Seit Jahren Kult: Die Dancesoap „Minutemade“ des Gärtnerplatz-Balletts animiert Choreografen zu originellen Fünf-Tage-Arbeiten. Mehr Zeit bekommen sie und das Ensemble zur Ausarbeitung einer rund halbstündigen Episode nicht. Abgeschreckt hat diese Herausforderung bislang niemanden. Im Gegenteil, das Interesse mitzumachen ist groß. Diesmal stellten sich drei Gastchoreografen aus Berlin, Israel und Italien stellen sich der Herausforderung.
Das vom Spartenchef Karl Alfred Schreiner erfundene Low-Budget & Gute-Laune-Format schaffte es diesen Frühling sogar ins Programm der städtischen Dance-Biennale – mit durchschlagendem Erfolg seiner 20 hypermotivierten, verwandlungsfähigen und lernbegierigen Tänzer.
Nun sitzen alle wieder um einen neuen Gast herum. Es ist der Albaner Gentiano Doda. Unter Nacho Duato begann er 2005 zu choreografieren und betreut zudem das Staatsballett Berlin als Erster Ballettmeister. Den kreativen Austausch mit den Interpreten für seinen Beitrag zur zweiten 2017er Staffel nimmt er trotz Kürze des gemeinsamen Wegs überaus ernst. Schon am Vortag der Premiere erzielt sein Stück Wirkung. Sich beständig im Raum und unter den Performern neu formierende Spannungsfelder wühlen eine Atmosphäre von Trostlosigkeit auf. Zu unheimlichen Klopfklängen wie aus dem Film „Das Boot“ bilden Personenkonstellationen gefühlige Landschaften.
Die Bewegungsabläufe sind – obwohl noch im Kreationsprozess – präzise einstudiert. Beim Ansehen des Probenmitschnitts lässt Doda fast beiläufig Verbesserungen einfließen – oder demonstriert, dass er die Hand mit mehr Power gegen die Brust gedonnert haben will. Der eigens mitgebrachte Musiker aus Argentinien (er lässt sein Herz per Mikrofon laut pochen) bringt die Akteure zum Singen, windig Säuseln, Hecheln und Sprechen. Die Absicht ist – erklärt der Choreograf – zu zeigen, wie Werke und ihre Hauptstruktur entstehen. Ginge es um eine normale Produktion, würden wahrscheinlich nur fünf der rund 40 Minuten Material bestehen bleiben. Doda bezeichnet sie als Ausgangspunkt, Schreiner spricht von der Magie, die oft gerade in den Anfängen steckt. Bei „Minutemade“-Uraufführungen entfällt der Druck, Ideen reduzieren zu müssen.
Dafür gilt es, sich an eine andere Regel zu halten. Jede Kreation muss genau dort beginnen, wo der Vorgänger – in diesem Fall Schreiner – zum Ende gekommen ist. Als Einstieg in die Fortsetzungsserie hat sich Schreiner zuvor ein eiskalt wirkendes Set aus Styroporplatten ausgedacht. Unvermittelt drängen sich Bilder von Untergangsstimmung und Klimawandel auf. Während der Probe kroch und robbte die Kompanie über die zerbrechlichen, am Boden quietschenden Eisschollen. Eine in sich verklammerte Fünfergruppe hier, ein zum Gliederball gefaltetes Trio dort. Für die Uraufführung schlüpften einige in orangefarbene Rettungswesten, andere zogen sich für den Trip über die unwirtliche, zerklüftete Weite gelbe Regenjacken über. Schreiners Szenario hat horrorgeschwängerten Pfiff.
Der Sturm, den Schreiners in alle Richtungen bewegten Körper entfachen, hinterlässt für Doda ein Ambiente der Zerstörung. Eine bröselige Vision von Endzeit – humorig konterkariert von den Manierismen eines barocken Teekränzchens, das erst bei Erdbebenstufe 10 mit Flucht reagiert. Doda entschließt sich, die Styropor-Bruchstücke passagenweise weiter zu nutzen. Wie, das konnte man noch einmal am 8. Juli erleben. Da hat der mehrfach ausgezeichnete Eyal Dadon Gelegenheit, der in „Act One“ eingeschlagenen Themenrichtung eine neue Wendung zu geben. Den dritten und letzten Teil am 15. Juli teilt sich der Isreali mit dem hierzulande weniger bekannten Sizilianer Roberto Zappalá.
Ballett des Gärtnerplatztheaters: „Minutemade“, Act One am 1. Juli 2017 in der Reithalle; Act Two & Act Three: 8. Juli (Gentian Doda / Eyal Dadon), 15. Juli (Eyal Dadon / Roberto Zappalà)