringt seine Choreografien „Whirling-Pas de deux“ und „Duo“ mit TänzerInnen des Wiener Staatsballetts (Nina Poláková, Maria Yakovleva, Alice Firenze, Nina Tonoli, Roman Lazik, Richard Szabó und James Stephens) im Rahmen einer von ihm organisierten Gala beim „Nordland Musikkfestuke“ in Bodø (Norwegen) zur Aufführung.
Galaauftritte gibt es außerdem für Liudmila Konovalova („Roberto Bolle & Friends“ am Liceu in Barcelona), Maria Yakovleva („Viva Maïa – Gala d’étoiles internationales“ in Cannes sowie in Georgien) und Natascha Mair (in Peking).
Sommerruhe gibt es zwangsläufig vorerst für den verletzten Davide Dato. Bleibt nur noch ihm alles Gute für die Genesung zu wünschen!
Wiener Staatsballett: „Nurejew Gala 2017“ am 29. Juni in der Wiener Staatsoper.